Grabanlage in der Totenstadt von Sakkara: Queerness im Land der Pharaonen
Die Spekulationen sind zahlreich: In welcher Beziehung standen wohl die beiden gemeinsam in Sakkara begrabenen Männer zueinander?
Mounir Basta war als Chefinspektor von Unterägypten mit der Wanddekoration altägyptischer Gräber vertraut. Was er am 12. November 1962 in einer Grabanlage in der Nekropole von Sakkara vorfand, verblüffte ihn jedoch. Das Grab war anders als alles, was er bisher in seiner Amtszeit gesehen hatte: Es zeigte zwei Männer in einer Verbundenheit, die sonst nur Ehepaaren vorbehalten war. Basta notierte: „Die Inschriften in dem Grab führen uns zu keiner Lösung, was die Beziehung der beiden angeht. Waren sie Brüder? Waren sie Vater und Sohn? Oder zwei Beamte im Palast des Pharao, die zu Lebzeiten eine innige Freundschaft unterhielten und diese im Jenseits fortführen wollten?“ Diese Fragen haben sich in der Folgezeit viele Forscher*innen gestellt.
Empfohlener externer Inhalt
Bevor wir uns aber der Rezeptionsgeschichte zuwenden, zunächst ein Blick auf das Grab: Der rechteckige Ziegelbau aus der 5. Dynastie unter Pharao Niuserre wird ungefähr auf die Mitte des 3. Jahrtausends vor unserer Zeit datiert. Er ist eine sogenannte Mastaba, die aus einem Obergebäude und unterirdischen Sargschächten besteht. Dabei war nur der oberirdische Teil der Anlage für die Öffentlichkeit zugänglich. Er war für das Andenken an die Toten und die Niederlegung von Grabbeigaben bestimmt.
Auf den horizontal verlaufenden Inschriften der beiden Säulen des Grabeingangs werden die Toten als „Aufseher der Maniküristen des Palasts“ bezeichnet und als Nianchchnum und Chnumhotep benannt. Eine vertikale Inschrift über dem Eingang weist sie als „Vertraute des Königs, die als Maniküristen arbeiten“ und „Verwalter des Königs“ aus. Es handelte sich also um hohe Beamte des Pharao, denen die Gunst einer Bestattung auf einem Elitefriedhof zuteil wurde.
Vieles in dem Grab deutet auf die besondere Beziehung der Toten hin: Auf einem Relief im Eingangsbereich sitzen sie dicht nebeneinander, wobei jeder einen Arm um den anderen legt. Auf einer anderen Abbildung unternehmen sie Händchen haltend eine Inspektionstour durch ihr Grab. Einmal sitzen sie sich in einer Bankettszene gegenüber und genießen ihre Opfergaben. Tänzer*innen, Sänger*innen und Musiker*innen treten zu ihrer Unterhaltung auf.
Dabei ist Chnumhotep mehrmals beim Riechen an einer Lotusblume abgebildet, was in der Ikonografie als „weiblich“ markiert ist, und ihn als femininen Part des Duos ausweist. Mindestens zweimal sind sie in einer innigen Umarmung dargestellt. Ihre Nasen berühren sich dabei, was unserer Form des Kusses entspricht. Auch eine Inschrift in der vorderen Grabkammer weist auf die Exklusivität der Beziehung hin. In ihr wird ausdrücklich festgelegt, dass die Grabbeigaben nur für die beiden Männer bestimmt sind und jede Einmischung ihrer Familien untersagt.
Liebespaar oder Geschwister
Wir würden die beiden Maniküristen des Pharao heute wohl eindeutig als homosexuelles Paar identifizieren. Doch so einfach ist die Sache nicht. Die dänische Ägyptologin Linda Komperud hat sich intensiv mit der Ikonografie und Rezeptionsgeschichte des Grabes befasst: Lange Zeit hat man die Toten als Brüder oder Zwillinge interpretiert. Erst Ende der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts ging man von einem Liebespaar aus. Danach wechselten sich Zwillings-, Brüder- und Homosexuellentheorien in bunter Reihenfolge ab. Zwischenzeitlich wurde auch eine Transgeschlechtlichkeit der Bestatteten in Erwägung gezogen.
Referenzpunkt war hier das Wort „Hm“, was „nicht männlich“ bedeutet und häufig im Grabkontext vorkommt. Heute ist man aber wieder zur Zwillingshypothese zurückgekehrt, wobei die Deutung als Homosexuellenpaar nicht ausgeschlossen wird.
Was für die Interpretation von Nianchchnum und Chnumhotep als eineiige Zwillinge spricht, sind die identischen Titel und die Kleidung der Toten sowie die Ähnlichkeit ihrer Namen. Die Tatsache, dass in dem Grab auch ihre Ehefrauen und Kinder abgebildet sind, könnte als Indiz für beide Theorien gelten. Allerdings sind die Frauen gerade viermal, die Männer zusammen dagegen 30-mal zu sehen, was ziemlich ungewöhnlich ist. Einen starken Beleg für die Interpretation als Homosexuellenpaar stellt die Grabikonografie dar, die identisch mit Mann-Frau-Abbildungen in anderen Gräbern ist. Auch die Tatsache, dass die Ehefrau eines der beiden Bestatteten bewusst aus einer Grabszene entfernt wurde, unterstützt diese Interpretation. Leider gibt es keinen ägyptischen Grabkontext, der als Vergleich für die typische Nähe zwischen Zwillingen herangezogen werden kann.
Selbst wenn es für beide Theorien gute Gründe gibt, ist der heteronormative Bias der Archäologie zu beachten, auf den Komperud verweist: Werden ein Mann und eine Frau zusammen abgebildet, wird selbstverständlich von einem Paar ausgegangen, während eine gleichgeschlechtliche Beziehung immer bewiesen werden muss.
Dabei wird die unreflektierte Annahme einer heterosexuellen Beziehung als wissenschaftliche Objektivität verstanden. Bei gleichgeschlechtlichen Interpretationen geht man dagegen von einer persönlichen Betroffenheit der Autor*innen aus. So wurde Greg Reeder, der als Erster die Idee von Nianchchnum und Chnumhotep als Liebespaar aufbrachte, von anderen Wissenschaftler*innen als „Homosexueller mit einer persönlichen Agenda“ diskreditiert.
Eine gewisse Voreingenommenheit stellt auch die Münchner Ägyptologin Julia Budka mit Blick auf ihr Fach fest: „Eine starke Prüderie und ein Fokus auf Heteronormativität sind sehr deutlich“, womit die Ägyptologie in den Altertumswissenschaften aber nicht alleine sei. Allerdings trage die christlich-bürgerliche-Prägung des Faches viel zur Verstärkung dieser Tendenzen bei.
Zugleich warnt sie davor, moderne Konzepte wie Homosexualität oder Transgeschlechtlichkeit umstandslos auf antike Gesellschaften zu übertragen. Zwar habe es auch im Altertum gleichgeschlechtliche Beziehungen gegeben. Diese seien allerdings anders konnotiert gewesen. Grundsätzlich müsse man dabei zwischen sexuellen Handlungen und kulturell geprägten Vorstellungen von Sexualität unterscheiden. So kannte man in Ägypten keine strikte Trennung zwischen Homo- und Heterosexualität. Auch die Vorstellung einer sexuellen Identität war unbekannt. Sexuelle Vorlieben seien in der Antike eher wie Geschmackspräferenzen behandelt worden und waren für die Persönlichkeit eines Menschen weniger relevant.
Dabei, so Budka, sei auch zu beachten, dass gerade die altägyptische Kultur eine große körperliche Nähe zwischen Männern kenne, ohne dass diese „schwul“ in unserem Sinne gewesen seien. Nianchchnum und Chnumhotep könnten von daher sehr gut Brüder oder Zwillinge gewesen sein. Andererseits sei auch die Darstellung inniger Nähe zwischen Männern in einem Grab des alten Reiches einzigartig und bislang unbekannt.
Eine endgültige Klärung des Sachverhalts ist offensichtlich nicht möglich. Und das ist auch gut so. Vielleicht ist es gerade die sexuelle Mehrdeutigkeit, die die anhaltende Faszination der letzten Ruhestätte der Maniküristen des Pharao ausmacht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs