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"Gomorrha" in CannesPfützen aus Blut

Cristina Nord
Cristina Nord
Kommentar von Cristina Nord und Cristina Nord

Matteo Garrones "Gomorrha" ist kein Film der lauten Empörung, sondern des kalten Registrierens.

Das Rote ist entweder Blut oder Lippenstift. Vorn: Regisseur Matteo Garrone. Bild: reuters

C ANNES taz Am Samstagabend fällt starker Regen auf die Croisette. Die Passanten, die Schaulustigen und die Galabesucher verstecken sich unter Schirmen, sie haben es eiliger als gewöhnlich. Doch sie kommen langsamer voran, weil die Schirme sich blockieren und verhaken. Hohe Schuhe versinken in Pfützen, Abendkleider werden nass, die Limousinen, die die Stars zum Hintereingang der Salle Lumière bringen, stecken im Stau. Am Sonntag in der Früh ist der rote Teppich aufgeweicht. An einer Stelle steht eine Pfütze.

Auch in dem Film, der zur frühen Stunde gezeigt wird, gibt es eine Menge Pfützen, nur sind sie nicht aus Wasser, sondern aus Blut. Der italienische Regisseur Matteo Garrone hat Episoden aus Roberto Savianos Buch "Gomorrha" verfilmt, das vom Wirken der neapolitanischen Camorra handelt. In mehreren, miteinander verzahnten Erzählsträngen entwirft Garrone ein breit gefächertes Bild davon, wie sich das organisierte Verbrechen gestaltet, in welche Bereiche es eindringt und wie es sich die Menschen gefügig hält. In den heruntergekommenen Hochhaussiedlungen am Rande Neapels finden diese unterschiedlichen Stränge zusammen; der Beton, die Gänge und Treppen dieser Gebäude nehmen architektonisch das Gefängnis vorweg; Schulen, Läden und Grünflächen fehlen, dafür gibt es Table-Dance-Bars und Sonnenstudios. Die Geschlechtertrennungjungs beginnen für die Camorra zu arbeiten, wenn sie zwölf sind, ihre Mütter verlassen die Wohnungen so gut wie nie, einzig ein paar weibliche Teenager sind auf der Straße zu sehen - funktioniert perfekt, selbst noch beim Töten.

"Wir bringen keine Frauen um", sagt in einer Szene ein Mafiosi; allerdings hält er sich nicht an die Regel. Die Art, wie Garrone diesen von der italienischen Gesellschaft aufgegebenen Ort filmt, erinnert an die großartige US-amerikanische Fernsehserie "The Wire", die die desolaten Zonen Baltimores zu ihrem Schauplatz macht - "Gomorrha" ist kein Film der lauten Empörung, sondern des kalten Registrierens.

Garrone beschreibt nicht nur das urban wasteland am Rand Neapels, er verfolgt auch die Verbindungen zwischen der Schatten- und der legalen Wirtschaft. In einem der Handlungsstränge geht es darum, dass ein Schneider, der von einer Designermodefirma subkontraktiert wurde, für 30 Euro pro Stück und in kurzer Zeit mehrere hundert Abendkleider anfertigen muss - das gelingt ihm, weil er heimlich mit einer von Chinesen betriebenen Näherei kooperiert, was wiederum den Clans, die sich normalerweise um solche Jobs kümmern, nicht gefällt. Pasquale, so der Name des Schneiders, überlebt die Rache nur knapp. Später wird er schockiert im Fernsehen sehen, wie Scarlett Johansson in einem seiner Kleider am Lido von Venedig über den roten Teppich schreitet.

Am frappierendsten an "Gomorrha" ist, wie wenig Empathie in der Parallelwelt der Camorra möglich ist. Als bei der illegalen Giftmüllentsorgung die Fahrer streiken, weil eines der Fässer ausgelaufen ist, bestellt der Padrone einfach acht-, neunjährige Jungs. In einer Panoramatotale sieht man, wie sie die Laster mit der toxischen Fracht tief in den Steinbruch hineinmanövrieren.

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Cristina Nord
Kulturredakteurin
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