Goethes „Faust“ am Theater Bremen: Mindfuck mit Kondom

Felix Rothenhäuslers „Faust“ setzt in Bremen auf die Rahmentexte Widmung, Vorspiel und Prolog. Siegfried W. Maschek sagt die Verse alleine auf.

Ein Mann, Siegfried W. Maschek, steht, Nebel umwallt, die Hände an der Seitennaht auf der Bühne.

Greift nicht einmal vorbei am vollen Menschenleben: Siegfried W. Maschek in einem Höhepunkt der Bremer „Faust“-Inszenierung Foto: Jörg Landsberg/Theater Bremen

Zeit, sagt man, sei Geld: ­Extreme Wertsteigerung erfährt insofern Goethes „Faust“ am Theater Bremen. Dort haben Regisseur Felix Rothenhäusler und Dramaturg Stefan Bläske ihn einerseits auf objektive 75 Minuten zusammengekürzt.

Die aber wirken im Gegenzug subjektiv wie vier volle Stunden, die einfach nicht vergehen: Das entspricht einer topverzinsten Verdreieinhalbfachung des chronologischen Kapitals.

Ähnlich ökonomisch ist der Cast: Siegfried W. Maschek hat sich der Fleißübung unterworfen, zu rezitieren, was von der Tragödie übrig blieb. Diszipliniert, die Hände an der Seitennaht, steht er mitten auf der Bühne in wechselnder Beleuchtung und sagt ohne nennenswerte Mimik und Betonung den Text auf. Das bürgergebildete Publikum freut sich, wenn zwischendurch der innere Zitatschatzalarm anspringt.

Als musikalische Einspieler hat Jan Grosfeld, der auch als lebendes Requisit im Tier- oder Pierrotkostüm auf- und abtritt, rechtefreie Bruchstücke von „Happy Birthday“ und, passend zum Studierzimmermonolog, „Der Mond ist aufgegangen“ in den Synthie programmiert. Zu letzterem wird eine sicher zweieinhalb Meter hohe weiße Sichel, abnehmend, im Lointain vom linken Rand auf die von Katharina Pia Schütz freigeräumte Bühne gefahren.

Schauspiel „Faust“, Theater Bremen, Kleines Haus, wieder am 1.,15. und 27. 6., jeweils 20 Uhr, sowie 29. 6., 19 Uhr

Wenn die Träne quillt und die Erde den suizidalen Doktor Johannes Faust wieder hat, gibt’s einen Knalleffekt per Konfettikanone. Und immer wenn „Dunst und Nebel“ steigen zischen von links und rechts je ein Stoß Gewölk auf die Bühne. Erstmals passiert das in der „Zueignung“.

Die wird sonst oft nicht mitinszeniert. Sie ist ja auch im Original nicht Teil des Dramas. Ihre vier Stanzen bilden zusammen mit dem „Vorspiel auf dem Theater“ und schließlich dem „Prolog im Himmel“ den 353 Verse langen theatertheoretischen Rahmen, in den Goethe die Tragödie eingepackt hat. Auf ihn haben, auch wenn vor Begeisterung verwirrte Kritiker das übernächtigt nicht mitkriegen, Rothenhäusler und Bläske für ihre Fassung den Akzent gelegt.

Also werden dieses Widmungsgedicht, dann das Vorspiel auf dem Theater und schließlich der Prolog im Himmel nahezu ungekürzt kreuzbrav hintereinander weg aufgesagt. Das macht das erste Drittel des Abends aus.

Dass auch da schon alle Binnendifferenzierungen wie Rollen, szenische Aktionen oder emotionale Aufwallungen gekonnt beseitigt sind, schützt diese Metatexte aber vor Sinnstiftung und Lustentfaltung zugleich: Es ergibt sich ein besonders saftloser Mindfuck mit Kondom, Pessar und ohne Anfassen.

Die Handlung – der frustrierte Gelehrte Faust schließt, um endlich doch Erfüllung zu finden, einen Pakt mit dem Teufel, hat Sex mit Gretchen, die dann als Kindsmörderin hingerichtet wird etc. pp. – interessiert schon mal gar nicht.

So bleibt, außer der Leistung, dass ein Sprecher den ganzen Verssalat allein spricht – das ist sportiv durchaus beachtlich, aber gemessen an anderen Soli der Theaterliteratur keineswegs rekordverdächtig – nichts von dieser Kunstübung in Erinnerung. Nichts weist über sie hinaus: Sie lässt sich bestenfalls als Feier von Sekundärtugenden bewerten. Teilnahmslosigkeit scheint die angemessenste ­Reaktion.

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