Globaler Klimastreik auch in Berlin: Dieser Streik ist politisch!
Politischer Streik gilt in Deutschland als verboten, doch die Rechtslage ist uneindeutig. Fridays for Future und linke Gruppen rufen zum Streik auf.
Es ist nicht leicht, sich das vorzustellen, auch weil Berlin selbst an Feiertagen so geschäftig ist wie keine andere Stadt. Aber wie sähe die Stadt aus, wenn alle Berliner die Arbeit niederlegen würden?
Einen Aufruf dazu gibt es für Freitag: Zuerst haben die Fridays for Future für den 20. September zum globalen Klimastreik aufgerufen. Jetzt sieht so aus, als würde ihr monatelanger Protest auf weitere Bevölkerungsteile überschwappen. Am Dienstag, bei einer Pressekonferenz im HAU-Theater, flankierten den FFF-Sprecher Quang Paasch deshalb Aktivisten mehrerer anderer Initiativen: vom kulturpolitischen Bündnis „Reclaim Club Culture“, eine Vertreterin der care-politischen Gruppe „We care for Future“, ein Unternehmer von den „Entrepreneurs for Future“ und Sprecherinnen des linken Bündnisses „Ungehorsam für Alle“.
Sie alle beteiligen sich an der Klimastreikdemo am Freitag in 22 thematischen Blöcken. Die Clubber rufen zusätzlich zum „Rave Aufstand“ auf. Die Gruppen von „Ungehorsam für Alle“ möchten dazu ab 16 Uhr Berliner Straßen blockieren. Hannah Eberle, Sprecherin des Bündnisses, sagt: „Wir laden alle Berlinerinnen und Berliner dazu ein, am Freitag ihre Autos stehen zu lassen.“
Das Bündnis, für das Eberle spricht, hat sich erst vor ein paar Wochen gegründet. Zu „Ungehorsam für Alle“ gehören neben den klimapolitischen Gruppen Extinction Rebellion und Ende Gelände viele Gruppen, die sich thematisch unterscheiden: das Bündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn, der Frauen*streik, die Seebrücke, die Interventionistische Linke, die Grüne Jugend oder die Linksjugend Solid.
„Klimakrise ist Gerechtigkeitskrise“
Das Gemeinsame: Solidarität mit der FFF-Bewegung, aber auch ein Bewusstsein darüber, dass ihre stadt-, mieten-. migrations- und sozialpolitischen Anliegen mit dem Klimathema zusammenhängen – und dass der globale Klimastreik nun eine Gelegenheit dafür bietet, diesem Zusammenhang öffentlich Rechnung zu tragen.
„Wir haben dieses Bündnis gegründet, weil wir unsere inhaltliche Schlagkraft verstärken wollen“, sagt Eberle. Und: „Die Klimakrise ist auch eine Gerechtigkeitskrise.“ Damit meint sie Fluchtbewegungen, die von der Klimakrise verursacht werden, oder die Kosten der Krise, die global ungleich verteilt werden. Das Bündnis schließt sich deshalb den klimapolitischen Forderungen von FFF an, geht aber noch weiter: „Wir wollen eine Energiewende, die nicht an Profiten, sondern an den Bedürfnissen der Menschen orientiert ist“, sagt Eberle. Eberle spricht bei der Pressekonferenz auch von der Vergesellschaftung der Energieversogung. Sie ruft die Angestellten, Arbeiter und Arbeitslosen der Stadt auf, sich am zivilen Ungehorsam und dem Streik zu beteiligen.
Ob und wie viele Menschen in Berlin tatsächlich streiken werden, ist ungewiss. Die Gewerkschaften haben nicht zum Streik aufgerufen – auch wenn Verdi-Chef Frank Bsirske gesagt hat: „Wer kann, sollte ausstempeln und mitmachen.“ Dabei kann man nur in der Arbeitszeit streiken.
Dass die Gewerkschaften nicht zum Streik aufrufen, liege einerseits daran, dass es bei den Gewerkschaftsführungen keine Mehrheiten für den Klimastreik gebe, sagt Jörg Nowak, Politikwissenschaftler und Streikforscher an der University College Dublin. Andererseits liegt es auch an einer ungeklärten Rechtslage: Denn im Gegensatz zu sogenannten ökonomischen Streiks, die sich auf konkrete Forderungen der Arbeitnehmer gegenüber den Arbeitgebern beziehen, etwa im Rahmen von Tarifverhandlungen, gelten politische Streiks in Deutschland verboten. Das geht auf ein Urteil des Freiburger Landesarbeitsgerichts aus dem Jahre 1952 zurück, das den damaligen „Zeitungsstreik“ als unrechtmäßig beurteilt hatte. Mit diesem Streik wollten Angestellte von Zeitungsbetrieben mehr Mitbestimmungsrechte im Betriebsverfassungsgesetz verankern.
Verbot nicht gesetzlich verankert
Ein Verbot von politischem Streik ist aber weder im bundesdeutschen noch im europäischen Rahmen gesetzlich geregelt. In der Bundesrepublik hat es auch nach dem Freiburger Urteil immer wieder politische Streiks gegeben: gegen die Notstandsgesetze 1968 oder gegen den Nato-Doppelbeschluss 1983. „Die Rechtswirklichkeit steht mit der herrschenden Rechtsmeinung im Konflikt“, sagt Nowak. „Ob politische Streiks sanktioniert wurden, hing immer von den politischen Kräfteverhältnissen ab.“
Der wohl bekannteste politische Streik in Berlin war der Januarstreik von 1918: Metallarbeiter hatten zu diesem aufgerufen, um eine Ende des Krieges, bessere Lebensbedingungen und eine Demokratisierung der Gesellschaft zu fordern. Der Streik führte in die Novemberrevolution. In den letzten Jahren dagegen brachte der Frauenstreik am 8. März das Thema politischer Streik wieder auf die Agenda.
Fridays for Future mobilisiert unter dem Motto „Alles fürs Klima“ zu bundesweit 541 Demos.
Die Berliner Demonstration beginnt um 12 Uhr am Brandenburger Tor. Die Veranstalter haben 10.000 Personen angemeldet, mit 22 Themenblöcken dürfte die Demo aber wesentlich größer ausfallen. Nach einer Tour durch Mitte endet die Route am Ausgangsort.
Auch die taz ist mit ihren Lesern und Unterstützern in einem eigenen Demoblock dabei.
Der „Rave Aufstand“ von Reclaim Club Culture beginnt unter dem Motto „No Future No Dancefloor“ um 15 Uhr am Potsdamer Platz. Geravt wird durch Mitte. Die Abschlusskundgebung findet dann um 19 Uhr am Alexanderplatz statt.
Sitzblockaden: Die Aktivisten von „Ungehorsam für Alle“ möchten ab 16 Uhr Straßen an verschiedenen Orten in Berlin blockieren. Ihr ziviler Ungehorsam soll in der Form von Sitzblockaden stattfinden. (taz)
Die Streiks in Deutschland wurden inspiriert von ähnlichen Frauenstreiks in Argentinien, die sich gegen Gewalt an Frauen richteten. „Berlin ist ein besonderer Ort für politischen Streik, weil die Stadt sehr international ist und man sich im Vorfeld des Frauenstreiks über die Erfahrungen in anderen Ländern austauschen konnte“, sagt Eberle vom Bündnis „Ungehorsam für Alle“.
Klimastreik kann auch Imagearbeit sein
Kurz vor dem Klimastreik in Berlin sieht es danach aus, dass manche Arbeitgeber ihre Mitarbeiter für den Streik freistellen – viele von ihnen aber nur, wenn die Arbeitnehmer dafür Urlaub nehmen. Auch die Düsseldorfer Stadtverwaltung erlaubt es ihren Mitarbeitern, am Streik teilzuhaben – wenn sie dafür Gleitzeitstunden oder Urlaub in Anspruch nehmen. Der Springer Verlag gehört zu jenen, die freistellen, ohne dass sich Mitarbeiter Urlaub nehmen müssen. In Zeiten großer Beliebtheit des ökologischen Themas kann Klimastreik auch wertvolle Imagearbeit sein.
Über mögliche rechtliche Folgen für Arbeitnehmer sagt Streikforscher Nowak: „Man muss es ausprobieren und sehen, was passiert.“ Weil die Stimmung gegenüber den Anliegen von FFF so positiv sei, dürfte es manchen Arbeitgebern zumindest schwer fallen, ihre Angestellten zu bestrafen. „Die müssen das dann in der Öffentlichkeit ausbaden“, sagt Nowak.
Sowohl der Streikforscher als auch die Aktivistin Eberle finden, der Klimastreik biete eine Gelegenheit dafür, den Begriff des Streiks zu erweitern und zu aktualisieren. „Das Klima ist ein Thema, das derzeit verschiedene Bewegungen zusammenführt“, sagt Nowak. Der Klimastreik, wie er jetzt bevorsteht, wird in jedem Fall viele Berliner politisieren. Vielleicht wird dann auch noch mehr daraus.
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