Globale Schuldenkrise: Etliche Länder vor der Pleite

Erst kam die Pandemie, dann Krieg und Inflation: Vielen Staaten droht die Zahlungsunfähigkeit. Ohne China sind sie nicht zu retten.

Abfüllanlage von Coca Cola in Äthiopien

Nur wenige Investoren lassen ihr Geld im Globalen Süden: Coca-Cola-Anlage in Äthiopien Foto: Michael Twelde/dpa

BASEL taz | „Es sind noch mehr Sri Lankas auf dem Weg“, sagte Carmen Reinhart in der vergangenen Woche. Die Chefökonomin der Weltbank meinte damit Länder, die wahrscheinlich ihre Schulden nicht mehr bedienen können. Tatsächlich zeigen Zahlen des Internationalen Währungsfonds (IWF), dass bereits mehr als die Hälfte der ärmsten Länder der Welt faktisch pleite sind oder kurz davor stehen.

Viele Entwicklungsländer sind geschwächt in das Jahr 2022 gestartet. Die Coronapandemie hatte zwei Jahre lang die Einnahmen aus dem Tourismus wegbrechen und die Gesundheitsausgaben steigen lassen. Dazu kommt nun, dass die Preise für Lebensmittel und Energie – nicht zuletzt wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine – stark ansteigen und so die Inflation befeuern. Um dieses Feuer auszutreten, erhöhte die US-Zentralbank Fed die Zinsen: Von 0,25 Prozent Anfang 2022 kletterten sie so auf zuletzt 2,5 Prozent, also das Zehnfache.

Die höheren US-Zinsen wirken sich in verschiedener Hinsicht auf die Entwicklungsländer aus: Investoren ziehen ihr Kapital schon seit fünf Monaten von dort ab und bringen es wieder in die USA. Dem Institute of International Finance zufolge ist das die längste je beobachtete Periode von kontinuierlichen Abflüssen. Das wiederum stärkt den Dollar und schwächt alle anderen Währungen, was die Zahlung von Zinsen auf Kredite verteuert. Und wenn die Kredite auslaufen, müssen sich die Entwicklungsländer auf deutlich höhere Refinanzierungskosten gefasst machen.

Mittlerweile gehen daher viele Investoren davon aus, dass einige Länder diesem Druck nicht standhalten können. Erkennbar ist das am „Spread“, also der Zinsdifferenz zwischen den Anleihen eines Landes und vergleichbaren US-Anleihen. Diese Differenz liegt oft bei über zehn Prozentpunkten. Das gilt derzeit für Papiere im Wert von über 400 Milliarden Dollar.

Die lange Liste der gefährdeten Länder

Die Liste der gefährdeten Länder ist lang. Der Libanon, Sambia, Sri Lanka und Surinam sind bereits pleite. Russland ist zumindest „technisch“ bankrott, weil es seine Zinsen auf Dollaranleihen in Rubel begleichen will – was aus Sicht der Finanzmärkte allerdings nicht sonderlich dramatisch ist. Anders ist es bei den Ländern an der Schwelle zum Staatsbankrott. Hierzu zählen auch große Staaten.

In Afrika haben Ägypten, Äthiopien, Kenia und Nigeria sowie Tunesien und Ghana einen Spread von mehr als 10 Prozentpunkten. In Asien gilt das Gleiche für Pakistan, und auch Bangladesch hat bereits den IWF um Hilfe angefragt. Kritisch sieht es auch in Argentinien aus: Argentinische Anleihen sind für ein Fünftel ihres Nennwerts zu haben, der Spread liegt bei 28 Prozentpunkten. In Südamerika könnten zudem El Salvador und Ecuador in Kürze zahlungsunfähig sein.

Selbst in Europa könnte dieses Schicksal zwei Länder ereilen: Sowohl die Anleihen der Ukraine als auch die des Nachbarn Belarus haben massiv an Wert verloren. Und dann ist da noch die Türkei mit einer Inflationsrate von 80 Prozent.

Diese Liste ließe sich fortsetzen. Von den 70 ärmsten Ländern haben mehr als die Hälfte Probleme: 7 sind bereits de facto pleite und bei 30 weiteren ist die Wahrscheinlichkeit „hoch“, dass sie es demnächst sind, wie eine Zusammenstellung des IWF zeigt.

Diese Situation könnte sich noch verschlimmern, wenn es gleichzeitig zu einer Rezession in den drei größten Volkswirtschaften der Welt kommen sollte. Ganz unwahrscheinlich ist das nicht – in den USA wegen der Inflation, in der EU wegen des russischen Gasembargos und in China wegen der Coronapolitik und der Immobilienkrise. Vor diesem Hintergrund wären vorsorgende Maßnahmen sinnvoll.

China ist größter Kreditgeber für Entwicklungsländer

Bei ihrem Treffen im Juli konnten sich die G20-Finanzminister allerdings nicht einigen. Auch Weltbank-Ökonomin Reinhart glaubt nicht, dass sich schnell eine Lösung finden lässt: „Meine Befürchtung ist, dass es lange dauern wird, bis ein umfassendes Konzept vorliegt, das tatsächlich zu einem substanziellen Schuldenabbau führt. Jahre.“

Die entscheidende Frage ist, wie sich China verhält. Das Land ist in den letzten Jahren zum größten Kreditgeber für Entwicklungsländer aufgestiegen. Folglich ist die Umstrukturierung von Schulden in den meisten Fällen nur möglich, wenn China mitzieht. Das Problem ist, dass China im Gegensatz zu den westlichen Gläubigerstaaten keine Erfahrung mit überschuldeten Kreditnehmern hat.

Dabei wäre das wichtig, denn 60 Prozent des chinesischen Kreditportfolios besteht aus Krediten an Länder in finanziellen Schwierigkeiten. Hier gab es allerdings eine positive Entwicklung: Vergangene Woche einigten sich Sambia, dessen Gläubiger und der IWF auf eine Umstrukturierung. Ausgehandelt wurde diese Vereinbarung unter dem Vorsitz Frankreichs – und Chinas.

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