Glaube und Aberglaube: Nie den linken Schuh zuerst!
Das Religionsbekenntnis unserer Kolumnistin wirft immer wieder eigenartige Fragen auf. Dabei bestimmt der Aberglaube ihr Leben viel mehr.
B ereits in der Schule hat mein Religionsbekenntnis für viele Fragen gesorgt. Ob ich Kopftuch tragen muss und irgendwann verheiratet werde. Ich wurde älter und die Fragen wurden noch dümmer. Ob ich Weihnachten feiere, fragen mich dieselben Bekannten jedes Jahr aufs Neue. Ich weiß nicht, ob sie Gedächtnisprobleme haben oder jährlich hoffen, ich wäre endlich zum Katholizismus konvertiert.
Es gibt aber einen Glauben, der mein Leben seit meiner Kindheit tatsächlich einschränkt und der mich noch im Erwachsenenalter kontrolliert, nach dem sich aber nie wer erkundigt: der bosnische Aberglaube. Anfangs ließen meine Eltern Sprüche wie „Nie den linken Schuh zuerst anziehen“ ganz nebenbei fallen, oder schütteten mir vor einer Prüfung kommentarlos Wasser hinterher, damit der Test so flüssig verläuft wie Wasser.
Als die ersten in meinem Umfeld anfingen zu heiraten und Kinder zu kriegen, wurde mir erst klar, wie einschränkend dieser Aberglaube ist: Bloß nicht zwischen zwei religiösen Feiertagen, also zwischen Bajram-Festen, heiraten. Babys nie in den Spiegel schauen lassen. Das Neugeborene ja nicht nach Sonnenuntergang aus dem Krankenhaus nach Hause bringen.
Wenn ein Baby zu Besuch ist, müssen die Gastgeber ihm vor dem Abschied immer ein Stück Brot mitgeben, damit es niemals hungrig bleibt. Nie sagen, dass das Baby süß ist, lieber mit Babystimme „Du hässliches Mausi“ flüstern, damit kein Auge gemacht wird. Dem Baby Geld unter das Kopfkissen legen, damit es mal reich wird.
Kein Weg zurück
Wenn man selbst kein Kind hat, belächelt man die bosnischen Omas und Onkel für ihre „Weisheiten“. Doch auch meine Cousine, die kürzlich ein Baby auf die Welt gebracht hat, hält sich plötzlich streng an jeden Aberglauben. Weil schaden kann es ja nicht. Wirklich nicht?
Immer wenn ich verreise und noch im Hauseingang draufkomme, dass ich etwas vergessen habe, gehe ich nicht zurück, um es zu holen, weil das angeblich Pech bringt und wer will schon für eine Taucherbrille mit dem Flugzeug abstürzen? Und jedes Mal auf Neue ärgere ich mich am Urlaubsort über den zurückgelassenen Gegenstand. Übrigens: Dienstags soll man nicht reisen.
Aber auch für ganz alltägliche Situationen gibt es Regeln: Niemals den Müll abends rausbringen. Beim Entkleiden die Kleidung nie verkehrt herum liegen lassen, sonst wendet sich die ganze Welt gegen einen.
Abergläubische Menschen gibt es in jedem Land. Aber ich habe das Gefühl, dass sich in Bosnien, das ja in seiner Geschichte von allen möglichen Ländern besetzt wurde, der Aberglaube der ganzen Welt an einem Ort versammelt. Es gibt keine Situation, für die eine bosnische Tante keinen abergläubischen Rat parat hat. Und langsam werde ich auch zu so einer Tante, deshalb an dieser Stelle: In der Silvesternacht niemals Wäsche auf der Leine lassen, das bringt Unglück.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione