Gitarrist von Ton Steine Scherben tot: Hausmeister des Universums

R. P. S. Lanrue, der stille, aber einflussreiche Gitarrist der Berliner Polit-Rockband Ton Steine Scherben ist gestorben. Ein Nachruf.

R. P. S. Lanrue steht mit der Gitarre auf einer Bühne vor lila Nebel.

Stille Kraft der Scherben: R. P. S. Lanrue bei einem Konzert in Berlin 2014 Foto: Peng/Pop-Eye/imago

Eigentlich wäre er auch ganz gern Profifußballer geworden, erzählte Lanrue vor rund einem Jahr in seinem Kreuzberger Stammlokal. Wir sprachen über Fußball, seine zweite große Leidenschaft neben der Musik. Das war erstaunlich, immerhin hatte der Gitarrist der Band Ton Steine Scherben Songs komponiert, die zu den besten der deutschsprachigen Rockmusik gehören.

„Keine Macht für niemand“, „Schritt für Schritt ins Paradies“ – Songs, die für eine lang entfernte Epoche (west-)deutscher Jugendkultur der 1970er stehen und trotzdem bis heute nachhallen. In seriösen Rankings der wichtigsten deutschen Rocksongs und auf Demos von Systemgegnern, die nostalgisch linkem Parolenrock frönen.

Ton Steine Scherben waren in den 1970ern berühmt für ihre kämpferischen und rebellischen Lieder, die das kapitalistische System in Frage stellten und auch noch geil klangen. Viele Menschen verbinden sie vor allem mit dem verstorbenen Sänger Rio Reiser. Andere wissen, dass Gitarrist Lanrue sein kongenialer Partner und Komponist vieler Scherben-Songs war. Sie sehen in beiden das deutsche Pendant zu Jagger/Richards.

Kein Primat des Geldverdienens

Tatsächlich waren ihre Songs denen der Stones nicht unähnlich, gerade in ihrer rauen, energischen Aufgeladenheit und der Anti-Establishment-Attitüde. Zugleich gab es einen Riesenunterschied. Während die Stones zwar rebellische Songs veröffentlichten, aber immer am Primat des Geldverdienens festhielten, lief es bei den Scherben umgekehrt. Sie versackten auf dem Weg vom Legendenstatus zum finanziellen Erfolg. Keine deutsche Band mit ähnlich vielen Gassenhauern lebte so prekär.

Was ihren Mythos als fröhlich-aufrechte Antikapitalisten noch steigerte, aber die Scherben nicht glücklicher machte. „Wir haben nicht jeden Nachmittag über die Verflechtungen des europäischen Finanzkapitalismus diskutiert, wir waren Musiker“, sagte ­Lanrue mal ebenso ironisch wie genervt vom Missverständnis, dem etliche Fans unterlagen.

Linke Revolutionswächter maßten sich ja permanent an, das politisch korrekte Handeln der Band zu beurteilen. „Ständig musstest du dich erklären, warum du was machst.“ Dieses typisch Deutsche ging dem intelligenten, pragmatischen und zurückhaltenden Menschen Lanrue auf den Wecker. Er war ja auch Franzose.

Fußball oder Musik

Als Sohn eines Deutschen und einer Französin wurde Ralph Peter Steitz 1950 in Grenoble geboren. 1963 zog die Familie mit vier Kindern nach Hessen. Dort begann R. P. S. Lanrue, wie er sich später nannte (eine Verballhornung von „de la rue“: von der Straße), mit dem Musikmachen. Parallel spielte er Fußball im Verein und galt als großes Talent.

Für die Beatmusik entschied er sich, nachdem er den gleichaltrigen Ralph Möbius, späterer Künstlername Rio Reiser, kennengelernt hatte. Um dem Wehrdienst zu entfliehen gingen beide 1967 nach Westberlin, wo sie in diversen Musiktheaterprojekten arbeiteten und 1970 in Kreuzberg Ton Steine Scherben gründeten.

Dass die Band bis heute vorzugweise als Klassenkampfrocklegende gefeiert wird, ist Folge allgemeiner Klischeeverliebtheit. Dabei hat sie musikalisch ein unendlich breites Spektrum bedient, wie sich besonders auf dem Doppelalbum „IV“ (1981) zeigte. Dort hat nicht zuletzt Lanrue seine ganze Vielseitigkeit als Komponist eingebracht.

„Während Lindenberg und Gröne­meyer eher auf a-Moll, D-Dur, C-Dur setzen, klangen diese Songs sehr komplex, zwischen Stones und Theatermusik und sogar bis zurück in die deutsche Romantik“, sagt Lutz Kerschowski, ein enger Freund und selbst Musiker. 1988 spielte er im Vorprogramm der legendären Ostberlin-Konzerte von Rio Reiser, bei denen Lanrue zum letzten Mal gemeinsam mit seinem Freund Rio auf der Bühne stand.

Während Reiser seit 1985 als Solist tätig war und auch kommerzielle Erfolge feierte, hatte sich Lanrue nicht konsequent mit Soloprojekten befasst. Songs für ein eigenes Album hatte er zwar fertig geschrieben, aber weil Rio die aufgrund seines Plattenvertrages nicht texten und einsingen durfte, blieb es unvollendet. Was ihn offenbar nur bedingt umtrieb. Er ruhte in sich selbst und beschenkte seine Freunde mit Bonmots wie „Rio ist der König von Deutschland, ich bin der Hausmeister des Universums“.

Nach der Jahrtausendwende ging er für ein paar Jahre nach Portugal. Er sei nun Zitronenzüchter, sagte er. Nachdem sein Wohnwagen bei einem Waldbrand abgefackelt wurde, kehrte er wieder zurück nach Berlin. In den letzten Jahren kämpfte er mit dem Krebs, unterstützt von seiner Lebenspartnerin Anne. Am letzten Sonntag starb er im Kreis seiner Familie.

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