Giffey lobt, Grünen-Fraktion kritisiert: Freund, Feind, Koalitionsfreund
Im Abgeordnetenhaus müht sich die Regierungschefin um eine positive Bilanz und ist angesäuert vom oppositionell klingenden Grünen-Fraktionschef Graf.
Die Zunge kann lügen, der Körper nie.“ Dieser Satz von Sammy Molcho, dem weltberühmten Pantomimen, gilt auch am Donnerstag im Abgeordnetenhaus. Da sitzt Regierungschefin Franziska Giffey (SPD) mit verschlossener Miene und vor dem Körper eng verschränkten Armen auf ihrem Platz. Kaum drei Meter weiter steht einer am Rednerpult, der minutenlang nicht viel Gutes an ihrer Regierung lässt: kein Termin auf dem Bürgeramt buchbar, öffentliche Gebäude, die fast auseinander fallen, andauernder Lehrermangel.
All das hat Giffey schon oft gehört – es gehört zur Standardkritik der Opposition. Zu ihrer angespannten Haltung, in Molchos Körpersprachen-Abc Zeichen für Selbstschutz und Ablehnung, führt merklich, dass gerade gar kein Oppositionspolitiker redet. Da steht vielmehr der Grüne Werner Graf am Mikro, der als Partei- und Fraktionschef seit 2016 mitverantwortlich für rot-grün-rote Politik ist. Der sagt nun, nachdem Giffey in einer einstündigen Regierungserklärung die Errungenschaften ihrer erst 332 Tage alten Amtszeit aufgelistet hat: „Ein Verstecken hinter dem Schönreden einzelner Erfolge darf es nicht mehr geben.“ Und dass man Berlin „vom Kopf auf die Füße“ stellen müsse.
Giffey, die mit ihrer Regierungserklärung auf das Verfassungsgerichtsurteil zur Wahlwiederholung reagierte, lächelt nach minutenlanger Schelte durch Graf erstmals wieder, als FDP-Fraktion Sebastian Czaja den Grünen am Mikrofon ablöst. „Merken Sie was?“, fragt Czaja die Regierungschefin und zitiert dann einen Slogan, den die FDP früh morgens vor dem Abgeordnetenhaus plakatiert hat: „Noch nie hat Scheitern solche Chancen eröffnet.“ Chance, das heißt für Czaja vor allem, dass Giffey sich von Koalitionsfreunden wie Graf verabschieden und nach der Wahlwiederholung am 12. Februar lieber mit der FDP regieren soll.
Graf kleidet das zwar alles in ein „Wir“, was suggeriert, dass auch die Grünen Verantwortung für die von ihm skizzierten Zustände übernehmen würden. Doch auffälligerweise betreffen seine Beispiele bloß SPD-geführte Senatsverwaltungen. Zu widerrechtlicher Straßensperrung, zu verantworten durch das grün-geführte Verkehrsressort, sagt Graf nichts. Das ist umso spannender, weil er eingangs so über die Koalition urteilt: „Eine Kombination aus diesen drei Farben tut Berlin gut.“ Wobei das die Frage aufwerfen könnte, was denn bei Rot-Grün-Rot die dritte Farbe ist.
Später wird Linken-Fraktionschefin Anne Helm ziemlich klar machen, dass die Linkspartei gerne einfach weiter mitregieren und sich aus dem Streit der beiden großen Partner raushalten will – und bekommt darum auch von beiden Applaus. Denn ihre Kritik richtet sich an CDU und FDP: Mit denen wäre aus Helms Sicht etwa das jüngst beschlossene Entlastungspaket nicht machbar gewesen – „oder höchstens mit einem Berliner Tankrabatt.“
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