Gianluca Grimalda Am Boden geblieben: Es scheint nur unmöglich
Wer Flugscham ernst nimmt, muss mit Konsequenzen rechnen. Forscher Gianluca Grimalda verlor deshalb seinen Job. Hier erzählt er, wie er nun reist.
D er Wissenschaftler Gianluca Grimalda, 51, will nicht mehr fliegen – fürs Klima. Weil er deshalb nicht rechtzeitig von einer Forschungsreise in Papua Neuguinea zurückkam, feuerte ihn das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW). Die taz begleitet ihn auf seiner Reise per Schiff, Bus und Bahn zurück.
Von Kunming im Südosten Chinas bis nach Kaxgar in der Provinz Xinjiang sind es über Land fast 5.000 Kilometer. Nach Wochen, in denen ich nur mühsam und langsam vorankam, habe ich diese riesige Distanz in einer Woche zurückgelegt. Der nächste Schritt führt mich über den Kulma-Pass nach Tadschikistan. Während auf der Weltklimakonferenz in Dubai über die Zukunft unserer Lebensgrundlagen verhandelt wird, habe ich im Zug über Kipppunkte nachgedacht. Vor kurzem haben wir einen Bericht zu dem Thema veröffentlicht, an dem ich gemeinsam mit 200 Wissenschaftler:innen gearbeitet habe. Der Amazonas-Regenwald, der grönländische Eisschild, der Permafrostboden – mittlerweile wissen wir, dass diese lebenserhaltenden Systeme kippen können. Die Wahrscheinlichkeit dafür steigt mit jedem Kilogramm CO2, mit jedem zehntel Grad Temperaturanstieg.
Aber neben diesen negativen Klima-Kipppunkten gibt es auch positive Kipppunkte. Konstruktive Durchbrüche, die eine unaufhaltbare gesellschaftliche Dynamik in Gang bringen können. Beim Klima gibt es diese Kipppunkte zum Beispiel in dem Moment, in dem erneuerbare Energien überall auf der Welt günstiger sind als Kohle, Öl und Gas. Aber auch im Sozialen. Zum Beispiel, wenn ein Großteil der Bevölkerung wirklich nachhaltig lebt und dadurch auch sein Umfeld mitzieht.
Auf meiner Reise begegne ich in Bussen und Bahnen immer wieder Menschen, die mir von überfluteten Feldern, ausgetrockneten Böden und durch Stürme zerstörten Häusern erzählen. Sie merken, dass sich die Temperaturen verändern. Aber oft wissen sie nicht, dass es die Abgase unserer Klimaanlagen, Autos und Fabriken sind, die den Planeten aufheizen. Bis wir global einen Kipppunkt beim Klimabewusstsein oder gar beim Handeln erreichen, haben wir noch viel Arbeit vor uns.
Es gibt eine Eigenschaft von Kipppunkten, die mir Hoffnung macht. Sie erinnert mich an ein Zitat von Nelson Mandela: „Es scheint immer unmöglich, bis es geschafft ist.“ Bei Kipppunkten sieht es oft so aus, als würde nichts, bis man ihn überschritten hat. Doch danach geht alles ganz schnell. Es gibt kein Zurück mehr. Vielleicht sind wir näher an manchen positiven Kipppunkten, als wir glauben.
Protokoll: Mitsuo Iwamoto
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter