Gewissensfragen auf Reisen und Daheim: Schmiergeld für Anfänger
Ob bei der Wohnungssuche in Berlin oder beim Versuch, irgendwo ein Visum zu erhalten: Ein Schein extra kann die Vorgänge deutlich beschleunigen.
Marokko, irgendwo zwischen Marrakesch und Essaouira. Ich sitze im Kleinbus und versuche, auf den kurvigen Straßen meinen Couscous unten zu behalten. Plötzlich eine abrupte Bremsung – am Straßenrand steht winkend ein Polizist. Ich schlucke. Meine Freunde, zwei Reihen vor mir, haben Hasch dabei. Damit lässt man sich besser nirgendwo erwischen, schon gar nicht in Marokko. Der Fahrer kurbelt das Fenster herunter, hält einen kurzen Plausch mit dem Polizisten. Der streckt seine Hand aus, die vorher noch locker auf dem Gewehr lag, reicht sie dem Fahrer, und – uff! – der Bus fährt weiter. Durch die Heckscheibe sehe ich, wie der Polizist ein paar Scheine in der Uniformtasche verschwinden lässt.
Bestechung gehört fast überall auf der Welt zum Alltag. In arabischen Ländern gibt man für kleine Gefälligkeiten ein Bakschisch, eine Mischung aus Trinkgeld und Almosen. Erfahrene Reisende vergessen bei der Grenzkontrolle in Südostasien oder beim Visumbeantragen im russischen Konsulat gern mal einen Schein in ihrem Pass.
Und in Deutschland? Seit Jahren hat man auf dem Berliner Wohnungsmarkt kaum eine Chance, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Es sei denn, man bietet dem Vormieter an, ihm seine halbe Wohnungseinrichtung zu absurden Preisen abzunehmen. Dafür legt er dann ein gutes Wort beim Vermieter ein. Den ranzigen Krempel entsorgt der glückliche Neumieter hinterher auf dem Sperrmüll. Eine Schweinerei. Aber doch irgendwie verständlich, dass man mitmacht, wenn man verzweifelt auf Wohnungssuche ist.
Was aber, wenn man sich in einem fremden Kulturkreis bewegt? Man ahnt, dass der Beamte hinter dem Schalter so betont langsam Formulare durchforstet, weil er auf einen kleinen Anreiz wartet, das richtige zu finden. Aber wie steckt man ihm diesen zu? Schließlich hat nicht jeder in dieser Hinsicht die Routiniertheit eines marokkanischen Busfahrers.
Beschleunigung behördlicher Vorgänge
Der Reiseautor Helge Timmerberg hat beruhigende Worte für alle, die sich im Umgang mit Schmiergeldern unsicher fühlen. Er hat schon in Marrakesch gelebt, ist von Bielefeld nach Indien getrampt und in 80 Tagen um die Welt gereist. Trotzdem erinnert er sich nur an wenige Situationen, in denen er blechen musste. Mit Schmiergeldern habe man als Reisender eher selten zu tun. Erst wenn man sich irgendwo niederlässt und häufiger mit Behörden verkehrt, werde das Thema wirklich relevant.
Empfänger von Schmiergeldern sind vor allem Behörden und Polizisten. Bei Ersteren kann man unauffällig kleinere Summen in Umschlägen oder Pässen zurücklassen. Mit zehn bis zwanzig Euro ließen sich behördliche Vorgänge in der Regel beschleunigen, so Timmerberg. Diese Summe dient als Faustregel, sie ist überall auf der Welt angemessen. Die einfachste Übergabe: alle Formulare und Unterlagen zusammen mit ein paar Scheinen in einen Umschlag packen.
Warum es toll ist, ein Objekt zu sein – und was Heterosexuelle sonst noch von Schwulen und Lesben lernen können, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 9./10. August 2014. Außerdem: Eine Ausbilderin bei den UN-Blauhelmen erzählt von der inneren Zerrissenheit der Militärs. Und: So klappt's auch mit dem Schmiergeld. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Schwieriger wird es, wenn man mit dem Gesetz in Konflikt gerät. Bei Verkehrsdelikten oder kleineren Rauschgiftvergehen kann man sich oft mit der Polizei einigen. Ein ungefährlicher Einstieg in die Verhandlung: „Gibt es vielleicht eine andere Möglichkeit, das zu regeln?“ Offensichtliche Bestechungsversuche sollte man in solchen Fällen aber unbedingt vermeiden, rät Helge Timmerberg. Schlimmstenfalls gerate man an jemanden, der keine Touristen mag, sie vielleicht für überheblich hält. Eine klare Absichtsbekundung wie das Zustecken eines Scheins kann dann als Provokation aufgefasst werden.
Komplexes kulturelles System
In Situationen, in denen ein Schmiergeld erwartet wird, hat man aber oft keine Chance, sich dem zu entziehen. Eine Verweigerung aus deutscher Korrektheit kann dann als Unverschämtheit ausgelegt werden: „Was glaubt diese Touristin eigentlich, wer sie ist?“ Beim Reisen sollte man sich auf die Gepflogenheiten der Gastländer einlassen, gibt Timmerberg zu bedenken. Das kulturelle System, das hinter Bakschischzahlungen stecke, sei viel zu komplex, um ihm mit deutscher Prinzipienreiterei begegnen zu können. Beamte in anderen Ländern würden oft so schlecht bezahlt, dass sie auf den Zusatzverdienst angewiesen seien. Dahinter könne sogar eine Überlegung stecken: „Wenn man Polizisten genug bezahlt, warum sollten sie sich dann anstrengen, Verbrecher zu jagen?“ In diesem Fall, so Timmerberg, böten kleine Schmiergelder einen leistungsorientierten finanziellen Anreiz.
Schmiergelder können helfen, sich aus brenzligen Situationen zu befreien. Man trägt mit der Zahlung aber zu einem System bei, das die illegitime Vorteilsnahme von Personen in Machtpositionen begünstigt. Nicht jeder zahlt deshalb bereitwillig. Der Schriftsteller Ilija Trojanow kann in seiner Heimat Bulgarien auf seinem eigenen Grundstück keine Hütte bauen, weil er nicht bereit ist, für die „Gefälligkeit“ einer Baugenehmigung zu zahlen. Trojanow hat schon in Indien, Südafrika und Wien gelebt, er kennt Bestechung jeder Art – und verweigert sie aus Prinzip. Der Mythos von der orientalischen Korruption ist für ihn eine der großen kolonialen und postkolonialen Lügen: „Die Korruptesten in Indien waren die britischen Kolonialbeamten, sie haben diese Form der Egomanie zu neuen Höhen entwickelt und die Einheimischen infiziert.“
Auch wenn man in einem taz-Artikel gelernt hat, wie man besticht: Ob man es dann tut, bleibt eine Gewissensfrage.
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