Gewaltprävention nach Silvesterrandale: Nicht wirklich der Kracher
20 Millionen Euro sollte es dieses Jahr zur Prävention von Jugendgewalt geben. Jetzt ist die Stimmung wieder mal explosiv, das Geld aber fließt nicht.
Dabei schien gerade diese erste Tranche sicher. Franziska Giffey (SPD), damals noch Regierende Bürgermeisterin der rot-grün-roten Koalition, präsentierte Mitte März den Senatsbeschluss, der die 20 Millionen für 2023 bewilligte. Damals schienen eher die für 2024 eingeplanten weiteren 70 Millionen Euro zur Disposition zu stehen. Denn über die werde die neue Koalition entscheiden, sagte Giffey.
Inzwischen regiert die schwarz-rote Koalition, und es wirkt so, als ob der neue Senat es sehr viel zurückgelehnter angeht mit den Maßnahmen gegen Jugendgewalt. In den Arbeitsgruppen rund um die Gipfel habe man die Erkenntnis gewonnen, dass „die vorhandenen Programme und Strukturen als Basis für die Maßnahmen zur Prävention von Jugendgewalt grundsätzlich gut ausgebaut sind“, schreibt die Senatsverwaltung für Jugend, Bildung und Familie auf Nachfrage der taz. Die Mittel – nun heißt es „bis zu 20 Millionen“ – sollten daher vor allem „für die zielgruppenspezifische Weiterentwicklung“ bestehender Programme verwendet werden. Das bedürfe einiger Abstimmungen zwischen den Senatsverwaltungen und den Bezirken, weshalb zunächst eine „Projektstruktur“ geschaffen worden sei. Die nächste Sitzung dieser „Lenkungsgruppe“ stehe im August an.
Außerdem verweist die Senatsverwaltung darauf, dass 60 Stellen für Sozialarbeit an Grundschulen ausgeschrieben worden seien. Mit dem Senatsbeschluss zum Doppelhaushalt 2024/25 gebe es nun auch Planungssicherheit. Endgültig beschlossen wird der Haushalt im Dezember.
Initiativen hätten gern schon losgelegt
Projektträger, die am Ende tatsächlich mit Jugendlichen arbeiten sollen, hätten dagegen gern schon längst losgelegt. „Wenn Monate vergehen, ohne dass etwas passiert, dann kann man es auch lassen“, sagt Kazım Erdoğan, der mit seinem Verein „Aufbruch Neukölln“ Männerarbeit macht und außerdem Vorsitzender des Berliner Beirats für Familienfragen ist. Er sei mittlerweile extrem enttäuscht. „Wir haben damals applaudiert, es sollte schnell gehen“, sagt Erdoğan, der nach eigener Aussage selbst an beiden Gipfeln teilgenommen hat. „Wenn die Zusagen vom Februar eingehalten worden wären, dann hätten wir schon längst angefangen.“
Anträge, Stellenausschreibungen und Projektskizzen, all das brauche Vorlauf. Es sei besprochen worden, dass Träger aufsuchend arbeiten sollen, also an die Orte gehen, an denen Jugendliche sich aufhalten, und sie wollten auch mit den Elternhäusern in Kontakt kommen.
Dass jugendlicher Bewegungsdrang sich nicht nur zu Silvester entlädt, zeigen aktuell die Vorkommnisse im Columbia-Bad. Wiederholt wurde das Freibad wegen Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und Angestellten und Sicherheitsdienst geräumt. In einem Brandbrief, über den der Tagesspiegel berichtet hatte, schreiben Mitarbeiter*innen über Bedrohungen und Übergriffe. Jugendliche hätten sich dabei auch auf die Silvesternacht bezogen. Hier wäre aufsuchende Elternarbeit hilfreich, meint Kazım Erdoğan. „Ich schreie seit Jahrzehnten, dass wir Kontakt zu den Familien aufnehmen müssen“, sagt er. Wenn man es nicht schaffe, die Eltern für diese Themen zu sensibilisieren, dann werde vieles auf der Strecke bleiben.
„Heiß ist es ja jetzt“
„Wir sehen Signale, dass die Arbeit nach den Sommerferien endlich starten kann“, sagt Elvira Berndt von Gangway, einem Verein, der Straßensozialarbeit mit Jugendlichen macht. Sie glaube auch nicht, dass in diesem Jahr noch 20 Millionen in die Gewaltprävention fließen, dafür sei das Jahr zu weit fortgeschritten. „Aber man will ja die Strukturen stärken, daher wäre es auch kontraproduktiv, wenn nun einfach Geld in Projekte gepumpt wird und der Anschluss im kommenden Jahr nicht gesichert ist“, sagt sie. Da sei mit den Eckpunkten zum kommenden Doppelhaushalt tatsächlich vieles klarer. Auch dass sich die Finanzierung für die Bezirke nun genauer abzeichne, trage zur Planbarkeit bei. „Kurzfristig könnten jetzt Initiativen wie Bleib Cool am Pool gestärkt werden“, sagt sie mit Blick auf die Vorfälle im Columbiabad. „Heiß ist es ja jetzt.“
Wie aus den Antworten auf eine Kleine Anfrage an den Senat hervorgeht, hat die Landeskommission Berlin gegen Gewalt außerdem an die Bezirke Marzahn-Hellersdorf, Mitte, Neukölln, Spandau, Friedrichshain-Kreuzberg, Lichtenberg und Reinickendorf je 100.000 Euro Sonderförderungen zugewiesen für eine „kiezorientierte Gewalt- und Kriminalitätsprävention“, diese Mittel könnten auch schon abgerufen werden. Allerdings sind dies Mittel, über die die Landeskommission gegen Gewalt sowieso verfügt – und damit keine Gelder, die nun zusätzlich fließen.
Die 20 Millionen seien aus ihrer Sicht „ein Papiertiger“, sagt Marianne Burkert-Eulitz, Sprecherin für Familie und Bildung der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Zu den Maßnahmen, die die Jugendsenatsverwaltung auflistet, sagt sie, dass im Landesprogramm sowieso schon mehr Schulsozialarbeiter*innen vorgesehen seien.
Und dass es mit den Projekten noch nicht weitergegangen sei, liegt aus ihrer Sicht nicht am mangelnden Geld. „Wenn es dem Senat wirklich wichtig wäre, hätte er schon längst Projekte aus dem laufenden Haushalt aufgestockt, oder er hätte die 20 Millionen im Mai über einen Nachtragshaushalt zur Verfügung stellen können“, sagt sie. „Der neue Doppelhaushalt tritt zum 1. Januar in Kraft. Wenn Projekte dann erst anfangen können zu planen, passiert frühestens im kommenden Sommer etwas – eineinhalb Jahre nach den Vorfällen von Silvester“, sagt sie. Offensichtlich habe der Senat inzwischen andere Prioritäten.
Den Eindruck äußert auch Kazım Erdoğan. Im Maßnahmenpapier vom Februar heißt es, dass die Beteiligten im Oktober Zwischenbilanz ziehen wollten. Dabei wolle man auch den Jahreswechsel 2023/2024 bereits in den Blick nehmen. „Zwischenbilanz – wofür?“ fragt er. „Fürs Nichtstun?“
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