Gewaltdebatte im Fußball: Nachdenken über einen Todesfall
Der Tod eines Jugendspielers löst wieder einmal eine eher plumpe Debatte im deutschen Fußball aus. Gewalt ist eben nicht nur da, wo sie statistisch erfasst wird.
D ebatten über Gewalt im Fußball werden immer recht grobschlächtig geführt. Das ist im Fall des Berliner Jugendspielers, der bei einem Turnier in Frankfurt tödliche Hirnschäden erlitt, nicht anders. Ein Spieler einer französischen Gastmannschaft hatte ihn mit einem Schlag von hinten niedergestreckt. Zumindest aber kann man den Protagonisten zugute halten, dass die Debatte nicht nationalistisch, entlang von Herkunftsfragen, geführt wird, wie das etwa nach den Silvester-Krawallen in Berlin der Fall war.
Diejenigen, deren Geschäft die großen Schlagzeilen sind, sorgen sich auch jetzt um eine neue Dimension der Gewalt und treffen ohne genaue Kenntnis des Einzelfalls schnell allgemeine Schlüsse. Diejenigen, die um das Image des Fußballs besorgt sind, kramen routiniert die jüngsten Statistiken der dokumentierten Spielabbrüche vor, die gemessen an der Gesamtzahl der Fußballspiele zuletzt in Deutschland 0,075 Prozent betrug. Bei aller Dramatik der Einzelfälle sprechen wir doch über ein mikroskopisches Problem, scheinen die Zahlen zu belegen.
Vielleicht kommt auch deshalb der gastgebende Verein des Turniers in Frankfurt in seiner Stellungnahme zu dem tödlichen Vorfall zur nicht wirklich realistischen und hilflos erscheinenden Forderung: „Die Gewalt auf den Fußballplätzen muss ein Ende haben.“
Ein Problem auch an den eigenen Statistiken ist das binäre Denken. Gewalt ist da, wo sie erfasst wird. Wie viel Gewalt gibt es auf Fußballplätzen wohl jenseits von Spielabbrüchen und ab welchem Grad wird sie als solche erfasst oder nicht schon der Normalität zugerechnet?
Deeskalierende DFB-Reime
Die Signale, die der DFB sendet, sind widersprüchlich. Einerseits verweist er, wenn es brenzlig wird, gern auf die gesellschaftliche Tragweite des Gewaltproblems, weshalb man nur begrenzt handlungsfähig sei. Andererseits möchte der DFB den Eindruck erwecken, alles unter Kontrolle zu haben. „Die Wahrnehmung der vermehrten Gewaltvorkommnisse im Amateurfußball seitens seiner Mitglieder“ sehe man, heißt es auf der Verbandshomepage.
Deshalb habe sich der DFB „stark aufgestellt“, um Gewalt vorzubeugen. Und auch in einer aktuellen Stellungnahme zum Tod des Jugendspielers verweist der Verband auf seine vielfältigen Tätigkeiten und sein Präventionskonzept „Fair ist mehr“.
Für Betroffene von Gewalt – in der Saison 2021/22 hat der Verband immerhin 3.544 „Gewalthandlungen“ gezählt – mögen sich solche DFB-Reime wie Hohn anhören. Gute Gewaltpräventionsarbeit kostet viel Geld und findet eher im Verborgenen statt. Der DFB mag im Verteidigungsreflex seine Verdienste aufzählen. Die dringliche Frage ist nur, was das gebracht hat und was nun getan werden muss.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste