Hertha BSC Berlin: Schon immer krasser als Union

Union schafft es mit Mini-Etat in die Champions League. Hertha BSC zittert derweil um die Zweite Liga - aber dafür fiebert die Stadt so richtig mit.

Ein Hertha-Spieler liegt langgestreckt auf dem Speilfeld

Derzeit am Boden: Hertha BSC Foto: IMAGO/BEAUTIFUL SPORTS/Luciano Lima

BERLIN taz | Die Tafel des 1. FC Union Berlin vor der Zufahrt zum Stadion an der Alten Försterei strahlt in diesen Tagen besonders hell. Während der Saison wird hier auf das nächste Heimspiel des Fußball-Bundesligisten hingewiesen. Nun stehen an der Stelle, an der normalerweise der Name der Gastmannschaft angebracht ist, nur zwei Wörter: „Union International“ lautet die Botschaft des Klubs für die Sommerpause. Zwischen den beiden Wörtern prangt – nicht allzu groß, aber eben auch nicht zu übersehen – das Logo der Champions League.

Ja, es stimmt wirklich: Union, gerade mal seit vier Jahren Erstligist und über einen der niedrigsten Etats der Liga verfügend, spielt in der kommenden Saison im größten Wettbewerb, den der Vereinsfußball zu bieten hat. Köpenick ist in der ganz großen Fußballwelt angekommen. Die Freudentränen mögen zwar getrocknet sein seit dem dramatischen Bundesligafinale vor anderthalb Wochen, aber gestaunt wird immer noch über Union International – das Wunder von der Wuhle.

Derweil wird am anderen Ende der Stadt gerechnet. Der Abstieg ist verdaut. Es war ja auch nicht das erste Mal, dass Hertha BSC große Pläne hatte und großartig gescheitert ist. Doch während man sich in Köpenick schon auf die kommende Saison vorbereitet, steht in Charlottenburg noch nicht einmal fest, in welcher Liga Hertha demnächst spielen wird.

Absturz in Regionalliga droht

Der nächste wichtige Termin dazu steht am Mittwoch an. Dann muss der Klub nachweisen, dass er in der Lage ist, eine Mannschaft für die 2. Bundesliga zu finanzieren. Wenn das nicht klappt, droht der Absturz des überschuldeten Klubs in die Regionalliga, in die nur noch vierthöchste Liga.

War’s das dann? Der Klub, der sich jahrzehntelang als einziger rechtmäßiger Fußballrepräsentant der Hauptstadt inszeniert hat, im fußballerischen Niemandsland? So recht mag sich das niemand vorstellen. Klub-Präsident Kay Bernstein sowieso nicht. „Wir sagen, wir kriegen die Lizenz und starten in der Zweiten Liga“, hat er am Wochenende dem Deutschlandfunk gesagt.

Unioner wissen, wie es sich anfühlt, wenn der eigene Klub in der Viertklassigkeit zu verschwinden droht. Vor 20 Jahren kickten die Köpenicker, die bald gegen Real Madrid, Inter Mailand oder Manchester City spielen könnten, in der Oberliga des Nordostdeutschen Fußballverbands gegen Falkensee-Finkenkrug, Ludwigsfelde oder den Torgelower SV Greif.

Saisonhöhepunkt war der 8:0-Erfolg gegen den BFC Dynamo, den nachhaltig abgestiegenen ehemaligen Serienmeister der DDR. Jenes Spiel, gut geschützt von Hunderten Polizeibeamten, die die verfeindeten Fan-Szenen voneinander zu trennen versuchen, war so etwas wie ein Reenactment der Ostberliner Fußballkultur, wie sie zu DDR-Zeiten existiert haben mag. Mit großem Fußball hatte das nichts zu tun. Von dem träumte man seinerzeit nicht mal bei Union. Tränen sind dennoch haufenweise geflossen im Südosten Berlins.

Windiger Anlageberater

Während Union durch die viertklassige Fußballprovinz tourte, hätte Hertha um ein Haar um die Teilnahme an der Champions League spielen dürfen. Als Fünfter beendete der Klub die Bundesligasaison 2005/06. Immerhin hatte man sich für den Europapokal qualifiziert. Am eigenen Anspruch gemessen war das das Mindeste, was einem Klub aus einer europäischen Hauptstadt zustand. Warum soll Berlin anders sein als Madrid oder London?

Vielleicht war es diese Anspruchshaltung, die Berlin so anfällig gemacht hat für die Visionen eines windigen Anlageberaters wie Lars Windhorst. Man konnte einfach nicht Nein sagen, als der 2019 knapp die Hälfte der Klubanteile für 225 Millionen Euro gekauft und eine goldene Zukunft Herthas im Kreis der Besten Europas versprochen hat.

In diesem Kreis hatte Hertha schon einmal gespielt. In der Saison 1999/2000 war das, und es hat beinahe etwas Tragisches, dass das vielleicht größte Fußballspiel in der Geschichte des Vereins gegen den FC Barcelona im Novembernebel regelrecht verschwand. Wer im Stadion war, hat jedenfalls nicht viel gesehen von jenem 1:1 im Olympiastadion. Gut möglich, dass der FC Union in dieser zugigen Schüssel seine Champions-League-Heimspiele austragen wird. Ob die Alte Försterei mit seinen drei Stehplatztribünen vom europäischen Fußballverband Uefa für die Königsklasse zugelassen wird, ist noch nicht entschieden.

Derweil bastelt Manager Oliver Ruhnert schon am Kader für die neue Saison. Diogo Leite, der portugiesische Innenverteidiger, der bisher auf Leihbasis bei Union gespielt hat, wurde für in Köpenick bis dato nie gezahlte 7,5 Millionen Ablöse vom FC Porto losgeeist. Bei Union kann inzwischen mit anderen Summen gerechnet werden als früher. Allein die Qualifikation für die Champions League hat 15,64 Millionen Euro eingebracht. Mit jedem gewonnenen Punkt in der Königsklasse wandern Hunderttausende auf das Union-Konto. Zu den Prämien kommt die größere Aufmerksamkeit für den Klub, die in höheren Sponsoreneinnahmen münden wird. Dass Union die Konkurrenz in der eigenen Stadt abgehängt hat, wird sich dabei ebenfalls auszahlen.

Union auch überschuldet

Ein schönes Thema eigentlich und auch deshalb interessant, weil auch Union Berlin wahrlich nicht aus dem Vollen schöpfen kann. Vor der abgelaufenen Saison hat der Ligaverband DFL die finanziellen Kennzahlen der Bundesligisten veröffentlicht. Union Berlin hatte demnach mit dem Ende des Geschäftsjahres 2021 ein negatives Eigenkapital von knapp 30 Millionen Euro und gilt damit als eigentlich hoffnungslos überschuldet.

Doch gesprochen wird in der Stadt vor allem über Hertha. Das mag den Unionern in diesem Fall ganz recht sein. Aber auch sonst tun sich die Köpenicker trotz aller sportlichen Wunder schwer, die Aufmerksamkeit der Stadtgesellschaft auf sich zu ziehen.

Die Geschichten, die Hertha geliefert hat, waren einfach immer mindestens eine Spur krasser. Da war die Verpflichtung des irrlichternden Altbundestrainers Jürgen Klinsmann sowie das Installieren teurer Funktionsträger, deren einzige Qualifikation es oft war, einen besonders gutes oder gar freundschaftliches Verhältnis zum ebenfalls recht teuren Vorstandsboss Fredi Bobic zu haben.

Und jetzt verfolgt die Stadt mit Hochspannung, ob es gelingen wird, die Zeichner von Anleihen im Wert von 40 Millionen Euro, die nun fällig werden, für zwei Jahre zu vertrösten, ob ein neuer Trikotsponsor via Facebook gefunden wird, ob die Banken bürgen, ob der neue Klub­eigner, die Investmentfirma 777 Partners, der fast 80 Prozent des Klubs gehören, vielleicht noch einmal ein paar Scheine drauflegt.

Nein, die Menschen in der Stadt, sie werden Hertha nicht vergessen, auch wenn der Klub weiter abstürzen sollte. Die sogenannte Alte Dame wird ein Hingucker bleiben, da kann Union noch so viele sportliche Erfolge erzielen. Entscheidend ist eben nicht immer aufm Platz.

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