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Gewalt in Brasiliens Rio de JaneiroPolizeieinsatz wird zum Massaker

Bei einer Razzia in einer Favela von Rio sterben mindestens 18 Menschen. Der Gouverneur verteidigt die Strategie gegen massive Kritik.

Bei einem Polizei-Einsatz in Rio de Janeiro sind mindestens 18 Menschen getötet worden Foto: Silvia Isquierdo/reuters

Rio de Janeiro ap | Bei einer Polizeirazzia in einem Armenviertel in Rio de Janeiro sind mindestens 18 Menschen getötet worden. Es handele sich dabei um eine vorläufige Angabe, da die Zahl der Toten noch ermittelt werde, teilte Ivan Blas, Sprecher der Militärpolizei des gleichnamigen Bundesstaats, am Donnerstagabend (Ortszeit) vor Reportern mit. In einer ersten Stellungnahme der Polizei war von einem getöteten Beamten, zwei weiteren Toten und einer verletzten Frau die Rede gewesen. Die Zeitung „O Globo“ berichtete, dass die Frau später im Krankenhaus für tot erklärt worden sei.

Ziel der Razzia im Complexo do Alemão, der größten Ansammlung von Favelas in der brasilianischen Metropole, war nach Polizeiangaben eine Bande, die sich auf den Diebstahl von Autos und Frachtgut sowie auf Banküberfälle spezialisiert hat und in Viertel in der Umgebung eingefallen ist.

Die Razzia begann am Donnerstag vor Morgengrauen und dauerte bis zur Mittagszeit an. Fast 400 Beamte waren beteiligt, auch die taktische Polizeieinheit von Rio, wie die Behörden mitteilten. Rückendeckung gaben ihnen demnach vier Helikopter und zehn gepanzerte Fahrzeuge.

In sozialen Medien kursierten Videos, die Schusswechsel zwischen mutmaßlichen Kriminellen und Beamten zeigten. Ein Helikopter der Polizei schwebte in niedriger Flughöhe über kleine Backsteinhäuser hinweg. Rios Polizei hat in der Vergangenheit mit Kampfhubschraubern auf Ziele geschossen, sogar auf dicht besiedelte Wohngebiete. In den jüngsten Videos war zu sehen, wie aus der Favela Schüsse auf einen der Helikopter abgefeuert wurden.

Immer wieder tödliche Razzien in Favelas

Das lokale Nachrichtenportal Voz da Comunidade teilte ein anderes Video, das Bewohner zeigte, die während der Razzia immer wieder „Wir wollen Frieden!“ skandierten und weiße Stoffreste aus ihren Fenstern und an Dächer hängten.

Reporter der Nachrichtenagentur AP konnten bei ihrer Ankunft am Ort des Geschehens sehen, wie Bewohner rund zehn Leichen wegtrugen. „Was die Polizei einen Einsatz nennt, ist ein Massaker“, sagte eine Bewohnerin der Favela der AP. Sie und andere seien davon abgehalten worden, Verletzten beizustehen. Sie habe einen Mann gesehen, der zu helfen versucht habe und festgenommen worden sei. Ihren Namen wollte die Frau aus Furcht vor Repressalien nicht nennen.

Rios Gouverneur Cláudio Castro verteidigte die Razzia auf Twitter. „Ich werde weiterhin mit all meiner Kraft Verbrechen bekämpfen. Wir werden nicht klein beigeben bei der Mission, Frieden und Sicherheit für das Volk unseres Staates zu gewährleisten“, schrieb er.

Andere Politiker und Aktivisten kritisierten indes die Strategie im Kampf gegen organisiertes Verbrechen und Gewaltkriminalität. „Genug von dieser völkermörderischen Politik, Gouverneur“, erklärte Talíria Petrone, eine Bundesabgeordnete, die den Staat Rio de Janeiro vertritt. Die Sicherheitspolitik sei gescheitert und sorge dafür, dass Bewohner und Polizisten in Massen getötet würden.

Der Oberste Gerichtshof in Brasilien hatte in diesem Jahr eigentlich Richtlinien für Polizeieinsätze in den Favelas festgelegt, die Todesfälle und Verstöße gegen die Menschenrechte verringern sollen. So ist etwa der Einsatz tödlicher Waffengewalt nur noch in letzter Instanz erlaubt. Anlass war eine Razzia in der Favela Jacarezinho im Jahr 2021, bei der 28 Menschen ums Leben kamen.

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