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Gewalt im AnkunftszentrumDas System Flüchtlingslager

Jonas Wahmkow
Kommentar von Jonas Wahmkow

Die Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungen zum Angriff mutmaßlicher Islamisten auf kurdische Geflüchtete ein. Dieses Wegschauen ist kein Zufall.

Wenig Platz, traumatisierte Be­woh­ne­r:in­nen und inkompetente Security – ein zuverlässiges Rezept für Katastrophen Foto: dpa | Carsten Koall

E rmittlungseifer sieht anders aus: Neun Monate nach dem Angriff mutmaßlicher IS-Sympathisanten und Security-Mitarbeiter auf eine Gruppe von Kur­d:in­nen in dem Ankunftszentrum Tegel stellt die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein. Es konnten angeblich keine Täter ermittelt werden.

Das Desinteresse der Ermittlungsbehörden ist Teil des altbekannten Systems Flüchtlingslager: Die Bedingungen so schlecht halten, wie es rechtlich und gegenüber der Öffentlichkeit nur möglich ist, damit die Be­woh­ne­r:in­nen bestenfalls von selbst wieder gehen.

Die Berichte der kurdischen Bewohners des Vorfalls im November klingen ungeheuerlich. Nach einer Beschwerde über Ruhestörung ging eine Gruppe von 40 bis 60 Syrern auf die Kur­d:in­nen los, die gemeinsam in einem Großzelt untergebracht waren. Die Security-Mitarbeiter griffen nicht ein, einige von ihnen legten sogar die Westen ab und beteiligten sich bei dem Angriff. Eine kurdische Bewohnerin verlor ihre ungeborenen Zwillinge bei dem Angriff.

Die Erklärung, dass die Staatsanwaltschaft trotz besten Bemühens keine Täter ermitteln konnten, ist unglaubwürdig. Die kurdischen Be­woh­ne­r:in­nen gaben an, gar nicht erst persönlich befragt worden zu sein. Von beteiligten Security-Mitarbeitern will die Staatsanwaltschaft auch nichts wissen, obwohl das Unternehmen drei Mitarbeitern infolge des Vorfalls gekündigt hat.

It's not a bug, it's a feature

Über den Anspruch des Rechtsstaats hinaus, für Gerechtigkeit zu sorgen, ist das Wegschauen der Behörden auch aus anderer Hinsicht problematisch. Wenn weder auf Security-Mitarbeiter:innen noch auf die Polizei Verlass ist, drohen Geflüchtetenunterkünfte wie in Tegel zu rechtsfreien Räumen zu werden, in denen sich vor Krieg und Verfolgung fliehende Menschen unmöglich sicher fühlen können.

Dieses Szenario ist in Tegel schon ein Stück weit der Fall. Be­woh­ne­r:in­nen berichten von Fällen sexuellen Missbrauchs und Drogenhandel, der unter den Augen des Sicherheitspersonals vor sich gehe.

Überraschend ist diese Entwicklung nicht. Denn Massenunterkünfte wie in Tegel sind mittlerweile ein wichtiger Teil des europäischen Grenzregimes. Nur dass die Grenze kein Zaun ist, sondern eine zermürbende Mischung aus endlosem Warten, unwürdigen Lebensbedingungen und der permanenten Bedrohung, Opfer von Gewalt zu werden.

Je schlimmer die Zustände, desto mehr gehen freiwillig wieder in ihre Heimatländer zurück, und umso weniger machen sich auf den Weg in der Hoffnung, hier ein menschenwürdiges Leben führen, so lautet das grausame Kalkül, dass sich mittlerweile durch das gesamte politische Spektrum zieht. Tatsächlich sind nicht wenige Betroffene des Angriffs trotz akuter Bedrohung „freiwillig“ in ihre Heimatländer zurückgekehrt.

Trend zu Massenunterkünften

Die Umsetzung dieser Strategie ist denkbar einfach. Möglichst viele Geflüchtete an einen zentralen Ort unterbringen, der sich einfach vom Rest der Gesellschaft isolieren lässt – ehemalige Flughäfen wie Tempelhof oder Tegel sind ideal. Bürokratische Verfahren möglichst lang und unvorhersehbar gestalten, damit aus wenigen Tagen Erstaufnahme ein halbes Jahr wird, ohne dass jemand sagen kann, wie lange dieser Zustand noch andauern soll. Und natürlich möglichst wenig Geld für kompetente Sicherheitskräfte ausgeben – wenn es zu Gewalt zwischen Be­woh­ne­r:in­nen kommt, ist es schließlich deren eigene Schuld.

Wenig verwunderlich ist daher, in welche Richtung die Flüchtlingspolitik des Senats geht. Statt auf kleinteilige Unterbringung und Integration zu setzen, sollen neue Massenunterkünfte wie auf dem Tempelhofer Feld entstehen.

Für einen Staat, der sich auf die Fahnen schreibt, Menschenrechte und Würde zu wahren, ist ein solches Verhalten einfach nur beschämend.

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Jonas Wahmkow
Redakteur für Arbeit und Soziales im Berlin Ressort.
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10 Kommentare

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  • "Statt auf kleinteilige Unterbringung und Integration zu setzen, sollen neue Massenunterkünfte wie auf dem Tempelhofer Feld entstehen."



    Und wo bitte soll man die Menschen unterbringen?



    In den Städten sind die Wohnungen knapp und die Mieten hoch, aufs Land, wo die Mieten billig sind und Wohnungen leer stehen, wollen die Migranten nicht.



    Dann muss man eben auch leere Wohnungen in der Pampa nützen.

  • Hunderttausende Bürger dieses Landes suchen seit Monaten oder Jahren nach halbwegs passablen und bezahlbaren Wohnungen.

    Es entstehen neue Wohnungen, diese werden jedoch von den Städten und Gemeinden für neue Migranten angemietet, z. T. für horrende Mieten, die Vermieter wissen, dass die Städte verpflichtet sind, Asylsuchenden Wohnungen zu besorgen.

    Und dass die Staatsanwaltschaft bei den attackierten Kurden die Ermittlungen die Ermittlungen einstellt, wundert nicht.

    Kurd:innen haben nur eine sehr schwache Lobby im Land.

    Im Gegensatz zu Syrern, Afghanen, Palästinensern, Türken etc.

    Es tut mir leid um die Kurden. Es waren Kurden, die die IS-Angriffe durch Bodentruppen aufgehalten haben. Jetzt und hier stehen sie erneut ihren Feinden gegenüber.

    Schutzlos.

    • @shantivanille:

      Hier im Land stehen genügend Wohnungen leer. Sie anzumieten, wäre kein Problem. Städte und Gemeinden mieten auch nicht hauptsächlich neue Wohnungen an. Außerdem agieren sie mit faultierähnlicher Langsamkeit. "Hunderttausende Bürger dieses Landes" hätten natürlich gerne billige Wohnungen in Berlin Mitte. Das geht halt nicht. Wären sie in der Lage und bereit, entsprechende Mieten zu zahlen, wäre es kein Problem, passable Wohnungen in attraktiven Lagen zu finden. Daher liegt ein Teil des Problems wohl eher an zu niedrigen Löhnen, nicht an zu hohen Mieten.

    • @shantivanille:

      „diese werden jedoch von den Städten und Gemeinden für neue Migranten angemietet, z. T. für horrende Mieten, die Vermieter wissen, dass die Städte verpflichtet sind, Asylsuchenden Wohnungen zu besorgen.“

      Kommunen sind dazu überhaupt nicht verpflichtet, wie kommen Sie darauf?

  • Solange der Staat in großer Zahl Personen aufnimmt, die an Krieg und Verfolgung aktiv beteiligt sind bzw. waren, insbesondere gewaltbereite Islamisten, können sich die Menschen, die vor Krieg und Verfolgung geflüchtet sind, schwerlich in Deutschland sicher fühlen. Der Staat muss schon bei der Einreise prüfen, wen er reinlässt. IS-Leute haben in Flüchtlingsunterkünften nichts zu suchen.

    • @Budzylein:

      Etwa zwei Drittel kommen mit voller Absicht ohne Dokumente an. Wie soll da ein ohnehin schon weitgehend unfähiger Staat irgendwas "schon bei der Einreise prüfen"?

  • "Das Desinteresse der Ermittlungsbehörden ist Teil des altbekannten Systems Flüchtlingslager:"

    Die Justiz muss viel, viel stärker unter die Lupe genommen werden.



    Gesetze müssen geändert werden, denn die sind nicht von Gott gemacht, auch wenn das oft so dargestellt wird.

  • Das Problem fängt schon dabei an, dass es private Sicherheitsleute sind. In einer kommunalen staatlichen Einrichtung. Wo bleibt das Gewaltmonopol? Wäre hier nicht eine (Hilfs)Polizei oder Ordnungspolizei angesagt?

  • Ich bin mir sicher, dem aktuellen Senat genauso wie dem letzte Senat, der den Flughafen Tegel erst zum Flüchtlingslager machte, wäre eine "kleinteilige" Unterbringung lieber.

    Hätten sie weniger Probleme.

    Lief halt nicht wegen fehlender Kapazitäten.

    Und des typischen Berliner Schlendrians.

    Ich kann mich an Artikel in der taz erinnern, die den lobten.