piwik no script img

Gewalt gegen Journalist_innenAm Hufeisen aufgehängt

Der Berliner Verfassungsschutz will die Gewalt gegen Medienschaffende erklären, scheitert aber am eigenen Weltbild.

Medienschaffende als Feindbild: Die Angriffe gegen Journalist_innen nehmen zu Foto: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

Berlin taz | Der Berliner Verfassungsschutzbericht 2021, erschienen am 24. Mai, hat der steigenden Gewalt gegenüber Journalist_innen in diesem Jahr ein Sonderkapitel gewidmet. Denn 2021 wurden 95 Übergriffe auf Medienvertreter_innen in Deutschland dokumentiert, das sind so viele wie nie zuvor.

Das “Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit“ (ECPMF) bringt die gestiegene Pressefeindlichkeit mit dem Erstarken von Verschwörungstheorien in Verbindung. 77 Prozent der Angriffe seien politisch Rechten zuzuordnen.

Auch der Verfassungsschutzbericht konstatiert, dass die rechtsextremistische Szene „Medienschaffende als Feindbild“ definiere. Im Folgenden arbeitet sich der Bericht an „Medienfeindlichkeit und Islamismus“, sowie „Medienfeindlichkeit und Linksextremismus“ ab – nur dass es darüber wenig zu berichten gibt.

Im Islamismus sei das „Feindbild Medien“ in der Ideologie „fest verankert“, aber „nicht einheitlich“. Es wird kein einziger Übergriff aus Deutschland erwähnt, sondern Bezug auf das Attentat auf Charlie Hebdo im Jahr 2015 in Frankreich genommen.

Auch das Kapitel Linksextremismus ist merkwürdig allgemein gehalten. Die Szene habe „in der jüngeren Vergangenheit keine Kampagnen initiiert“, die sich gegen „Medienvielfalt oder Meinungsfreiheit“ richte. Auch hier finden nur zwei Sachbeschädigungen von 2014 und 2019 Erwähnung.

Polizeigewalt wird nicht erwähnt

Benannt werden ausschließlich die Akteure, die im starren Extremismus-theoretischen Erklärungsmodell Platz finden. Das Medienmagazin ZAPP hatte am 25. Mai dazu getwittert.

So bleibt unerwähnt, dass mindestens 12 der 95 Angriffe von Polizeibeamt_innen im Dienst verübt wurden. Hier kam es zu Verletzungen mit Schlagstöcken und „dem Strahl eines Wasserwerfers, der gezielt auf als ‚Presse‘ gekennzeichnete Personen gerichtet wurde“, wie die Organisation Reporter ohne Grenzen berichtete. Journalist_innen wurden durch die Polizei bedrängt, geschlagen und durch Platzverweise und Durchsuchungen an ihrer Arbeit gehindert.

Die zunehmenden Angriffe auf Presse- und Meinungsfreiheit kann man nicht ernst genug nehmen. Doch der Verfassungsschutz beweist mit seiner Herangehensweise, dass er nicht geeignet ist, zum Schutz von Journalist_innen beizutragen. Er leistet in der Auseinandersetzung einen Bärendienst, indem er den Blick auf die Fakten verstellt.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Der Verfassungsschutz ist eine doch dazu da, das Volk vor der Verfassung zu schützen.

  • "Doch der Verfassungsschutz beweist mit seiner Herangehensweise, dass er nicht geeignet ist, zum Schutz von Journalist_innen beizutragen."



    Vielleicht sollte man den Verfassungsschutz mal zum Verdachtsfall erklären und beobachten lassen? Aber von wem? Vom Verfassungsschutz...?

  • Wer hätte etwas anderes vom Inlandsgeheimdienst erwartet?

    Mal ehrlich, nirgendwo wird extremer gelogen, betrogen, gelenkt und unterwandert, wie durch einen Inlandsgeheimdienst. Und natürlich sind alle extrem, die irgendwie gegen den Staat, oder gegen den Verfassungsschutz sind. Wer sollte da auch sonst diese Position einnehmen, der lokale Rotarier-Verband oder der Kleingartenverein? Geheimdienste benötigen Feinde und malen ständig Gefahren an die Wand.

    Und dann hat alles nicht gereicht, da mussten dann einige Journalisten es gleich direkt abkriegen. Und klar, linksextreme sind auch gefährlich, wer hat bitte schön nicht Angst bei FAZ, Handelsblatt und dem Manager Magazin, ein Angriff steht dort jede Sekunde ins Haus ... Und was machten die Linksextremen denn zuletzt? Schwer zu sagen, vermutlich taten sie gar nichts, aber gefährlich bleiben sie - auch für Journalisten.

    Der Punkt ist doch, dass der Geheimdienst im rechten Bereich Medien finanziert und gleichzeitig beklagt, dass diese intoleranten Neonazis gerne linken, liberalen Journalisten eins auf die Mütze hauen wollen. Nun könnte man fragen, wie viele der gewalttätigen Neonazis parallel Zuträger genau dieses Geheimdienstes waren oder sind. Das wären vermutlich sogar ein paar. Wie weit ist dann der Staat nicht selber Initiator von so einer Gewalt?

    So wie der Artikel hier geschrieben ist (Originaldokument kenne ich nicht), könnte man sagen, Neonazis und Polizei/Staat greiffen Journalisten an oder behindern diese bei ihrer Arbeit.

  • Jup. Jede Auseinandersetzung mit Extremismus sollte die Polizei mit einschliessen.