piwik no script img

Gewalt gegen GeflüchteteFast jeden zweiten Tag

Die Zahl der Übergriffe auf Unterkünfte von Geflüchteten nimmt zu. Fast alle Taten haben einen rechtsextremen Hintergrund.

Einbruchs­spuren an geplanter Flüchtlings­unterkunft in Zwickau im Mai 2023 Foto: Kristin Schmidt/dpa

Berlin taz/dpa | Anfang Januar: Gerade erst sind Geflüchtete in einer alten Grundschule im mecklenburg-vorpommerschen Loitz untergebracht worden. Schon in der ersten Nacht schmeißt jemand die Scheiben des Gebäudes ein. Anfang Juli: Unbekannte schmieren im hessischen Zotzenbach rassistische Parolen auf Container, in denen Geflüchtete untergebracht werden sollen. Ende Juli: Vermummte Männer dringen in ein von Geflüchteten bewohntes Haus in der sächsischen Kleinstadt Sebnitz ein, attackieren und beschimpfen die Bewohner.

Diese Übergriffe sind nur drei von vielen: Die Zahl der gegen Geflüchtetenunterkünfte gerichteten politisch motivierten Überfälle, Anschläge, Sachbeschädigungen und tätlichen Angriffe hat seit Anfang vergangenen Jahres kontinuierlich zugenommen.

Wie die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion mitteilte, lagen bis Mitte Juli für die erste Hälfte dieses Jahres Erkenntnisse zu insgesamt 80 politisch motivierten Straftaten vor, bei denen die Unterkunft Tatort oder direktes Angriffsziel war. Davon waren 74 Straftaten mutmaßlich rechten Tatverdächtigen zuzuordnen, zwei Delikte entfielen auf den Phänomenbereich „ausländische Ideologie“. In einem Fall ordnete die Polizei die Straftat dem Bereich „religiöse Ideologie“ zu.

Wie die Bundesregierung in ihrer Antwort ausführt, wurden bei den im zweiten Quartal 2023 verübten Straftaten gegen Asylbewerber, Geflüchtete und Unterkünfte insgesamt 39 Personen verletzt, darunter vier Kinder.

Noch nicht wie 2015

Im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres hatte die Polizei 52 politisch motivierte Straftaten gezählt, die sich gegen Flüchtlingsunterkünfte richteten. Im zweiten Halbjahr 2022 waren es 71 Straftaten. Es ist das dritte Halbjahr in Folge, dass die Zahl der Übergriffe wieder steigt. Sie liegt dennoch weit unter den Zahlen von 2015. Damals gab es allein 122 Brandanschläge auf Unterkünfte – im Schnitt jeden dritten Tag einen.

Wie schon 2015 fällt der Anstieg der Gewalt zusammen mit steigenden Zahlen Geflüchteter, die in Europa und Deutschland Schutz suchen – und mit einem sich verschärfenden Diskurs über Asylpolitik. Vor wenigen Wochen erst hat die Bundesregierung weitreichenden Asylrechtsverschärfungen auf EU-Ebene zugestimmt.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, forderte mit Blick auf das Umfragehoch der AfD jüngst, das Individualrecht auf Asyl abzuschaffen – und der ehemalige Bundesminister Peter Ramsauer (CSU) verglich Geflüchtete gar mit „Ungeziefer“.

Kaum mediale Beachtung

„Es ist alarmierend, dass Menschen, die hier Schutz suchen, so häufig Gewalt, Anfeindungen und Ausgrenzung erfahren“, sagte die fluchtpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Clara Bünger. Sie warf AfD, CDU und CSU vor, mit „verbalen Angriffen auf das Recht auf Asyl“ den Boden für „rassistische Mobilisierungen“ gegen Geflüchtete zu bereiten. Auch dürfe man nicht vergessen, „dass SPD und Grüne mit ihrer Zustimmung zur Reform des Europäischen Asylsystems selbst für die faktische Abschaffung des Rechts auf Asyl in der EU gestimmt haben“.

„Wir haben längst wieder einen bundesweiten Flächenbrand mit Hass und Hetze gegen Geflüchtete“, schrieb die Amadeu Antonio Stiftung auf dem Kurznachrichtendienst X. Medial fände der Großteil der Übergriffe aber inzwischen kaum noch Beachtung. „Vielerorts stimmen kommunale Amts­trä­ge­r*in­nen in den rassistischen Sound ein, statt klare Kante gegen Hass und für Menschlichkeit zu zeigen“, kritisierte die Stiftung. So seien etwa in Mecklenburg-Vorpommern schon mehrere Projekte zur Unterbringung Geflüchteter nach Protesten gestoppt worden.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Wie kann so etwas sein ?



    So eine Menschen Verachtung ....



    Haben die Täter keinerlei Empathie, kein Mitgefühl mit Menschen, die schon schlimmstes - für viele von uns hiesigen Bürgern-unvorstellbar - in ihrem Leben, fast immer unverschuldet, erleben mussten ?



    Statt traumatisierten, in der Seele zu tiefst verletzten Menschen zu helfen - sie zu unterstützen, zumindest aber in Ruhe zu lassen - werden diese - auch Gottes Geschöpfe - verängstigt oder zumindest zusätzlich verunsichert.



    Wie ABARTIG - können Menschen denn sein ? Es ist nicht zu glauben !