piwik no script img

Gewalt gegen FrauenVon der Witch zur Bitch

Die Hexenverfolgung ist in Europa vorbei, doch der Hass auf selbstbestimmte Flinta* ist geblieben. Sie kämpfen durch emanzipatorische Aneignung zurück.

Solidarität ist gefragt: Während die Hexenverfolgungen in Europa vorbei sind, bestehen sie in anderen Teilen der Welt fort Foto: Rosa Ray

Berlin taz | Wir sind die Töchter der Hexen, die ihr nicht verbrennen konntet.“ Unter diesem Kampfruf eroberten tausende wütende Flinta* vergangenes Jahr bei der „Take back the Night“-Demo die Straßen. Am Abend vom 30. April nehmen sie sich traditionell die Walpurgisnacht zurück – die Nacht, in der Hexen sich verbünden, sichtbar machen und feiern. Was Hexen und Queer­fe­mi­nis­t*in­nen eint? Der Widerstand gegen patriarchale Unterdrückung.

Gewalt gegen Frauen wurde mit dem Ende der Hexenverfolgung nicht beendet. Sie wurde normalisiert. Was körperliche Züchtigung, öffentliche Demütigung und Verbrennung auf dem Scheiterhaufen war, ist heute strukturelle Diskriminierung, geschlechtsspezifische Gewalt und Femizid. Das Resultat des Gipfels der Misogynie bleibt gleich: Eine Frau wird ermordet – weil sie eine Frau ist.

Die Beweggründe hinter der Hexenverfolgung zwischen dem Ende des 15. und dem 18. Jahrhundert und dem Frauenhass heute sind dieselben: Die Angst der Männer, dass eine Frau sich gegen die untergeordnete Rolle wehrt, die ihr im Patriarchat zugewiesen wird. Besonders stark schlägt diese Angst in Umbruchs- und Krisenzeiten um sich. Frauen wurden vor allem während Missernten oder Epidemien der Hexerei bezichtigt und verantwortlich gemacht. Heute wächst der antifeministische Backlash im Schatten globaler Krisen und des Rechtsrucks. Jeden Tag wird in Deutschland eine Frau ermordet, weil sie eine Frau ist. In Berlin gab es allein im vergangenen Monat mindestens 4 Femizide.

Die Hexenverfolgung, die sich während des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus ereignete, richtete sich vor allem gegen Frauen, die sozial und wirtschaftlich unabhängig waren. Ihr selbstbestimmter Lebensstil gefährdete die Ausbeutung der Ar­bei­te­r*in­nen – das Fundament für den entstehenden Kapitalismus. Mit der Privatisierung von Land wurden Männer in die bezahlte Produktion gedrängt und Frauen – die zuvor gemeinsam mit Männern kollektiv Land bewirtschafteten – in die unbezahlte Reproduktionsarbeit. Das Ziel: Frauen als Reproduzentinnen in den Dienst der kapitalistischen Akkumulation stellen.

Der Körper der Frau als Kontrollfeld des Kapitalismus

Die staatliche Kontrolle über den weiblichen Körper ist bis heute Realität: Schwangerschaftsabbrüche bleiben strafbar und nur unter bestimmten Voraussetzungen legal. Während eine breite Mehrheit für eine Reform des Paragrafen 218 ist, freuen sich Gegenbewegungen wie der „Marsch für das Leben“ über Zulauf.

Doch nicht nur die Kontrolle der Gebärmutter unterwirft den weiblichen Körper dem Kapitalismus. Dies geschieht ebenso, indem Schönheitsnormen ökonomisch belohnt werden, Stichwort: „pretty privilege“. Flinta*, die jung, schlank und „mädchenhaft“ aussehen, verdienen mehr. Die Folge: freiwilliges Hungern – die größte Niederlage des Feminismus.

Die Kontrolle über den Körper der Frau war während der Hexenverfolgung eng mit der Kriminalisierung von Verhütung verbunden. Hebammen und Heilerinnen, die über dieses Wissen verfügten, wurden verfolgt. Dies führte auch zur Zerstörung von Wissen über Heilkräuter, Verhütung und Abtreibung, das Frauen untereinander weitergaben.

Ähnlich verhält es sich heute, wenn in Schulen Aufklärung über sexuelle Selbstbestimmung oder Transidentität verboten wird, wie in den USA oder Ungarn. Unterdrückt wird diese Wissensweitergabe von denjenigen, die von bestehenden Machtverhältnissen profitieren. Dasselbe Muster zeigt sich im systematischen Schweigen über sexualisierte Gewalt – einem festen Bestandteil der rape culture.

Die arbeitende Frau wird als „Karrieristin“ diskreditiert

Was die geschlechtliche Arbeitsteilung betrifft, wurden seit der Hexenverfolgung Fortschritte erkämpft: Mehr Flinta* sind berufstätig und in Führungspositionen, Mutterschutz und Elternzeit sind gesetzlich verankert. Doch strukturell hat sich zu wenig verändert: Care-Arbeit bleibt unsichtbar, die gläserne Decke hält, der Gender Pay Gap klafft weiter.

Flinta*, die wirtschaftlich unabhängig sind, werden weiterhin abgewertet. Nur Politikerinnen werden gefragt, wie sie Beruf und Familie unter einen Hut bringen. Die arbeitende Frau wird als „Karrieristin“ diskreditiert, der Mann als „erfolgreich“ gefeiert. Besonders stigmatisiert werden Flinta*, die mit ihrem erotischen Kapital wirtschaften, etwa in der Sexarbeit.

Geschürt wird dieser Hass unter anderem von Flinta* aus dem konservativ-rechten Spektrum, die mit Bannern wie „Weiblichkeit statt Feminismus“ herumstolzieren. „Tradwives“ propagieren in den sozialen Medien ein reaktionäres Frauenbild. Ihr Ideal: die passive, keusche Gattin – ein Bild aus der Zeit der Hexenverfolgung, als weibliche Sexualität zur Zeugung und dem Dienst an Männern reduziert wurde. Durch antifeministische Äußerungen erlangen Antifeministinnen männliche Anerkennung – und werden so ermutigt, als „Pick me Girls“ Flinta* in den Rücken zu fallen.

Die Zerstörung der Solidarität unter Frauen war schon früher ein zentrales Instrument, um die patriarchale Ordnung zu verfestigen. Oft setzten Männer Frauen unter Druck, gegen andere Frauen auszusagen, die der Hexerei bezichtigt wurden. Das schürte Misstrauen und Angst unter Frauen und zerstörte die weibliche Solidarität.

Mangelnde Solidarität in der feministischen Bewegung

Diese fehlt auch heute bei den modernen Hexenverfolgungen. Über „Hexenjäger“, die Frauen in Teilen Afrikas und Asiens jagen und ermorden, verlieren westliche Fe­mi­nis­t*in­nen kaum ein Wort. Ebenso wenig über die 3.000 Frauen, die derzeit in Ghana in „Hexenlagern“ leben, weil sie unter Androhung des Todes aus ihren Gemeinden fliehen mussten.

Die Hexenverfolgung, die größten Massenhinrichtungen, die es zu Friedenszeiten in Europa gegeben hat, wird auch hierzulande unter den Teppich gekehrt. Anstatt die Gräuel aufzuarbeiten und ihnen Platz im kollektiven Gedächtnis zu verschaffen, werden sie in trashigen Disney-Produktionen verarbeitet, die frauenfeindliche Stereotype reproduzieren.

Flinta* versuchen sich daher, den Hexenbegriff emanzipatorisch anzueignen und seiner demütigenden Wirkung zu berauben. Sie feiern sich bei Vollmond-Ritualen, auf „Witchtok“ und Flinta*-Demos. „Lasst uns Hexen sein!“, riefen Flinta* auf der „Take back the Night“-Demo. „Gierig und promiskuitiv, pervers und queer, das sind wir!“

Nicht nur der Begriff „Witch“ wird sich positiv angeeignet, auch der Begriff „Bitch“. Denn was früher die Witch war, ist heute die Bitch: eine, die nicht kleinlaut und unterwürfig ist. Eine, die ihre Wut artikuliert und das patriarchale System herausfordert. Und wie damals die Witch, wird heute die Bitch von Männern mit Hass überschüttet – aus Angst vor ihrer Macht, ihrem Wissen, ihrer Handlungsfähigkeit.

Und die ist gerechtfertigt. Denn die Hexe ist kein Opfer, sondern eine Bedrohung. Und ihre Pläne sind vernichtend: „Mit einem Besen in der Hand putzen wir das Patriarchat blitze blank.“ Hex, hex!

„Take back the Night“-Demo, 30. April, 20 Uhr, Mariannenplatz.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • Mir fehlt in dem sehr interessanten Artikel der queere Blick. Das ist ein Blick, der aus dem heteronormativen Verständnis herausgeht, aber Männer eben mit einschließt, die sich eben geschlechterübergreifend als queer verstehen bzw. es eben sind und sich im Wortsinn als quer zur Heteronorm verstehen. Die queere Bewegung ist schon längst weiter als daß sie diese Männer mit dem Begriff Flinta ausschließt. Die teilweise Fixierung auf den Kapitalismus ist auch eine sehr fragwürdige, denn diese wird gerade heutzutage wieder zur Diskreditierung der Demokratie benutzt. Und sie ist es, über die wir unsere Menschenrechte eben sicher einklagen.

  • Es war keine Hexenverfolgung, es gab und gibt keine Hexen. Wir sollten es beim Namen nennen, das waren Femizide.

  • Da hat jemand brav seine Federici gelesen. Wie so häufig, wenn sich Philosophen, Politologen und andere Fachfremde bei der Geschichte bedienen, geht das jedoch furchtbar schief.

    Die Hexenverfolgung als koordinierte, zweckrationale Kampagne einer Art Masterplan folgend zur ursprünglichen Akkumulation und Verfestigung patriarchaler Herrschaft darzustellen, die den Boden bereitete für die kapitalistische Arbeits- und Geschlechterordnung, wird den komplexen sozialen, religiösen und politischen Faktoren nicht mal im Ansatz gerecht, überschätzt die Anzahl und Bedeutung von Hebammen und Heilkundigen unter den Verfolgten bei Weitem ebenso wie die Anzahl der wegen Hexerei Getöteten.

    Das waren nur zwischen 40.000 und 60.000 in ganz Europa im Verlauf von rund 300 Jahren. Allein im Dreißigjährigen Krieg starben dagegen 4 bis 8 Millionen Menschen.

    Und im 14. Jahrhundert starben an der Pest zwischen 20 und 50 Millionen, rund ein Drittel der Bevölkerung Europas.

    Wenn solche Ausführungen helfen, Zustände wie in Ghana zu verhindern (was sie offenkundig nicht tun), sollen sie mir recht sein.

    Nur mit Wissenschaft hat das nichts zu tun.

  • bis auf das erotische Kapital.. Hey Hex, feier ich wir dieses Bewusstsein! Schönes Beltane!

  • Ich finde es extrem ärgerlich, einen derart faktenverdrehenden Text in einer seriösen Zeitung zu lesen. Nichts gegen Feminismus, nichts gegen die Aufarbeitung des Hexenahns - aber dieses Vermengen von Halbwahrheiten tut einfach weh. Guter Journalismus sollte sich von Aktivismus abheben.

    • @Achim Kniefel:

      "dieses Vermengen von Halbwahrheiten tut einfach weh."

      Da kann ich nur zustimmen und erspare mir jede weitere Ausführung...

    • @Achim Kniefel:

      Gibts da wenigstens eine Faktenentdrehung oder soll nur mal gemeckert worden sein?



      Als Plädoyer für MEHR gender studies:



      "Im Jahre 1887 erschien die Klitoris in Gray’s Anatomy, einem Anatomie-Standardwerk. Hier war die Klitoris noch in ihrer Originalgröße abgebildet. Bereits 1901 war sie nur noch als kleine Vorwölbung dargestellt, 1913 verschwand sie völlig aus Gray’s Anatomy" (aus: de.wikipedia.org/wiki/Klitoris)

      • @Hugo:

        Die letzte gerichtlich angeordnete Hinrichtung einer Hexe in Europa fand 1782 in der Schweiz statt.

        • @BrendanB:

          Jo, ist 18.Jh. wie im Artikel von Lilly Schröder erwähnt und lt wikipedia gabs 11 Jahre später in "Südpreußen" die allerletzte Hinrichtung.

    • @Achim Kniefel:

      Könnten sie bitte auch ausführen, welche Fakten hier genau verdreht werden? Wenn sie das nicht können muss ich leider annehmen, dass sie Teil des Problems sind und einer Frau den Mund verbieten/ihre Plattform nehmen wollen.

      • @Blutsbruder WinnePuh:

        Fangen wir mal damit an, dass wir keine Frauen auf dem Scheiterhaufen verbrennen...? Wäre mein Ansatz, aber vielleicht bin ich auch das Problem ;)

        • @Genosse Luzifer:

          Na, und dann kommen wir schon schnell dahin, dass gestern in Hamburg eine Puppe mit stark symbolträchtigen, regenbogenfarbenen Haaren auf einem Scheiterhaufen verbrannt wurde, auch in der taz zu lesen und kommentiert zu verfolgen.

  • Witch as bitch can