Gewalt gegen Frauen: Impfen heißt, darüber zu sprechen
Gewalt gegen Frauen nimmt während Corona nochmal zu. Darüber zu sprechen darf kein Tabu mehr sein. Gewalt muss für die Täter schambesetzt sein.
G ewalt gegen Frauen“ ist ein Ausdruck, der distanziert bleibt. Dabei ist das, was er beschreibt, so grenzverletzend wie sonst kaum etwas. „Gewalt gegen Frauen“ beschreibt Schläge ins Gesicht und auf den Körper, mit Fäusten oder Aschenbechern, die den Schädel zertrümmern. Der Begriff beschreibt Knochenbrüche, Würgemale, Blutungen, er umfasst Schnitte und Schüsse. Er kommt Frauen so brutal nah, dass Sprache für die Erfahrungen, die damit verbunden sind, kaum ausreicht.
„Gewalt gegen Frauen“ ist ein Ausdruck, der zusammenschrumpft, worum es geht – doch der Bereich ist pandemisch. Es gibt Gewalt gegen Frauen, um sie zu kontrollieren, Genitalverstümmelungen, Femizide. Es gibt häusliche Gewalt, die schon durch die Bezeichnung als Privatsache gelabelt wird und die während Corona wohl gerade weltweit zunimmt. Es gibt digitale Gewalt wie das Verbreiten intimer Fotos. Und es gibt Gewalt wie Vergewaltigungen oder Stalking, die kaum zur Anzeige gebracht und noch viel weniger verurteilt werden, das Leben von Frauen aber massiv beeinflussen.
Gewalt gegen Frauen beginnt nicht erst, wenn einer zuschlägt. Was ihr vorausgeht, ist in einer Gesellschaft angelegt, in der die Frage, wer Macht hat und wer nicht, entlang von Geschlechtergrenzen beantwortet werden kann. Obwohl oder gerade weil das jahrhundertelang gewachsen ist, konnten sich erst die Delegierten der Pekinger Weltfrauenkonferenz 1995 darauf einigen, Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung zu verfolgen. Erst 2000 wurde sexualisierte Kriegsgewalt durch die Vereinten Nationen geächtet. Erst 2004 gab es in Deutschland die erste repräsentative Studie zu Gewalterfahrungen von Frauen. Erst 2014 wurde die erste und bisher einzige europaweite Studie dazu veröffentlicht. Ein Drittel der Frauen zwischen 15 und 74 Jahren gab an, körperliche oder sexualisierte Gewalt erfahren zu haben. Und erst seit 2014 gibt es die Istanbul-Konvention: das Übereinkommen des Europarats gegen Gewalt gegen Frauen, das Polen und die Türkei nun wieder aufkündigen wollen.
Der Gedenktag
Der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen ist ein jährlicher Gedenk- und Aktionstag zur Bekämpfung von Diskriminierung und Gewalt gegenüber Frauen und Mädchen. Thematisiert werden unter anderem sexueller Missbrauch, Vergewaltigung, weibliche Genitalverstümmelung, häusliche Gewalt, Femizide und Zwangsheirat.
Die Initiative
Was der Initiative Anlass gab, den Tag zu begehen, war der „Fall Mirabal“. 1960 wurden zwei Schwestern, Regimegegnerinnen des damaligen Diktators Rafael Trujillo in der Dominikanischen Republik, von Angehörigen des Militärs verschleppt, vergewaltigt und ermordet. 1981 riefen lateinamerikanische und karibische Feministinnen den 25. November zum Gedenktag für die Opfer von Gewalt gegen Frauen aus, 1999 erklärten die Vereinten Nationen den Tag zum Internationalen Gedenktag. Patrica Hecht
Gewalt, so die WHO, ist eines der größten globalen Gesundheitsrisiken für Frauen. Die einzige Impfung dagegen ist, sie aus dem Dunklen ins Helle zu bringen: Das Sprechen darüber darf kein Tabu mehr sein. Gewalt muss für die Täter schambesetzt sein, nicht für die Opfer. Es braucht Hotlines, Beratungsstellen, Unterkünfte. Es braucht Mitarbeitende in Polizei und Justiz, die wissen, dass es strukturelle Gründe sind, aus denen sich Frauen schwer aus gewalttätigen Beziehungen lösen können. Und es braucht ein Verständnis von Opfern als Überlebende, die enorme Kraft bewiesen haben.
Gewalt gegen Frauen ist nichts, was weiter verharmlost, kleingeredet oder aus der Distanz betrachtet werden darf. Erst wenn wir hinschauen, ist sie veränderbar.
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