Gewalt durch BeamtInnen: Polizei Hessen droht wieder Skandal

Gelöschte Aufnahmen eines drastischen Polizeieinsatzes 2020 in Idstein konnten rekonstruiert werden. Jetzt wird gegen einen Beamten ermittelt.

Das Bild einer Überwachungskamera

Die rekonstruierten Videoaufnahmen vom September 2020 belasten die Beamten der Polizeiwache in Idstein Foto: screenshot: taz

FRANKFURT AM MAIN taz | Wieder muss Hessens Innenminister Peter Beuth, CDU, bohrende Fragen zu einem mutmaßlichen Skandal beantworten. Nach den rechten Umtrieben in der hessischen Polizei und den undurchsichtigen Verbindungen mit den NSU2.0-Drohschreiben ermittelt die Staatsanwaltschaft Wiesbaden nun in einem neuen Fall gegen einen Polizeibeamten.

Im September 2020 sollen die BeamtInnnen vor der Polizeiwache in Idstein einen damals 38-jährigen britischen Staatsbürger misshandelt und dabei verletzt haben. Die belastenden Videoaufnahmen von dem Vorfall galten zunächst als gelöscht. Nun sind sie rekonstruiert.

Das Video: Auf dem Boden vor der Polizeiwache windet sich im fahlen Neonlicht ein Mann auf dem Boden. Drei Polizeibeamte und eine Beamtin fixieren ihn mit Gewalt. Einer von ihnen tut sich besonders hervor. Er kniet auf dem Mann, schlägt ihm zweimal heftig auf den Kopf. Das Opfer auf dem Pflaster schreit mehrfach: „Ich krieg keine Luft.“ Das vierminütige Video, das der taz in Ausschnitten vorliegt, wurde als Beweismittel „durch ein auf Wiederherstellung von Daten spezialisiertes Unternehmen gesichert“, teilte die Staatsanwaltschaft der taz mit.

Der Vorfall wird ein juristisches und politisches Nachspiel haben. Denn nach den neuen Erkenntnissen haben die Betroffenen und ihre KollegInnen der Polizeistation falsche Angaben gemacht, offenbar im Wissen, dass die zunächst vorhandenen Videoaufnahmen gelöscht worden waren.

„Falsch verstandener ­Kameradschaftsgeist“

Der Mann, der in dem Video um Atem ringt, ist der damals 38-jährige Sporttrainer und Gastronom Liam Conway. Gegen ihn wurde zunächst wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte ermittelt. Nach den Aussagen der vier BeamtInnen, war er zuvor aggressiv gegen sie aufgetreten und habe einer Beamtin Pfefferspray zu entwenden versucht.

Nach dem Vorfall haben wohl ein Dutzend KollegInnen das damals noch verfügbare Videomaterial gesichtet und mit eigenen Erklärungen die Darstellung der EinsatzkollegInnen gestützt. Später war das Video,„wie technisch voreingestellt, nach 21 Tagen überschrieben“, worden, so die Polizei.

„Mir hatte damals der zuständige Kommissar ausdrücklich zugesagt, dass die Videoaufnahme gesichert wird“, empört sich Rechtsanwalt Michael Heuchemer. Sein Mandant sei lange sogar als Beschuldigter geführt worden, nicht als Opfer. Er selbst habe bei der Staatsanwaltschaft angeregt, von IT-Spezialisten die ursprünglichen Aufnahmen rekonstruieren zu ­lassen.

Das rekonstruierte Video widerlegt offenbar die Darstellung der vier BeamtInnen. Ihre KollegInnen hätten wohl „aus falsch verstandenem ­Kameradschaftsgeist“ deren Darstellung übernommen, sagt der promovierte Jurist Heuchemer.

Er erwarte Ermittlungen gegen alle Beteiligten: Wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt, unterlassener Hilfeleistung und Nötigung gegen die Einsatzbeamten und wegen falscher Verdächtigung gegen die Entlastungszeugen: „Man darf sich schon einmal falsch erinnern, aber wenn man nach Sichtung der tatsächlichen Vorfälle eine falsche Geschichte bezeugt, ist das strafbar“, sagte Heuchemer der taz. Laut Staatsanwaltschaft wurden die Ermittlungen gegen drei der am ­Einsatz Beteiligten eingestellt. Gegen einen Beamten wird ermittelt.

Idstein liegt im Landtagswahlkreis von CDU-Innenminister Beuth. Conway war vor Jahren Gast beim „Ball des Sports“ im hessischen Landtag und wurde als Sporttrainer ausgezeichnet.

September 2020 sollen die BeamtInnnen vor der Polizeiwache in Idstein einen damals 38-jährigen britischen Staatsbürger misshandelt und dabei verletzt haben.

Aktualisiert und korrigiert am 4.01.2023 um 18:00 Uhr. Im Text hieß es zunächst, es werde gegen vier BeamtInnen ermittelt. Das ist falsch. Es wird nur gegen einen Beamten ermittelt. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen. d. R.

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