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Gewalt bei Gelbwesten-ProtestNur der Staat war überrascht

Die neue Gewalt bei Frankreichs Protesten kam nicht überraschend. Doch während in Paris die Luxusfassaden brannten, ging Macron Ski fahren.

Historischer Ort: Fouquet's nach dem Besuch der Gelbwesten Foto: dpa

Paris taz | Offiziell waren es am Samstagvormittag bei der Kundgebung der Gilets jaunes rund 10.000 Demonstrierende. In ihre Reihen hatten sich zahlreiche „Black blocks“ gemischt, die offenbar mit der Absicht gekommen waren, bei der ersten Gelegenheit die Konfrontation mit den Ordnungskräften zu provozieren oder – aus ihrer Sicht – sich für die Polizeigewalt der Vergangenheit zu revanchieren.

War es in den letzten Wochen den Ordnungskräften einigermaßen gelungen, allzu dramatische Ausschreitungen zu vermeiden, schienen die zirka 5.000 Polizisten und Angehörigen der Gendarmerie diesmal zunächst überfordert. Das ist umso erstaunlicher, als im Voraus bekannt war, dass es zu einer Eskalation kommen sollte. Den „18. Akt“ hatten die Gelbwesten mit dem Titel „Das Ultimatum“ angekündigt.

Vor dem Wochenende war die von Präsident Emmanuel Macron initiierte „Große Nationale Debatte“ offiziell zu Ende gegangen. Trotz einer regen Beteiligung bleibt offen, ob die zahlreichen Vorschläge oder Beschwerden etwas bewirken werden. Mit diesem in Frankreich neuartigen Dialog unter den BürgerInnen wollen sich die allermeisten Gelbwesten weder abfertigen noch einlullen lassen.

Die Radikalsten unter ihnen, unterstützt von „Black blocks“ und angeblich zum Teil aus dem Ausland angereisten Autonomen und Anarchisten, setzen mehr denn je auf direkte Aktion. Andere rechtfertigen die Gewalt als Methode oder äußern Verständnis dafür.

Fouquet's ging in Flammen auf

Noch vor dem Mittag brannten auf den Champs Élysées wieder Barrikaden, wie am 1. und 8. Dezember. Später wurden mehrere Geschäfte, namentlich eine Hugo-Boss-Boutique und ein Schmuckladen, geplündert und das bekannte Luxus­restaurant Fouquet’s mit Brandstiftung weitgehend verwüstet.

Bei einer ebenfalls in Brand gesteckten Bankfiliale wurde um ein Haar eine Katastrophe vermieden: Elf Personen konnten gerade noch leichtverletzt aus den oberen Etagen des Gebäudes vor den Flammen gerettet werden.

Nach vier Monaten steht Frankreich in diesem Konflikt praktisch wieder am Ausgangspunkt

Nicht nur Symbole des Kapitalismus und Luxus wurden angegriffen, auch zwei Zeitungs­kioske gingen in Flammen auf. Im Radio meinte am Sonntag eine betroffene Kioskfrau verbittert dazu: „Ich habe selber zu Beginn die Gelbwesten total unterstützt. Jetzt ist Schluss damit. Wir sind keine Kapitalisten, wir verdienen nur den Minimallohn. Unsere Arbeit ist futsch. Alle wussten, dass es heute zu Gewalt kommen würde, doch es gab keinen Ordnungsdienst der Gilets jaunes. Wer die ‚Casseurs‘ machen lässt, ist ein Komplize.“

Empört fordert die sozialistische Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo Rechenschaft von Premierminister Edouard Phi­lippe. Sie verlangt, die Hauptstadt müsse vor solchen wiederholten Krawallen bewahrt werden. Die konservative Oppositionspartei Les Républicains (LR) verlangt die Verhängung des Ausnahmezustands und fordert den Rücktritt von Innenminister Christophe Castaner wegen „Hilflosigkeit und Ineffizienz“.

LR-Sprecher Eric Ciotti äußerte sich auch schockiert darüber, dass sich Macron auf der Skipiste vergnügte, während in Paris die Gewalt tobte. Von 280 am Samstag Festgenommenen waren am Sonntag noch 200 in Polizeigewahrsam.

Zurück auf Null

Nach vier Monaten ist ein Ende des Konflikts also nicht abzusehen. Ganz im Gegenteil: In dieser Auseinandersetzung steht man praktisch wieder am Ausgangspunkt. Vorderhand gibt es keine Gewinner, sondern nur Verlierer. Staatspräsident Macron hatte geglaubt, auf Zeit spielen zu können.

Diese in der Politik bewährte Taktik ist gegenüber diesen politisch und soziologischen UFOs in gelben Warnwesten nicht aufgegangen. Parallel zu den großen Demonstrationen, die in den Medien Schlagzeilen machen, harren auf Dutzenden von Kreisverkehren immer noch Gelbwesten mit einer unglaublichen Hartnäckigkeit aus.

Die linke Opposition wollte am Samstag die ungleich erfreulicheren Aspekte einer anderen, viel größeren, sehr bunten und völlig friedlichen Kundgebung unterstreichen: Mehrere zehntausend Menschen aller Generationen beteiligten sich in Paris am internationalen Marsch für das Klima.

Die Anwesenheit von zahlreichen Demonstrierenden in gelben Westen und ein Sit-in mit einer Schweigeminute für die bei Ordnungseinsätzen verletzten Gilets jaunes belegen, dass die von der Linken erhoffte „Konvergenz“ zwischen sozialen und ökologischen Protesten nicht so utopisch ist.

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10 Kommentare

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  • Gerade gefunden in einem Live-Blog von LeMonde zur aktuellen Entwicklung hinsichtlich Demo-Verboten usw.:



    Leser-Frage: 'Hallo, zerbrochene Fenster, Zerstörungen wie die von Samstag, stellen nicht sie eine Gewalt dar, die eher symbolisch als real ist ?' - Antwort LeMonde:



    'Hallo, die Bewertung des "Gewaltniveaus" ist in der Tat eine Frage der Perspektive. Es ist festzustellen, dass es relativ wenige Verletzungen gab (42 Demonstranten, 17 Polizisten und Gendarmen, 1 Feuerwehrmann). Man kann auch feststellen, dass die Zerstörungen Symbole für Reichtum und Macht zum Ziel hatten. Dies sind hauptsächlich Luxusgeschäfte, ein nobles Restaurant, Banken usw.



    Medial sehr wirksam auf der berühmtesten Straße der Welt. Dennoch sind diese Gewaltakte wohl kaum nur symbolisch. Menschen, die in dem brennenden Gebäude ohne die Hilfe von Feuerwehrleuten lebendig verbrannt wären, haben sicherlich eine andere Ansicht.'

    www.lemonde.fr/soc..._5437805_3224.html

  • Rührend, dieses Mitleid hier mit umgestalteten Bankfilialen. Auch das ulkige Wort "linksextrem" klettert aus der Mottenkiste.



    Frankreich hat das, was uns immer fehlt.

    • @Linksman:

      Wenn man den misanthropischen Inhalt Ihres Beitrages und Ihre Pseudonym übereinander legt, ist ziemlich viel Leben in der Mottenkiste.

  • Die Gelbwesten, das sind Kriminelle, sie sind nicht links, sie sind noch nicht mal politisch. Konvergenz mit dem Mob? Was ist das nur für eine wahnsinnige Naivität?

    • @Benedikt Bräutigam:

      Na da ging der Plan doch auf. Von Deutschland lernen heißt siegen.



      Schicken wir mal einige 1000 Wühlmäuse die Krawall machen und schon ist die gute Aktion diskreditiert.



      Hat in Deutschland bis jetzt immer funktioniert, dann funktionierts auch in France.



      Leserzuschriften? Grüße an den Michel, der schläft immer noch.

  • Das war ja kein Zufall. Die Randale fand statt, WEIL Macron skifuhr. Eine 1a Demonstration der eigenen Stärke in Abwesenheit der anderen.

  • Wie soll eine "erhoffte „Konvergenz“ zwischen sozialen und ökologischen Protesten" funktionieren, wenn letztere hoehere Benzinpreise fordern, die Gelbwesten genau das Gegenteil?

  • „Ich habe selber zu Beginn die Gelbwesten total unterstützt. Jetzt ist Schluss damit. Wir sind keine Kapitalisten, wir verdienen nur den Minimallohn. Unsere Arbeit ist futsch“



    In der Tat: Es fällt leicht, die Protestierer zu unterstützen, solange man nicht selbst von deren „engagierten“ Demos betroffen ist. Die „Anderen“, die werden’s schon irgendwie verdient haben. Vor allem die Banken! Und um die Bewohner des Hauses, in dem die Bank-Filiale brennt, wird sich schon irgendwie gekümmert werden.



    Habe ich die Motivation der Gelbwesten-Sympathisanten richtig zusammengefasst?



    Betreffs der Überschrift: „Nur der Staat war überrascht“: Nur mal angenommen, die Polizei hätte sich genauso sorgfältig vorbereitet, wie die Ladenplünderer und Feuerteufel und wäre entschlossen eingeschritten, dann hätte der Beitrag sicher eine andere Überschrift, nämlich: „Polizeibrutalität!“.

  • Erstens war Macron zum Skifahren gegangen, bevor die angekarrten Schlägertrupps loslegten und zweitens hätte seine Anwesenheit auch nichts verhindert. Die waren gut organisiert, hatten in Nebenstraßen Sammelstellen eingerichtet und Eric Drouet hatte ihnen sogar zuvor eingetrichtert, sicherheitshalber ohne die übliche Randaleausrüstung anzureisen (Schutz vor Tränengas etc.), sie bekämen alles vor Ort...

    Mehr als Macron steht wohl Castaner im Zentrum der Kritik. Unfassbar, wie vor den Augen aller diese Dinge passieren können. Die "Flics", mit denen ich gesprochen habe, scheinen resigniert zu sein, wäre ich auch, wenn ich regelmäßig den Kopf hinhalten müsste. Sogar weit hinten am Boulevard Haussmann eingeschlagene Scheiben und Parolen "Nur ein toter Flic ist ein guter Flic".

    • @Trango:

      Gut zusammengefasst. Man sollte gegen die Gewalttätigen unter den Demonstranten ganz anders vorgehen, ggf sollte man nach entsprechender Androhung von der Schusswaffe Gebrauch machen. Die Rädelsführer gehören für sechs Monate eingelocht.



      Macron und Skifahren in einen Kontext damit zu setzen fällt nur Linksextremisten und Rechtsextremisten ein, die gemeinsam Frankreich zerstören und in ihrem jeweiligen Sinne neu 'aufbauen' wollen. Liebe linke Utopisten, schaut in die Wahlumfragen und ratet mal was dabei herauskäme.