Gesine & Kevin: Die wären's, oder?: Das ignorierte Traumduo
Die Tragik der Partei zeigt sich im Casting der SPD um den Parteivorsitz. Das hat begonnen – und keinen kümmert's. Dabei gäbe es eine perfekte Lösung.
Die Sozialdemokratie hangelt sich so durch die politische Wirklichkeit – und beharrt doch darauf, dass, als sei's ein Verfahren aus dem Lehrbuch für Verwaltungsverfahren, das Procedere eingehalten wird. Also: Gestern hat offiziell die Bewerbungsfrist begonnen für das Amt des Parteivorsitzes. Am 1. September, also mit dem Sonntag, an dem auch in Sachsen und Brandenburg die Landtage neu gewählt werden, endet die Zeit der Bewerbungen.
Der Stichtag, bis zu dem Bewerbungen möglich sind, ist wichtig: Man will die erwartbar sehr, sehr schlechten Ergebnisse, die aus Dresden und Potsdam vermeldet werden, nicht ins Verfahren einfließen lassen. So die Theorie der kommissarischen Leiter*innen der SPD, Manuela Schwesig aus Mecklenburg-Vorpommern, Malu Dreyer aus Rheinland-Pfalz und Thorsten Schäfer-Gümbel aus Hessen – die im Übrigen allesamt selbst nicht für den oder die Posten kandidieren wollen.
So weit, so ordentlich. Aber die Tragödie, die in dieser Partei begraben liegt, das Verhängnis ihrer Existenz, liegt bereits im Verfahren. Denn tatsächlich gäbe es ein Traumduo, eines, das, würde es tatsächlich auf einem Parteitag gewählt werden, für Aufmerksamkeit jenseits der mehr oder weniger erfolgreichen Regierungsgeschäfte der SPD in der GroKo sorgen würde – und zwar, je nach Perspektive, für irritierte oder interessierte.
Die Rede ist natürlich von Gesine Schwan und Kevin Kühnert, beide in Berlin lebend, potentiell eine Art “Harold und Maude“ der deutschen Politikgeschichte, ein Paar besonderster Art. Sie, 76 Jahre alt und von unverwüstlicher Souveränität in Rhetorik und Fähigkeit zum Streit mit dem antidemokratischen Gegner, Politikwissenschaftlerin und bekennende Antikommunistin; er, der Juso-Vorsitzende, eben welpenhafte 30 Jahre geworden, der sich zu Inhaltlichem anti-neoliberalen Gedankenguts („Enteignungen oder Vergesellschaftungen müssen möglich sein“, so der Tenor seiner Äußerungen in der „Zeit“) offen und gern hinreißen lässt und rhetorisch auch nicht gerade ein worthohliges Dumpfbackchen ist.
Nicht mal ein anerkennendes „Wow!-wie-unorthodox!“
Sie eint, dass sie in keinen Regierungsämtern stecken. Sie trennt gleichwohl manches. Gutes, Spannungsverheißendes: Sie verbindet mit dem Amt der Parteivorsitzenden keine Karriereambitionen, sie hat ihr Lebenswerk, so sagt sie selbst, hinter sich; er hat es noch vor sich, ohne jetzt schon als Staatsposteninhaber Rücksichten auf Kolleg*innen in Regierungsverantwortung nehmen zu müssen. Sie ist eine Freundin des eher antijusoistischen Seeheimer-Kreis-Flügels, er ist der Parteilinke – und beide finden, dass die Idee der Sozialdemokratie nicht schon mit der gediegen verwalteten Regierungstätigkeiten in Deckung gebracht ist.
Das Erstaunliche, ja, das Deprimierende an der SPD ist, dass es, als Gesine Schwan, selbst schon zwei Mal für ihre Partei Kandidatin bei Bundespräsidentenwahlen, mehr als nur dezent andeutete, sie könne sich mit Kevin Kühnert eine Parteichef*innen-Doppelspitze vorstellen, keinen sie beglückenden Jubelsturm gab, nicht einmal ein anerkennendes „Wow!-wie-unorthodox!“ erntete sie.
Und Kühnert? Schwieg und hielt sich so bedeckt. Hätte er seinen robusten Offensivgeist nicht einmal nutzen können, um zu sagen: Ja, das klingt bizarr – aber es wäre das Risiko wert. Stattdessen werden weiter Namen wie der von Familienministerin Franziska Giffey gehandelt, die zwar perfekt wäre, aber eine Doktorinnenarbeit eingereicht hat, die sich sehr wahrscheinlich als nichtdoktorinnenfähig erweisen wird. Eine mit einem Makel behaftete Kandidatin in spe also. Ebenso Stefan Weil aus Niedersachsen – auch nicht gerade die Verkörperung von Esprit und Experimentalität.
Denn experimentell, aus der Sicht konservativer Gemüter, sollte es schon sein: Wie soll es sonst möglich sein, gegen die perfekt aufgestellten Grünen zu bestehen? Gesine Schwan und Kevin Kühnert - das wäre nicht das, wovon August Bebel, Kurt Schumacher, Helmut Schmidt und Willy Brandt geträumt hätten. Charismatiker*innen wie dieses Duo, eine lernende Zweiergemeinschaft, hat die SPD aber sonst keine mehr. Sie – die Frau, die sich nicht den Mund verbieten lässt, er – der Jungspund, der keine Angst vor Granden hat: Sie und ihre Partei müssen es nur wollen. Feigheit aus dem Angst vor dem Sterben – die hat der SPD noch nie genützt.
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