Gesichtsverschleierung an der Kieler Uni: Grüne streiten über Niqab-Verbot
Die Grünen sind uneins über die Entscheidung der Kieler Uni, einer Studentin das Tragen eines Gesichtsschleiers bei Uni-Veranstaltungen zu untersagen.
Die CAU erhielt für ihre Entscheidung viel Zustimmung von den Parteien. Nur die Grünen zeigten sich kritisch. Lasse Petersdotter aus Kiel nannte die Entscheidung des Hochschulpräsidiums einen Fehler. „Die Möglichkeit, religiöse Symbole zu tragen oder auf sie zu verzichten, zeichnet eine weltoffene Gesellschaft aus“, sagte der hochschulpolitische Sprecher der Landtagsfraktion. Eine demokratische Gesellschaft dürfe Menschen nicht aufgrund ihrer Religion aus staatlichen Bildungseinrichtungen ausschließen.
Gegen seine Äußerungen regt sich nun Widerstand aus den eigenen Reihen. Am Mittwoch schickten mehrere Parteimitglieder aus anderen Bundesländern eine Solidaritätsbekundung per E-Mail an die Hochschulleitung. Darin gehen sie Petersdotter hart an: „Wir sind entsetzt, dass ein junger grüner Landtagsabgeordneter, ja die gesamte Landtagsfraktion, jetzt Ihre gute und überfällige Entscheidung rückgängig machen lassen will.“ Damit ermöglichten sie, „den reaktionärsten Extremisten unter den Islamgläubigen einen Präzedenzfall zu etablieren“.
Auslöser des politischen Disputs ist die Studentin Katharina K. Die zum Islam konvertierte Deutsche war Ende des vergangenen Jahres mit einem Niqab, also einer Gesichtsverschleierung, bei der nur die Augen unbedeckt bleiben, zu einem Tutorium erschienen. Dem Dozenten passte das nicht, K. weigerte sich allerdings, den Niqab abzulegen.
Religionsfreiheit vs. Menschenrechte
Daraufhin erließ das Hochschulpräsidium Mitte Februar ein Verbot von Vollverschleierungen in allen Veranstaltungen. Im Studium seien Gestik und Mimik von Bedeutung, heißt es in der Richtlinie des Präsidiums. Ein Niqab sei nicht erlaubt, „da ein Gesichtsschleier diese offene Kommunikation behindert“.
Neben dem Hamburger Journalisten Paul Nellen und der Feministin Doro Meuren ist die E-Mail auch von der Theologin Eva Quistorp unterzeichnet. Sie ist Mitgründerin der Grünen. Das verleiht der Kritik an Petersdotter Gewicht.
Auch die Harburger Bezirksabgeordnete Gudrun Schittek hat die E-Mail mit unterzeichnet. „Wir sind nicht einer Meinung“, fasst sie den innerparteilichen Zwist zusammen. Für sie ist der Niqab kein Zeichen der Religionsfreiheit, sondern ein „islamistisches Propagandamittel“. Dieses widerspreche dem hiesigen Wertesystem und sei deswegen nicht tolerierbar. „Es geht nicht um Vielfalt, sondern um Menschenrechte“, sagt sie.
Niquab und Burka kein religiöses Gebot
Dass Katharina K. von der Förderalen Islamischen Union (FIU) unterstützt wird, dürfte die Debatte weiter befeuern. Die FIU wird vom niedersächsischen Verfassungsschutz beobachtet, der den Verein dem politischen Salafismus zuordnet. „Die Mehrheitsgesellschaft hat ein falsches Bild vom Salafismus“, verteidigt die Studentin den Verein. Sie ist vor drei Jahren zum Islam konvertiert. Erst trug sie nur ein Kopftuch, mittlerweile verschleiert sie sich ganz.
„Ich werde nicht unterdrückt, ich mache das aus Überzeugung“, stellte K. Ende Februar in einem Interview mit der taz klar. Gudrun Schittek hat für diese Aussage keinerlei Verständnis: „In anderen Ländern wollen Muslima den Schleier ablegen und hier legen sie ihn freiwillig an.“
Zumindest in einer Sache sind sich die grünen Streithähne einig. Das Anlegen eines Niqabs oder einer Burka sei kein religiöses Gebot, sagt Petersdotter. „Es steht nicht im Koran“, stimmt Schittek zu.
Die CAU selbst sagt nicht viel zu den Solidaritätsbekundungen der Grünen. „Uns geht es nicht um Politik, sondern um die Sache an sich“, sagt Pressesprecher Boris Pawlowski. Auf dem Campus werde das Thema weiterhin kontrovers diskutiert. Für Pawlowski wird der Streit auch in Zukunft weitergehen: „Dem stellen wir uns, dafür ist Uni da.“
Auch Schittek sieht Diskussionsbedarf. Das Thema sei in allen gesellschaftlichen Schichten umstritten. „Und eben auch bei den Grünen“, sagt sie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich