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Gesetzespläne in ÖsterreichEin Ablenkungsspiel

Österreichs Kanzler Kurz will den Straftatbestand „politischer Islam“ einführen – und damit vor allem das eigene eklatante Versagen überspielen.

Sebastian Kurz (ÖVP) gedenkt der Toten des Terroranschlags in Wien Foto: Arno Melicharek/BKA/APA/dpa

Lebenslanger Maßnahmenvollzug für Terroristen, zusätzliche Überwachungsmöglichkeiten für „Gefährder“, Fußfesseln für entlassene Islamisten und die Kriminalisierung des politischen Islam. All das gehört zu einem neuen Antiterrorpaket, das Österreichs Regierung am Mittwoch in Schlagworten vorstellte. Alles soll bis Dezember verfassungskonform formuliert werden, versicherte Justizministerin Alma Zadić von den Grünen. So sicher ist das aber nicht.

Hintergrund des Gesetzespakets ist der Terroranschlag Anfang November in Wien. An einem Montagabend erschoss ein islamistischer Attentäter vier Menschen und verletzte rund 20 weitere. Inzwischen ist klar, dass der Anschlag hätte verhindert werden können, hätten die österreichischen Behörden nicht eklatant versagt. Der in Österreich geborene und aufgewachsene 20-Jährige war nach einem gescheiterten Versuch, sich in Syrien dem „IS“ anzuschließen, zu 22 Monaten Haft verurteilt worden. Im vergangenen Dezember dann aber vorzeitig entlassen worden.

Zwar musste er an einem Deradikalisierungsprogramm teilnehmen und bekam einen Bewährungshelfer. Trotzdem traf er sich im Sommer mit Gesinnungsgenossen aus Deutschland und der Schweiz und versuchte danach, in der Slowakei Munition zu kaufen. Die Geheimdienste der drei Länder informierten das österreichische Innenministerium. Trotz des flagranten Verstoßes gegen die Bewährungsauflagen wurde der Mann weder festgenommen noch weiterobserviert.

Nach der Tat suchte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) die Schuldigen zunächst bei der Justiz (die von seinem Ministerium nicht über die Umtriebe des Haftentlassenen informiert worden war), dann bei seinem Vorgänger Herbert Kickl (FPÖ), der den Geheimdienst BVT kaputtgemacht habe. Er suchte sie überall, nur nicht bei sich selbst. Rufe nach seinem Rücktritt wies er zurück.

Das Gesetzespaket steht schon auf wackeligen Beinen, bevor es ausformuliert ist

Bevor dann nun eine am Donnerstag vorgestellte unabhängige Kommission ermitteln konnte, was schief gelaufen ist, beeilt sich die Regierung jetzt, Härte gegenüber islamischen Extremisten zu zeigen. Letzte Woche wurden zwei Moscheen in Wien geschlossen. Am Dienstag durchsuchte die Polizei Häuser und Büros von Organisationen und Personen, die der Mus­lim­bru­derschaft nahestehen sollen. Für Verhaftungen reichten die gefundenen Dokumente und Bargeld in Höhe von rund 25 Millionen Euro nicht aus.

Juristen melden Zweifel an

Nun eben ein neues Gesetz. Doch das steht schon auf wackeligen Beinen, bevor es ausformuliert ist. Juristen bezweifeln, dass man den Tatbestand der Anhängerschaft zum politischen Islam wasserdicht definieren kann. Einen Maßnahmenvollzug nach verbüßter Haftstrafe kennt das österreichische Strafgesetz bisher nur für „geistig abnorme Rechtsbrecher“, also unberechenbare psychisch Erkrankte. Islamistische Täter mögen fanatisch sein, in den seltensten Fällen aber psychisch krank. Entzug der Staatsbürgerschaft und des Führerscheins, wie sie in der präsentierten Ideensammlung vorgeschlagen werden, riechen eher nach Rache, als nach Bemühung um Resozialisierung, die das österreichische Strafrecht anstrebt.

Aus der Opposition gibt es Kritik an dem geplanten Gesetzespaket. Die rechte FPÖ findet die Pläne zu lasch. SPÖ-Vizefraktionschef Jörg Leichtfried will das Paket erst bewerten, wenn konkrete Vorschläge für Gesetzesveränderungen vorliegen. Doch er sieht die Verantwortung der Kette von Fehlern beim Innenminister.

Eigentlich müsste das Paket auch den Grünen gegen den Strich gehen. Ihre bisherige Position war, das Geld nicht für den Maßnahmenvollzug einzusetzen, sondern Bewährungshilfe- und Deradikalisierungsvereine mit erforderlichen Mitteln auszustatten, um damit islamistisch motivierte Straftaten zu verhindern. Doch jetzt sitzen sie mit der ÖVP in der Regierung.

Selbst wenn das Gesetzespaket durchkommen sollte, der islamistische Attentäter von Anfang November hätte damit nicht aufgehalten werden können, wohl aber durch Ausschöpfen der bereits vorhandenen Mittel. Es liegt also nahe, dass die Regierung mit ihrem Aktionismus in erster Linie von dem Behördenversagen ablenken will.

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2 Kommentare

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  • Je nun. Wieso sollten das Prinzip der Wettbewerbsverzerrungen auch dauerhaft „der Wirtschaft“ vorbehalten sein in einer Welt wie unserer? Ich meine: Was schief gehen kann, das geht halt schief.

    Dass Österreichs Juristen es vielleicht wirklich nicht ganz haben haben werden mit der “Anhängerschaft zum politischen Islam“, könnte ich jedenfalls verschmerzen. Man(n) soll sein Brot laut Bibel ja im Schweiße seines Angesichts verdienen. Viel schlimmer finde ich, dass die Anhängerschaft des politischen Christentums so völlig außen vor bleiben soll, wenn es nach Österreichs Kurzem geht. Es wäre mir entschieden lieber, der Kerl würde nicht schon vor dem Sündenfall die Absolution erteilen. Schließlich heißt es immer mal wieder, was in den USA passiert, würde mit ein wenig Verspätung auch in Europa Thema werden. Und für meine Begriffe haben die USA zur Zeit ein mittleres Problem mit Evangelikalen, nicht mit Muslimen.

    Aber vielleicht muss ich das ja auch verstehen. Wenn nun schon mal alles schief gegangen ist und alle irgendwie versagt haben, muss man wohl als Verantwortlicher zumindest versuchen, noch etwas Kapital zu schlagen aus dem riesengroßen Scherbenhaufen, den man da vor sich hat. Ohne das entsprechende Talent wären man womöglich nie geworden, wer bzw. was man derzeit ist. Man könnte sich dann selbst nicht über alle Maßen toll finden und müsste damit rechnen, dass auch kein anderer es tut. Wär‘ das nicht richtig schad‘? Für einen selber, meine ich...?

    • @mowgli:

      Es ist schon bemerkenswert, dass ein Kurz hier von dir noch rechts überholt wird. Nichts anderes ist es nämlich, wenn man einer Kriminalisierung des Gedachten und Geglaubten zustimmt und auch noch ausweiten möchte. Man kann ja was gegen Religion haben, man muss sogar was gegen religiösen Fanatismus haben, in einem Rechtsstaat werden aber immer noch Taten bestraft und nicht Gesinnungen. Von daher ist das österreichische Vorhaben ganz sicher in Teilen menschenrechtswidrig. Die Frage nach der Gleichbehandlung von Religionen und der grundsätzlichen Haltung zur Religionsfreiheit ist übrigens eine zweischneidige. Die Reflexe von Politikern sind zwar billig, dumm und unwirksam, sie haben aber immerhin Anlässe. Demgegenüber ist die Forderung das radikale Christentum schon "vor dem Sündenfall" zu verdächtigen doch sehr fragwürdig.