Gesetzesgrundlage für Coronamaßnahmen: Koalition will Shutdown retten
Gerichte zweifeln an der Rechtsgrundlage für die aktuellen Coronamaßnahmen. Die Bundesregierung will nun das Infektionsschutzgesetz nachbessern.
Seit März wird das öffentliche Leben zur Bekämpfung des Coronavirus in wechselndem Maß eingeschränkt. Die Maßnahmen werden jeweils in Rechtsverordnungen der Landesregierungen angeordnet. Wie weit die Länder gehen können, bestimmt das Infektionsschutzgesetz, ein Bundesgesetz.
Im Infektionsschutzgesetz sind bisher aber nur wenige Maßnahmen konkret erwähnt, etwa das Verbot von Versammlungen oder die Schließung von Schwimmbädern. In der Regel mussten die Länder ihre Verordnungen deshalb auf die Generalklausel für „notwendige Schutzmaßnahmen“ stützen.
Im Frühjahr haben die Verwaltungsgerichte die großflächige Nutzung der Generalklausel noch akzeptiert. Schließlich war die Lage neu und unübersichtlich. Jetzt, ein halbes Jahr später, ist aber bekannt, welche Maßnahmen wirken oder zumindest in Betracht kommen. Nun murren die Gerichte immer lauter. Letzten Freitag äußerte etwa der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) Zweifel, ob die Maßnahmen der Landesregierungen noch dem Parlamentsvorbehalt für Grundrechtseingriffe genügen.
Rechtliche Grundlage nachbessern – im Nachhinein
In der Koalition hat man die Signale verstanden und will nun schnell das Infektionsschutzgesetz konkretisieren. In einem neuen Paragrafen 28a sollen fünfzehn Maßnahmen als Beispiele für „notwendige Schutzmaßnahmen“ ausdrücklich erwähnt werden.
Mit dabei sind zum Beispiel das Abstandsgebot, die Maskenpflicht, Beherberbungsverbote sowie die Schließung von Kultur- und Sporteinrichtungen. Die Aufzählung gilt ausdrücklich nur zur Bekämpfung des Coronavirus und auch nur, solange der Bundestag eine „epidemische Lage nationaler Tragweite“ feststellt. Diesen Nationalepidemie-Beschluss hat der Bundestag bereits im März gefasst und seitdem nicht aufgehoben.
Im Bundestag stellte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) den Gesetzentwurf der Koalition vor. Nur die AfD lehnte den neuen Paragrafen rundweg ab. Grundrechtseingriffe seien unnötig, so der Abgeordnete Detlev Spangenberg, wenn man sich auf den „Schutz“ der Alten und Vorerkrankten konzentriere.
Die Grüne Manuela Rottmann hält die bloße Aufzählung möglicher Maßnahmen für unzureichend. Der Bundestag müsse für jede Maßnahme auch „Zweck, Voraussetzungen und Grenzen“ definieren. Die Linke Susanne Ferschl begrüßte, dass die Koalition jetzt den Anträgen der Linken folge.
In der Praxis kaum eine Veränderung
Die konkreten Maßnahmen würden auch nach der geplanten Änderung des Infektionsschutzgesetzes weiter von den Landesregierungen beschlossen. Allerdings sieht der Gesetzentwurf vor, dass ab einem bundesweiten Inzidenzwert von 50 (Zahl der Neuinfektionen pro Woche und 100.000 EinwohnerInnen) bundesweit einheitliche Maßnahmen „anzustreben“ sind.
Der Bund soll aber weiter keine Möglichkeit haben, den Ländern Anweisungen zu geben. Es wird also bei den üblichen unverbindlichen Videokonferenzen der MinisterpräsidentInnen mit der Kanzlerin bleiben.
FDP-Chef Christian Lindner kritisierte, die Aufzählung möglicher Schutzmaßnahmen sei ein „Feigenblatt“, um die bereits beschlossenen Maßnahmen nachträglich rechtlich zu legitimieren. Es gebe aber keine Verbesserung bei der Parlamentsbeteiligung, wenn es um die konkrete Anordnung von Maßnahmen geht. Auch die Sozialdemokratin Bärbel Bas kündigte an, dass ihre Fraktion über eine bessere Parlamentsbeteiligung noch reden möchte.
Der neue Paragraf 28a findet sich in einem Gesetzentwurf, der auch noch zahlreiche andere Änderungen des Infektionsschutzgesetzes enthält. Der Änderungsentwurf trägt den schönen Titel „Drittes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“. Am kommenden Donnerstag ist eine Sachverständigenanhörung im Gesundheitsausschuss geplant. Anschließend wird das Gesetz vermutlich schnell im Bundestag beschlossen.
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