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Gesetzentwurf zum FamiliennachzugDer Behördenwillkür überlassen

Hartz IV ist kein Problem für den Nachzug. Trotzdem dürfen nur 1.000 Flüchtlinge im Monat einreisen. Wer, darüber bestimmen die Ämter.

Für jedes Kind ein Kuscheltier – aber nicht alle dürfen kommen Foto: dpa

Berlin taz | In der Frage des Familiennachzugs für Geflüchtete mit subsidiärem Schutz zeichnet sich ab: Wer seine Familie nachholen will, muss nicht zwingend auch für den Lebensunterhalt seiner Angehörigen sorgen können. Trotzdem beinhaltet der Gesetzentwurf aus dem Hause von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) umstrittene Kriterien für die Auswahl der Behörden, wer denn zum Kontingent von 1.000 Flüchtlingen pro Monat gehören soll, die nachkommen dürfen. „Das Ermessen ist unendlich groß“, rügte Bernd Mesovic, Rechtsexperte bei Pro Asyl.

Der Familiennachzug für Geflüchtete mit sogenanntem subsidiärem Schutz ist seit dem Jahre 2016 ausgesetzt. Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, dass künftig wieder Angehörige der Geflüchteten nach Deutschland einreisen dürfen, aber nur 1.000 pro Monat. Dazu hat das CSU-Bundesinnenministerium einen Gesetzentwurf vorgelegt, der zwischen den Ministerien noch abgestimmt werden muss.

Ein Passus in dem Entwurf hatte SPD und Flüchtlingsorganisationen besonders empört. Danach kann die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis für Nachziehende versagt werden, wenn der Geflüchtete in Deutschland auf „Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch“, also Hartz IV, angewiesen ist. Dieser Passus soll aber laut einem anderen Paragrafen im selben Gesetz keine Anwendung auf die subsidiär Schutzberechtigten finden. Das hat das Bundesinnenministerium mittlerweile klargestellt. „Ich halte mich strikt an den Koalitionsvertrag“, betonte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) am Freitag.

Damit bleibt es allerdings bei der Kontingentierung der Nachziehenden auf 1.000 Personen im Monat. Offen ist auch die Frage, wie diese Angehörigen von den Behörden ausgewählt werden sollen. In der Gesetzesbegründung werden dafür „relevante Aspekte“ aufgezählt, dazu gehören dann doch „die eigenständige Sicherung von Lebensunterhalt und Wohnraum auch für den nachziehenden Familienangehörigen“. Das gilt als Pluspunkt, wenn auch nicht als zwingende Voraussetzung.

Die Gefahr bestehe, dass „die eher Privilegierten ihre Familienangehörigen nachholen können“, bemängelte Mesovic. Auch Deutschkenntnisse des nachziehenden Familienangehörigen gelten als „relevant“ für die Auswahl. Minderjährige Kinder sollen zwar ihre Eltern, nicht aber ihre Geschwister nachholen dürfen, was vom Bundesverband unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge (BumF) heftig kritisiert wird.

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16 Kommentare

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  • Der allem in vielen Kommentaren angesprochene Artikel im Grundgesetz und in der europäischen Menschenrechtskonvention ist Fakt !! Ob er für alle anzuwenden ist, die sich auf dem Territorium der BRD aufhalten, ist nicht explizit erwähnt. Jedoch gilt deutsches Recht für alle, die sich hier aufhalten.

     

    Die Realisierung des Nachzugsrechts hängt aber auch von den Möglichkeiten der Republik und der politischen Durchsetzbarkeit ab! Nach seriösen Presseberichten wollen etwa 30- bis 40.000 Personen dieses Recht beanspruchen. Wenn man die Anzahl der nachkommenwilligen Familienmitglieder nur mit etwa 5 berechnet, kann man sich die Anzahl der Ankommenden ausrechnen. Familien aus den Herkunftsländern sind aber meist viel größer! Das ist eben so in Ländern, in denen der Zusammenhalt im Verbund der Großfamilie viel größer ist als bei uns. Also ist die Realisierbarkeit der Forderungen nach bedingungslosem Nachzug nicht so leicht zu beantworten.

     

    Wenn man keine sofortige bedingungslose Familienzusammenführung hinnimmt, muss man eine Grenze ziehen. Diese wird immer kritisiert werden – etwa rechtslastigen und nazinahen Bundestagsmitgliedern wird sie immer zu hoch sein, anderen ist sie zu tief und wird willkürlich genannt. Auch wird eine Auswahl getroffen werden müssen. Wer soll diese dann treffen? Aus rechtlichen und realistischen Gründen wird dies immer eine Behörde sein. Und deren Entscheidungen werden mit Sicherheit aus denselben Gründen wie oben angegriffen werden!

     

    Würde ein bedingungsloser 'subsidiärer Schutz' wieder eingeführt, dann wird dies logischerweise auch den Anreiz zur 'Flucht' nach Deutschland erhöhen. Auch (!) Groß- oder Kleinfamilien die sich aus materiellen Gründen ein Leben hier wünschen, werden versuchen, ein Familienmitglied hierher zu entsenden. Leider wird dies zwangsweise zulasten von wirklich Bedürftigen gehen.

    • 9G
      98589 (Profil gelöscht)
      @fvaderno:

      Danke! Sehr guter realistischer Kommentar.

      Bleibt die Frage wie das alles finanziert werden soll. Das möchte ich wirklich sehr gerne einmal wissen, von den Befürwortern der These "Alle können kommen"

  • Deutschland kann mehr Schutzsuchende aufnehmen

     

    Dass monatlich lediglich 1.000 Angehörige von in Deutschland lebenden Flüchtlingen nachziehen dürften sei mit der Integrationsfähigkeit Deutschlands nicht zu begründen. „Diese Grenze ist willkürlich festgesetzt, viel zu niedrig und trennt Familien, die eigentlich nach Artikel 6 des Grundgesetzes und Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützt werden sollen.

     

    Ein Land wie Deutschland kann die Aufnahme und Integration schutzsuchender Menschen in einer wesentlich höheren Größenordnung gut meistern", so Neher.

     

    Es geht um Menschen und Menschenleben, somit darf es keine taktischen politischen Manöver geben, sondern eine Flüchtlings- und Integrationspolitik der „offenen Hände", die Humanität und Menschenrechte im Blick behalte. „Wir müssen den Menschen, die ein Bleiberecht in unserem Land haben, dabei helfen, hier eine neue Heimat zu finden, wenn sie nicht auf absehbare Zeit in ihre angestammte Heimat zurückkehren können", so Neher. Dazu gehöre, Familien wieder zusammen zu bringen.

     

    „Ein starkes Land wie Deutschland hat eine humanitäre Verantwortung gegenüber schutzbedürftigen Flüchtlingen“, appelliert Caritas-Präsident Peter Neher an Union und SPD anlässlich einer Anhörung im Bundestag zum Familiennachzug. Er hoffe auf die Vernunft der Politik, den Familiennachzug für alle subsidiär Geschützten wieder einzuführen.

    https://www.caritas.de/fuerprofis/presse/pressemeldungen/deutschland-braucht-eine-fluechtlingspol

    • @Stefan Mustermann:

      Die Frage ist nicht ob wir können sondern ob wir wollen.

       

      Alle Macht geht ja - Gott sei Dank - nicht von der Caritas aus.

  • Schutz der Familie ist ein Grundrecht

    Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau und die Diakonie Hessen fordern mit der Aktion „Familien gehören zusammen!“, dass allen Schutzberechtigten erlaubt wird, ihre Angehörigen nachzuholen. Zudem soll die Familienzusammenführung beschleunigt und in anderen europäischen Ländern gestrandeten Familienmitgliedern die Einreise zeitnah ermöglicht werden. Der Schutz der Familie sei ein Grundrecht und gelte auch für Geflüchtete, heißt es auf den Postkarten.

     

    Horst Rühl, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen, erklärt: „Der Schutz von Ehe und Familie ist ein Grundrecht. Von daher fordern Diakonie und Kirche mit dieser gemeinsamen Kampagne die Politik dazu auf, allen Schutzberechtigten zu erlauben, ihre Angehörigen nachzuholen.“

  • Schutz von Familien als Grund- und Menschenrecht

     

    In Art. 6 Abs. 1 unserer Verfassung heißt es:

     

    "Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz des Staates". http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_6.html

     

    Dieser besondere Schutz gilt nicht nur für deutsche Staatsbürger sondern für alle Menschen in unserem Land. Folglich ist der Familiennachzug auch grundrechtlich geboten.

     

    Ebenso stärkt die Europäische Menschenrechtskonvention in Art. 8 den Schutz von Ehe und Familie. So heißt es in Abs. 1:

     

    „Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens….“

    https://www.menschenrechtskonvention.eu/konvention-zum-schutz-der-menschenrechte-und-grundfreiheiten-9236/

     

    Ebenso können die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Art. 16 und der UN Zivilpakt Art. 23 als Menschenrechtsschutz von Ehe und Familie genannt werden.

    https://www.menschenrechtserklaerung.de/ehe-und-familie-3633/

     

    Darüber hinaus kritisiert der 2. Menschenrechtsbericht des Deutschen Institut für Menschen-rechte, der am 06. Dez. 2018 veröffentlicht wurde, die 2-jährige Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär geschützten Flüchtlingen:

     

    „Auch auf europäischer Ebene wurde die Aussetzung des Familiennachzugs aus menschenrechtlicher Perspektive kritisiert:

     

    Der Menschenrechtskommissar des Europarates hob die menschenrechtliche Relevanz und dringlichen Handlungsbedarf hervor, die mit den Einschränkungen beim Familiennachzug verbunden sind. Seine Untersuchung untermauert, dass die Einschränkungen in verschiedenen Europäischen Staaten, darunter auch Deutschland, menschenrechtswidrig sind und beendet werden müssen.“ (S. 35)

    http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/menschenrechtsbericht/menschenrechtsbericht-2017/

  • Einige Politiker, die vom Christlich geprägten Deutschland sprechen, sollten zumindest in der Bibel nachlesen, was christliche Werte und Christentum überhaupt sind.

    • @Stefan Mustermann:

      ... Außer beim Thema Homo-Ehe und Abtreibung.

      Da kann man nicht schnell genug auf Christentum, Kirche und Bibel scheißen - gelle.

  • Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland verwies darauf, dass die Familienzusammenführung durch lange Wartezeiten und hohe Kosten ohnehin schwierig sei. Die Diakonie unterstützt Betroffene nach eigenen Angaben mit einem eigenen Fonds, der ein Drittel der Reisekosten von Angehörigen übernimmt. Mehr als 1.600 Familien konnten den Angaben zufolge 2016 und 2017 unterstützt werden. Dafür seien mehr als 500.000 Euro aufgewendet worden, je zur Hälfte aus Spenden der Diakonie und Mitteln der Evangelischen Kirche in Deutschland.

    https://www.ekd.de/diakonie-familiennachzug-28998.htm

     

    Hilfe für Menschen in Not und in sozial ungerechten Verhältnissen ist für Christen eine ständige Verpflichtung. Denn der Glaube an Jesus Christus und die praktizierte Nächstenliebe gehören zusammen. Das zeigt auch das Wort „Diakonie“: unter diakonia versteht man im Altgriechischen alle Aspekte des Dienstes am Nächsten.

    • @Stefan Mustermann:

      "Denn der Glaube an Jesus Christus und die praktizierte Nächstenliebe gehören zusammen."

       

      Das gilt wohl kaum für den säkularen Teil der Bevölkerung.

  • Erstmal kann man ja feststellen, dass Seehofer trotz aller Schikane nicht unter die 1000 im Monat kommt und damit seine Anhänger ziemlich enttäuschen wird. Die Zahl bleibt natürlich trotzdem reichlich jämmerlich angesichts einer einst von der CSU selbst genannten Zahl von weit über 50000 Berechtigten im Jahr. Aber es handelt sich ja um eine Übergangslösung und es handelt sich um ein freiwillig gewährtes Recht und keine Pflicht. Der Gedanke, dass Familiennachzug aber keine überflüssige Gnade sondern grundsätzlich sinnvoll ist, dass sie Radikalisierung verhindert und Identifikation schafft, dass viele Flüchtlinge schlichtweg traumatisiert und deshalb nicht arbeitsfähig sind und dass ein Familiennachzug hier sehr hilfreich sein kann, dies sollte aber auch für einen Seehofer schon nachvollziehbar sein. Bei der konkreten Entscheidung über eine Aufnahme sollten jedenfalls bei der heutigen Rechtslage ausschließlich humanitäre Gründe herangezogen werden. Wer etwas anderes will kann ja zusätzlich ein System etablieren, dass über Bürgschaften durch Einzelpersonen, Arbeitgeber oder Siftungen funktioniert. Dann können wir Bürger auch mal zeigen wo wir stehen.

    • @Benedikt Bräutigam:

      Offensichtlich gibt es sehr unterschiedliche Flüchtlingsnarrative wie es unterschiedliche Sichtweisen in dieser Frshe gibt.

       

      Vielleicht sollte der Bevölkerung mal erklärt werden, warum Flüchtlinge, denen es in Jordanien, im Irak, in der Türkei oder in Griechenland nicht so gut geht, nun nach Deutschland kommen müssen. Warum wird Familien Zusammenführung nur in eine Richtung als möglich angesehen?

       

      Manchmal hat man den Eindruck, das Linke und Grüne genauso an Deutscher Überheblichkeit & Großmannssucht leiden, diese aber hinter ihrem Humanismus verstecken.

      • 9G
        98589 (Profil gelöscht)
        @TazTiz:

        Da könnte, in teilen zumindest, der Wahrheit entsprechen.

        • @98589 (Profil gelöscht):

          Oder auch zu 100 %

  • Bei 1000 Syrern monatlich ist es doch völlig egal, wie die ausgewählt werden. Für die, die nicht kommen dürfen, ist es naturgemäß immer ungerecht.

  • 9G
    98589 (Profil gelöscht)

    Schreiben Sie doch bitte mal darüber, wer, wie, wo die gewaltigen Kosten tragen soll und wie das zu stemmen ist.

    Das würde mich und nicht nur mich, sehr interessieren.

    Die Zürcher Zeitung hat dazu einen interessanten Artikel geschrieben: https://www.nzz.ch/meinung/kommentare/die-fluechtlingskosten-sind-ein-deutsches-tabuthema-ld.1316333

     

    Wenn wir nicht darüber reden, offen und ehrlich wird es uns als Erstarken der braunen Grütze so um die Ohren fliegen, dass wir staunen werden.

     

    Es heisst immer, lasst sie alle kommen.

    Ja, dann sagt doch mal, wie es gehen soll,.