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Gesetz zur Überwachung in Frankreich„Nach Belieben Daten abzweigen“

Der Netzaktivist Jérémie Zimmermann warnt vor dem Gesetz, das die französische Regierung ins Parlament bringt. Es begünstige Massenüberwachung.

Der BND soll auch französische Regierungsbeamte ausspioniert haben Bild: dpa

taz: Herr Zimmermann, der deutsche Bundesnachrichtendienst soll französische Regierungsbeamte ausspioniert haben. Die Reaktionen aus Paris sind überschaubar. Wie kommt das?

Jérémie Zimmermann: Das wundert mich nicht. Die französische Regierung hat ein großes Interesse daran, dass diese ganze Debatte keine hohen Wellen schlägt.

Wieso das?

Weil sie selbst an diesem Dienstag ein neues Gesetz zur Massenüberwachung in Frankreich einführen und die Rechte ihrer Geheimdienste massiv ausweiten will. Das Gesetz öffnet den Nachrichtendiensten, Polizei- und Zollbehörden in sehr allgemeiner Weise alle möglichen Abwehr- und Angriffsmöglichkeiten, wo etwa ein „besonderes ökonomisches Interesse Frankreichs“ oder die „Verteidigung außenpolitischer Interessen“ berührt sind.

Was geschieht dann?

Weil in vielen Fällen der Richtervorbehalt abgeschafft wird, bleiben künftig weite Teile der Justiz außen. Gleichzeitig können Sie mit diesen Regelungen ebenso Atomkraftgegner unter Überwachung stellen wie europäische Energieunternehmen, die beispielsweise zum französischen Nukleraunternehmen AREVA in Konkurrenz stehen.

Was genau wird mit dem Gesetzespaket erlaubt?

Unsere Behörden können künftig etwa ganz legal eigene Spähsoftware in den Rechenzentren privater Unternehmen, die die Telekommunikationsinfrastruktur betreiben, installieren und dort nach Belieben Daten abzweigen. Terrorbekämpfung soll algorithmisch werden.

Im Interview: Jérémie Zimmermann

36, ist einer der bekanntesten Netzaktivisten Frankreichs und Gründer der Organisation „La Quadrature du Net“, die sich gegen digitale Überwachung einsetzt. 2012 erhielt er den Pioneer Award der Electronic Frontier Foundation für seinen Kampf gegen das Anti-Produktpiraterie-Abkommen. Mit Julian Assange, Jacob Appelbaum und Andy Müller-Maguhn schrieb er 2012 das Buch „Cypherpunk. Unsere Freiheit und die Zukunft des Internets“.

Bitte?

Die Idee ist, dass Algorithmen genutzt werden, um Datenströme zu durchleuchten und verdächtiges Verhalten zu ermitteln. Sie gehen also in die Herzkammern der Kommunikationsnetzwerke und durchleuchten alles, was vorbeikommt, nicht nur Verbindungsdaten, sondern auch Kommunikationsinhalte. Begründet wird das mit den Worten: Wir tun es doch sowieso, dann müssen wir es jetzt auch endlich mal legalisieren.

Die Regierung sagt, das Gesetz sei nötig, um Terroranschläge wie den auf die Redaktion von Charlie Hebdo zu unterbinden. Was ist daran falsch?

Es ist gelogen. Dieses Gesetz liegt seit zwei Jahren fertig in der Schublade und wurde kurz nach dem Attentat hervorgeholt. Jetzt geht es im Eilverfahren durch die Instanzen.

Sie argumentieren formal, nicht inhaltlich?

Doch. Es ist eine naive Vorstellung, dass man Terroristen über algorithmische Suchen ausfindig macht. Terroristen handeln höchst konspirativ, sie verfangen sich nicht in offenen Netzinfrastrukturen. Die Charlie Hebdo-Attentäter standen vor der Tat bereits unter Überwachung, die Dienste waren dran. Diese Überwachung wurde einige Monate vor den Attentaten gestoppt. Die Fehlerquelle war eine qualitative Fehleinschätzung, eine falsche Analyse. Wer Terror verhindern will, muss hier ansetzen. Weniger Massendaten, aber mehr Menschen in die Geheimdienste, bessere Analysen.

Sie wollen die Geheimdienstapparate vergrößern?

Ich bin ja kein Träumer. Es gab immer Geheimdienste und es wird sie immer geben, aber es ist an der Zeit sie transparenter zu gestalten, sie endlich demokratisch kontrollierbar zu machen.

Der rechtsextreme Front National, der meist keine Chance auslässt, antimuslimische Ressentiments zu schüren, gehört zu den Gegnern des Anti-Terror-Pakets. Wie ist das zu erklären?

Das ist besonders paradox. DerFront National hat sich – vermeintlich – auf die Seite der Bürgerrechte gestellt. Ich möchte mir nicht ausmalen, was geschehen würde, wenn ausgerechnet der Front National eines Tages an die Regierung käme und diese Instrumente in die Hand bekäme. Deswegen ist es auch nötig, so gut es geht eine internationale Bürgerrechtsdebatte über diese Punkte zu organisieren. In Deutschland sind sie da schon sehr weit.

Das sehen viele in Deutschland anders.

Immerhin haben Sie es zu einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss gebracht. Das ist einmalig in der Welt. Auch die derzeit laufende Debatte zur BND-Affäre zeigt ja zumindest, dass die deutsche Öffentlichkeit ein gutes Gespür und kritische Perspektiven auf das Treiben ihrer Geheimdienste hat. Es gibt zwar in Frankreich auch viel Kritik an den geplanten Gesetzen, doch das Dogma der Hypersicherheit herrscht noch vor.

Was meinen Sie damit?

Das ist die Vorstellung einer Welt der absoluten Kontrolle und Kontrollierbarkeit. Diese Ideologie entwickelt sich meinem Eindruck nach zu einem neuen Staatsdogma der westlichen Welt. Das wirft auch die Frage nach gesellschaftlicher und politischer, aber auch individueller Verantwortung neu auf. Es bringt die Bürger in eine neue Position.

Wie meinen Sie das?

Wir erkennen, dass wir an einer historischen Stelle der Technologieentwicklung stehen. Wir dachten jahrelang, dass diese den Bürgern in die Hände spielt, dass sie sie ermächtigt und ihnen hilft, sich zu verwirklichen. Wir dachten, dass die Geräte in unseren Taschen uns gehorchen und mussten feststellen, dass das ein Irrtum war. Wir wissen nicht, was die Chips in unseren Handys und Computern tun, wenn sie in Gang gesetzt werden, mit welchen Netzwerken sie sich verbinden.

Und was folgt daraus?

Dass die Geräte möglicherweise anderen Besitzern gehorchen. Den Unternehmen im Silicon Valley oder den Programmieren im Fort Meade, wo die NSA ihren US-Sitz hat. Daraus entsteht eigentlich auch ein Handlungsdruck für die Bürger.

Welcher denn?

Letztlich ist es eine Anforderung an uns, kollektiv zu handeln. Nicht nur politisch, sondern auch auf der sehr konkreten Ebene des Programmierens, des Entwickelns und Neuerfindens von Software und Hardware. Der erste Schritt dahin ist, freie und offene Software zu benutzen, kleine, dezentrale Anbieter zu stärken und uns gegenseitig beizubringen, Verschlüsselungstechniken zu benutzen.

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