Geschwister-Scholl-Preis für Ahmet Altan: „Lasst ihn frei!“
In München wird der türkische Autor und Journalist Ahmet Altan mit dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet. Doch er ist inhaftiert.
Schon seit 2016 saß Altan in Untersuchungshaft. Am 4. November 2019 gelangte er schließlich in Freiheit – wenige Wochen bevor Altan nun am Montagabend in München der Geschwister-Scholl-Preis verliehen wurde. Doch schon acht Tage nach seiner Freilassung wurde er erneut festgenommen.
„Kafkaesk“ nennt Michael Then die verworrenen Vorgänge um Altan und das Verhalten des Erdoğan-Regimes. Then steht dem bayerischen Landesverband des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels vor, der gemeinsam mit der Stadt München jährlich den angesehenen Geschwister-Scholl-Preis vergibt. Ausgezeichnet wird in diesem Jahr Altans Buch „Ich werde die Welt nie wiedersehen – Texte aus dem Gefängnis“ (Fischer Verlag), das er in der Haft geschrieben hat.
Für kurze Zeit, ebenjene acht Tage im November, hatte man gehofft, Ahmet Altan könne nach München kommen. Doch nun musste der Preis ohne ihn verliehen werden. „Ich sollte nicht hier stehen, sondern Ahmet“, sagt seine Vertraute Yasemin Çongar, die den Preis stellvertretend entgegennahm. Sie ist ebenfalls Schriftstellerin und Mitbegründerin des Vereins P24 zur Verteidigung verfolgter Journalisten.
Widerstand innerhalb der Mauern
Die Große Aula der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität ist mit mehr als 700 Besuchern überfüllt, als Çongar die Dankesrede Altans vorliest. Der Autor erinnert an Hans und Sophie Scholl, Namensgeber des Literaturpreises: „Dieser Preis hat einen Teil der diesen beiden überragenden Menschen innewohnenden Kraft auch auf mein Leben übertragen und damit meine Widerstandskraft innerhalb dieser Mauern gestärkt.“
Seine Sammlung von 19 Essays, teils Skizzen, brachte Ahmet Altan über Çongar an die Öffentlichkeit. Sie hatte Altan dazu ermutigt, im Gefängnis zu schreiben. Interessant, ermutigend, berührend ist das, was sie über den Autor im Hochsicherheitsgefängnis berichtet. „Sie haben nicht die Möglichkeit, meine Zeit zu stehlen“, sagt Altan. Denn er schreibt. Etwa: „Ihr könnt mich ins Gefängnis stecken, doch ihr könnt mich dort nicht festhalten.“
Christiane Schlötzer-Scotland, Türkei-Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung, hält die Laudatio auf Altan. Sie berichtet von den konstruierten Vorwürfen, die zur Anklage und Verurteilung geführt haben. Ursache war der gescheiterte Putschversuch am 15. Juli 2016 gegen Erdoğan, infolgedessen insgesamt 300.000 Menschen als angeblich Verdächtige in Haft gekommen waren. Altan war vorgehalten worden, dass er bei einer TV-Talkrunde am Vorabend des Putsches gesagt hatte: „Die AKP wird ihre Macht verlieren, und sie wird vor Gericht gestellt werden.“
Nester im Stacheldraht
Dies bezog sich auf die nächsten Wahlen in zwei Jahren. Staatsanwaltschaft und Gericht sahen den Satz aber als „unterschwellige“ Botschaft an die Putschisten. Bei seiner Minifreilassung wurde die Haftdauer von lebenslänglich auf zehneinhalb Jahre reduziert. Die erneute Verhaftung wurde mit Fluchtgefahr begründet. Schlötzer-Scotland verschweigt auch nicht, dass Altan bei der Linken in der Türkei einst stark in der Kritik stand. Anfangs hatte er Erdoğan unterstützt bei dessen Vorhaben, die Macht des Militärs zu beschneiden.
Yasemin Çongar erzählt, dass sich Ahmet Altan sehr über den Preis gefreut habe. „Er ist optimistisch und lacht viel. Dadurch bleibt er stark und gesund.“ Angefangen hatte er mit dem kleinen Text „Der Vogel“. Er beschreibt, wie Zugvögel kommen und Nester bauen in den Stacheldrähten des kleinen Innenhofes, der ihm zur Verfügung steht. Schließlich wurde ein Beitrag nach dem anderen an Çongar geschickt – bis sie sagte: „Das ist ein Buch.“ Zuerst erschien es in Spanien, dann in Norwegen, Großbritannien, Deutschland und weiteren elf Ländern. Nur in seiner Originalsprache, auf Türkisch, wird es nicht verlegt.
Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sagt bei der Verleihung, Altans großes Verdienst sei es, „Unrecht offen auszusprechen und sich der Barbarei mit seinen Schriften und Worten zu widersetzen.“ Der Preis gehe an „einen Mutigen“. Und: „Lasst ihn frei!“
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