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Geschönter ArmutsberichtRegierung entfernt heikle Passagen

In der zweiten Fassung sind sie nicht mehr drin: Aussagen zum Einfluss von Besserverdienenden auf politische Entscheidungen. So berichtet es die „SZ“.

Was jede/r weiß, darf doch nicht genannt werden: Wer solche Ringe trägt, hat eher die Finger am Drücker als die armen Schlucker Foto: dpa

Berlin afp | Die Bundesregierung hat einem Zeitungsbericht zufolge ihren Armuts- und Reichtumsbericht in einigen entscheidenden Passagen deutlich entschärft. Klare Aussagen, ob Menschen mit mehr Geld einen stärkeren Einfluss auf politische Entscheidungen haben als Einkommensschwache, seien in der überarbeiteten Fassung des Berichts gestrichen, berichtet die Süddeutsche Zeitung. So fehle nun zum Beispiel der Satz: „Die Wahrscheinlichkeit für eine Politikveränderung ist wesentlich höher, wenn diese Politikveränderung von einer großen Anzahl von Menschen mit höherem Einkommen unterstützt wird.“

Dies gehe aus einem Vergleich der ersten, vom Bundesarbeitsministerium verfassten Version mit der zweiten Version hervor, bei dem das Kanzleramt und andere Ministerien mitschreiben konnten, berichtet das Blatt.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hatte im März 2015 angekündigt, in dem Bericht erstmals den Einfluss von Eliten und Vermögenden auf politische Entscheidungen untersuchen zu lassen. Ihr Ministerium gab daher eine Studie bei dem Osnabrücker Politikwissenschaftler Armin Schäfer in Auftrag. Dessen Erkenntnisse flossen in den Bericht, den das Arbeitsministerium im Oktober vorlegte.

In dieser ersten Fassung wurde laut SZ noch vor einer „Krise der Repräsentation“ gewarnt: „Personen mit geringerem Einkommen verzichten auf politische Partizipation, weil sie Erfahrungen machen, dass sich die Politik in ihren Entscheidungen weniger an ihnen orientiert.“ Ebenso gestrichen worden sei der Satz: In Deutschland beteiligten sich Bürger „mit unterschiedlichem Einkommen nicht nur in sehr unterschiedlichem Maß an der Politik, sondern es besteht auch eine klare Schieflage in den politischen Entscheidungen zulasten der Armen“.

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19 Kommentare

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  • Na ja, deshalb sagt man ja auch "kannste eh nix machen"! Is alles nich neu. War schon immer so. Wenn sich dann die herren und damen politiker fragen, woran es denn liege, wenn einerseits viele leute sich ausklinken und nicht mehr wählen gehen, andererseits viele menschen neueren rechten gruppierungen folgen und sich von denen was versprechen, dann ist das ja wohl schlichtweg heuchelei. Braucht man auch keine talk-show mehr dazu.

  • Es gab ja hier noch nie einen Armutsbericht, der nicht frisiert wurde.

  • Hoffentlich sitzt 2017 eine verantwortungsbewusstere Partei neben der CDU in der Regierung!

  • Und ich dachte bislang, dies sei niemandem mehr peinlich, seit eine marktkonforme Kanzlerin Ackermann die Geburtstagsfeier ausgerichtet hat.

  • Ich finde die Streichungen vollkommen unproblematisch. Offensichtlich ist die Bundesregierung bzw. sind die anderen beteiligten Ministerien nicht der Auffaussung, dass ein möglicher Zusammenhang zwischen Vermögenstatus und Politikeinflussnahme im Bericht darzustellen sind.

     

    Wenn ich mir die Politik der letzten Jahre ansehe, hab ich Zweifel, ob die Aussagen überhaupt richtig sind.

  • Vielleicht wartet man erst einmal eine Erklärung des Ministeriums zu der gestrichenen Passage ab, denn die wird wohl kommen, nachdem die Ministerin just zu diesem Komplex Antworten versprochen hatte. Vielleicht gibt es ja gute Gründe außer etwaiger politischer Opportunität.

     

    Auch (Politik-)Wissenschaftler sind schließlich nicht notwendigerweise dagegen gefeit, aus vorhandenen Daten Schlüsse zu ziehen, die sich mehr aus ihren Überzeugungen speisen als aus besagten Daten. Es ist daher normal, dass die Ministerialbürokratie so einen Bericht prüft und bei unzureichender Unterlegung der gezogenen Schlüsse diese nicht mit veröffentlicht. Sowas macht nämlich ANGREIFBAR, und das will der durchschnittliche Ministerialbürokrat ums Verrecken nicht sein - Opportunität hin oder her.

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    Ist doch klar, die Wahrheit ist dem 'einfachen' Bürger nicht zumutbar. Er könnte ja 2017, verwirrt durch den Hinweis, dass er, als ein Teil der Unterschicht, in diesem Lande nur als Stimmvieh missbraucht wird, vielleicht auf den dummen Gedanken kommen und Die Linke wählen. Und das wollen wir doch nicht, oder?!

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Ich finde die bloße Feststellung, dass (Menschen mit) Geld Einfluss auf die Politik hat zu kurz. Wir haben eine Demokratie in der jede Stimme gleich zählt und das wird oft als Argument gebracht, was sich zugegebenermaßen nur schwer entkräften lässt. Sollten doch die 20-30% der Benachteiligten und Unzufriedenen die Linke wählen und dann haben wir gleich eine andere Konstellation.

     

    Genauere Beleuchtung der Mechanismen mit dem Wohlstand-Bias bei Medien, Gesetzgebung und Rechtssprechung wäre angebracht.

    • 3G
      35751 (Profil gelöscht)
      @10236 (Profil gelöscht):

      Zitat: "Sollten doch die 20-30% der Benachteiligten und Unzufriedenen die Linke wählen[...]"

       

      Sind die Benachteiligten eine politisch homogene Masse, deren Meinung wahlkompatibel mit den Linken ist?

      Zudem gibt es historische Gründe, warum linke Parteien seit der Weimarer Republik keinen Fuß mehr in die Tür zur Unterschicht bekommt.

       

      Zitat: "Genauere Beleuchtung der Mechanismen mit dem Wohlstand-Bias bei Medien, Gesetzgebung und Rechtssprechung wäre angebracht."

       

      Stimmt und gerade was die Medien angeht, kann jeder der es wirklich will, auch gleich damit anfangen und sich fragen, warum Artikel zu Armutsberichten (wie dieser hier) häufig nur kostengünstig übernommene Agenturmeldungen sind und deswegen z.B. wichtige Aspekte (wie die Gründe zur politischen Inaktivität), die in der besagten Studie genannt und gestrichen wurden, gar nicht im Artikel auftauchen - im Gegensatz zum eigenständig recherchierten Artikel der Süddeutschen. Und man kann - gerade hier bei der taz - mal schauen, welche Personengruppen hier entpersonifiziert (z.B. Statistiken) und welche personifiziert werden, wenn es z.B. um Ausgrenzung auf dem Wohnungsmarkt oder der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geht. Kleiner Tipp: Die Leute, die als Beispiel für die Ungerechtigkeit in Medien ein Gesicht bekommen, heißen selten Horst oder Helga, haben keinen Hauptschulabschluss und sind nicht langzeitarbeitslos, sondern sind meist jung, gebildet, bisweilen alleinerziehend oder gehören einer Minderheit an.

      Nur heißt Politik für Minderheiten machen nicht links zu sein, so lange man andere mehrheitlich von dieser Politik ausgrenzt, womit wir wieder beim historischen Dilemma wären, dass die Linken bei der Unterschicht keinen Fuß in die Tür (mehr) bekommen...

      • 1G
        10236 (Profil gelöscht)
        @35751 (Profil gelöscht):

        Der erste Absatz war die Schilderung der Argumente, die manchmal auch hier gebracht werden. Soll nicht heißen, ich würde sie teilen.

         

        Wenn ich so nachdenke, ist wohl die größte Errungenschaft der Medien und Politik in den letzten 20 Jahren, dass man es geschafft hatte, der jeweils nächstniedrigeren Sozial-/Einkommensschicht weiszumachen, dass sich ihre Interessen mit der nächsthöheren irgendwie decken.

        So schafft man jede Oma mit dem Häuschen gegen die Vermögenssteuer aufzubringen und jeden Facharbeiter gegen die Erhöhung des Spitzensteuersatzes.

        Der untersten Schicht, wie schon immer in der Geschichte, braucht man selbstverständlich keine Falsche Identifikation zu verschaffen - sie dient den anderen als Abgrenzungs- und (negative) Projektionsfläche.

        • 3G
          35751 (Profil gelöscht)
          @10236 (Profil gelöscht):

          Ah, okay, dann entschuldigen Sie meine Moralpredigt. ;-)

  • Ich halte das Thema ansich für falsch beleuchtet.

    Es ist doch logisch:

    ... dass Nichtwähler weniger Lobby haben (in Köln Chorweiler liegt dei Wahlbeteiligung bei ca. 10 %); da die die Wahlen sowieso nicht beeinfussen

    ... Leute ohne Sprachkenntnissse sich schlecht akrtikulieren können und deswegen nicht so leicht gehört werden

    ... sozial Schwache, Kinder, Kranke, Alte eben auch keine politische Teilhabe haben dürfen oder es zu beschwerlich ist sich zu engagieren...

    Das sind Binsenweisheiten und total vorhersehbar.

     

    Der Skandal oder besser das Thema ist doch ein ganz anderes: Warum sind die Starken, Gesunden, Inländer, Gebildete.... nicht Willens das Gehör dass sie (logischerweise) bekommen nicht auch auf die Benachteiligten auszudehnen?

     

    Das wäre ein Thema und nicht dass die Armen weniger Teilhabe haben... lächerlich sich hierüber aufzuregen.. das ändert nix sondern schafft neue Meinungsblasen.

  • Bevor wir jetzt auf unbedachtes bashing gegen das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und gegen Andrea Nahles umsteigen möchte ich zu bedenken geben, dass sie die Studie bei Armin Schäfer in Auftrag gegen hat und dann auch im Bericht verarbeitete. Leider hat der Bericht die Zensur der Bundesregierung nicht über lebt und das liegt wohl mehr daran, dass die Bundesregierung und speziell auch die SPD Bosse, wie Sigmar Gabriel, solchen Meinungen nicht stellen wollen.

    • @TobiasK:

      Niemand möchte dem BMAS unterstellen, dass es Berichte fälscht oder Sonstiges, nur um sich damit in ein etwas besseres Licht zu rücken. Niemand wird auch auf die Idee kommen, zu behaupten, dass die "geringe Arbeitslosenquote", die monatlich von der BA veröffentlicht wird, nur durch die "gute Arbeit" der hoch bezahlten Statistiker der BA zustande kommt.

       

      Sind wir aber doch einmal ehrlich. Frau Nahles (SPD) macht bei diesem Spiel doch schon lange mit. Den "schwarzen Peter" jetzt nur Angela Merkel oder Sigmar Gabriel zuzuschieben, ist verkehrt, denn die gesamte SPD hat sich schon lange von der sozialen Politik eines Willy Brandt verabschiedet.

    • 3G
      35751 (Profil gelöscht)
      @TobiasK:

      Ich hoffe doch, Ihr einleitender Satz ist ironisch gemeint. Denn der Umstand, dass ein Ministerium eine Studie in Auftrag gibt und das unbequeme Ergebnis dann - auf Initiative einer oder beider Regierungsparteien - gezielt verfremdet (ich musste lange überlegen, um ein anderes Wort als verfälschen zu finden), beruhigt in keiner Weise. Und was kam denn seit der sogenannten Flüchtlingskrise aus dem besagten Bundesministerium? Eine Verschärfung der Sanktionen für Hartz IV-Empfänger! Beim Schweigen der Kanzlerin zu der Kostenverteilung und der schwarzen Null des Finanzministers für die Unterschicht, die in direkter Konkurrenz zu den Flüchtlingen stehen (Wohnungsmarkt, Niedriglohnsektor, übrigens von SPD und Grünen geschaffen, etc.) ein fatales Signal, dass den Rechten Sympathien für ihren Anti-Links-Kurs und im schlimmsten Fall ein zweistelliges Wahlergebnis bei den nächsten Bundestagswahlen einbringen wird.

      Zitat: "[...] und das liegt wohl mehr daran, dass die Bundesregierung und speziell auch die SPD Bosse, wie Sigmar Gabriel, solchen Meinungen nicht stellen wollen."

       

      Verzeihung, aber ich bin nicht bereit, Frau Nahles nicht zu den SPD-Bossen zu zählen, deren ursprünglich linke Grundhaltung sich auf dem Weg nach oben spürbar abgenutzt hat.

  • 3G
    35751 (Profil gelöscht)

    Hallo...! Ist hier jemand...?

    Wow..., die Bundesregierung verändert einen Bericht über arme Menschen, der ursprünglich feststellte, dass Wohlhabende(re) mehr politischen Einfluss haben und während dort, wo gern mal der braune Mob in den Kommentarspalten tobt (Welt, Focus) große Aufregung herrscht, hört man hier, auf der Internetseite einer linken Tageszeitung tosende Stille.

    Hilft es vielleicht, Linke auf dieses Thema aufmerksam zu machen, wenn ich hier mit schlechter Rechtschreibung Stellung für die AfD beziehe? So ein bisschen Unterschichten-Bashing macht schließlich Laune und fördert das Zusammengehörigkeitsgefühl oder seid ihr alle schon auf anderen Internetseiten unterwegs, um auf die dummen Rechten einzuprügeln, die sich zwar um soziale Fragen einen Scheißdreck kümmern, aber dieses Thema in Foren und Kommentaren gerade über Zensurvorwürfe und Eliten-Bashing für sich nutzen? Haaaaaaalloooooo...?

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten!

    Insbesondere Christen sollten dieses Gebot kennen. Aber es passt zu dieser Regierung: täuschen, lügen und betrügen. So ist's recht.

  • Klare Aussagen, dass Menschen mit mehr Geld einen stärkeren Einfluss auf politische Entscheidungen haben als Einkommensschwache, seien in der überarbeiteten Fassung des Berichts gestrichen worden, berichtet die Süddeutsche Zeitung.

     

    Regieren könnte so schön für unsere Politiker sein, wenn es da nicht doch ab und zu mal Journalisten geben würde, die sich an ihre journalistischen Pflichten erinnern und einige "unsaubere Dinge" der Politiker ans Licht bringen.

     

    Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat also die Studie des Osnabrücker Politikwissenschaftler Armin Schäfer etwas "geschönt". Na ja, mit "Schönung" der Arbeitslosenzahlen kennt sich das BMAS in Zusammenarbeit mit der BA ja schon gut aus, da kann man dann natürlich auch einen Armutsbericht mal etwas "zurechtrücken".

     

    taz: "In Deutschland beteiligten sich Bürger mit unterschiedlichem Einkommen nicht nur in sehr unterschiedlichem Maß an der Politik, sondern es besteht auch eine klare Schieflage in den politischen Entscheidungen zulasten der Armen." - Die 5 Millionen Hartz IV Empfänger und die 8 Millionen Niedriglöhner haben leider nicht solche Macht, dass man in dem Armutsbericht auch einmal auf ihre Nöte und Sorgen eingeht.

     

    "Ein Hoch auf die Arbeiterpartei SPD"

    • 3G
      35751 (Profil gelöscht)
      @Ricky-13:

      Zitat: "Regieren könnte so schön für unsere Politiker sein, wenn es da nicht doch ab und zu mal Journalisten geben würde, die sich an ihre journalistischen Pflichten erinnern und einige "unsaubere Dinge" der Politiker ans Licht bringen.

      "

      Stimmt, allerdings handelt es sich hier bei der taz um eine aufbereitete Agenturmeldung (s. afp-Kürzel). In der Süddeutschen wurden die Änderungen des Berichts gestern erstmals thematisiert. Dort finden sich auch Aussagen einer Grünen-Politikerin und des Vereins Lobbycontrol.

      Das heißt konkret, bis auf eine deutsche Tageszeitung hat bislang kein Medium Ressourcen (in Form von Eigenrecherche oder einer eigenen themenbezogenen Aufarbeitung) in dieses Thema investiert.

      Kann natürlich noch kommen, aber mit Blick auf das, was nach dem Glattbügeln des Armutsberichts 2013 folgte, bin ich da nicht sehr optimistisch...