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Geschichtsrevisionismus der AfDEs genügt nicht, defensiv zu sein

Die AfD verfolgt seit langem die strategische Umdeutung von Begriffen. Was recht leise daherkommt, ist von enormer Tragweite.

Gedenkveranstaltung am Synagogendenkmal der Opfer der Pogromnacht von 1938 in Magdeburg Foto: picture alliance/dpa

I st der 9. 11. ein „Schicksalstag“ der Deutschen? Ist die Tatsache, dass die friedliche Revolution in der DDR an einem 9. 11. im Mauerfall kulminierte, Anlass genug, ihrer zusammen mit den Pogromen 1938 zu gedenken?

Geht man nach der hessischen AfD, soll beiden Ereignissen künftig gleichermaßen gedacht werden, soll der 9. 11. zu einem „Gedenk- und Feiertag“ werden. Wie sich das darstellen soll, ob etwa am Vormittag gedacht und am Nachmittag gefeiert werden soll, ließ Frank Grobe, parlamentarischer Geschäftsführer der hessischen AfD, in seiner Rede vor dem Landtag offen. Unter dem Motto „Wo Licht ist, ist leider auch immer Schatten“ trug er stattdessen diverse Ereignisse vor, die sich ebenfalls am 9. 11. zutrugen: etwa das erste NSDAP-Verbot, der Geburtstag von Björn Engholm oder die Gründung der Caritas.

Alles unter dem Motto: „Nur ein geeintes Volk, welches über einen symbolkräftigen Gedenk- und Feiertag verfügt, kann sich neuen Herausforderungen leichter stellen.“

Es ist nur eines von vielen geschichtspolitischen Schlachtfeldern, die die Rechten derzeit eröffnet haben, auf denen sie die Deutungshoheit über Begriffe, Symbolik, Daten und Namen beanspruchen. Wenn die Novemberpogrome nur mehr ein Ereignis unter vielen Feier- und Gedenkanlässen sind, so das Kalkül, muss sich Deutschland mit seiner lästigen Vergangenheit nicht mehr herumschlagen – oder gar Konsequenzen daraus ziehen.

Weniger drastisch, aber genauso gefährlich

Diese geschichtspolitischen Manöver mögen weniger bedrohlich erscheinen als drastische „Ausländer raus“-Kampagnen – es ist jedoch kein Zufall, dass die Rechten so viel Energie auf sie verwenden. Erste Aufgabe der leider wohl bald aus Steuermitteln geförderten AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung wird ein Geschichtsrevisio­nismus light sein; ein Bild der Vergangenheit, in welchem man wieder unbekümmert stolz darauf sein kann, ein Deutscher zu sein.

Teil dieser Strategie sind subtile Umdeutungen von Begriffen wie „Demokratie“, „Pluralismus“ und „Menschenrechten“, die in dieses Narrativ passen. So wird unter Demokratie etwa die Herrschaft des Volks als einer einzelnen ethnischen Gruppe verstanden oder wie von Gauland neulich als Widerstand gegen die vermeintliche „Corona-Diktatur“ stilisiert; unter „Pluralismus“ ein Ethnopluralismus, in welchem die Menschheit wieder nach Herkünften verteilt werden soll.

Wenn Konservative einen „Rassismus gegen Weiße“, „Sexismus gegen Männer“ oder gar „Rassismus gegen Polizisten“ feststellen, ein Bundesinnenminister gar „deutschenfeindliche Straftaten“ zählen will, sind sie stets schon dieser Strategie auf dem Leim gegangen.

Wiederaneignen von Begriffen

Auch hier hat sich die Rechte wieder einmal ein Tool emanzipatorischer Bewegungen und marginalisierter Gruppen angeeignet – in diesem Fall das „Reclaimen“, das Wiederaneignen von Begriffen, die ursprünglich zur Abwertung der eigenen Gruppe dienten. Prominentes Beispiel sind die ursprünglich pejorativen Vokabeln „gay“ bzw. „schwul“, die von der Schwulenbewegung affirmativ besetzt wurden.

Hier hat die Rechte von Gramsci gelernt – sie streben kulturelle Hegemonie an, verändern den vorpolitischer Raum („Metapolitik“), um die Grenzen des Sagbaren auszuweiten und den eigenen randständigen Diskurs in den Mainstream zu tragen. Die Entwertung des 9. 11. als zentraler Bezugspunkt des Nachkriegsgedenkens gehört dazu.

Will eine wirklich demokratische Zivilgesellschaft hier eingreifen, ihre eigenen Begriffe re-reclaimen, muss sie schnell handeln. Die Rechte leidet nicht an der Technikfeindlichkeit der Linken, auch wird sie nicht von endlosen Selbstreflexionsschleifen gebremst. Auf der Videoplattform ­Tiktok, wichtigstes Medium der 12- bis 20-Jährigen, finden sich unter dem Hashtag #bundestagswahl21 bzw. #btw21 nahezu ausschließlich AfD-Videos. Während die anderen Parteien sich erst noch an Twitter und Instagram gewöhnen, zielt die AfD direkt auf die Erstwähler*innen – und erfährt hier keinerlei Widerstand.

Es wird berechtigterweise kritisiert, wenn Dieter Nuhr über „Pogrome in sozialen Medien“ spricht. Doch wenn der 9. 11. für etwas steht, dann doch dafür, wie der öffentliche Raum durch Rechte übernommen wurde, ohne dabei nennenswerte Gegenwehr zu erfahren. Wenn rechter Geschichtsrevisio­nismus bekämpft werden soll, genügt es nicht, nur defensiv die alten Formen des Gedenkens zu verteidigen, so wichtig sie auch sind. Der Gehalt des Gedenkens muss sich auf die neuen Medien übertragen.

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Meron Mendel
Meron Mendel ist Pädagoge, Historiker und Publizist. Seit 2010 ist er Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt und Kassel
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12 Kommentare

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  • Diese ständige Frontstellung zum politisch anders Denkenden geht an der Lebenswirklichkeit in Schulen, Arbeitsstellen oder Familien voll vorbei. So kann allenfalls eine Zeitungsredaktion agieren. Die Rechten und Linken sind schließlich unter uns, es sind ganz normale Mitmenschen. Wie man da immer den Meinungsdiskurs dominieren will, ist mir unverständlich.



    Statt ewig mahnender Propaganda bedürfte es den verbalen Ausgleich, gerade wenn es um Gedenktage oder ähnliche Dinge geht.



    Vielleicht gibt es bessere Vorschläge als diese „kein Schritt zurück“ Parolen.

  • Was die AfD macht, ist ja überhaupt nichts irgendwie Neues oder gar Kreatives. Sie lässt - mehr oder weniger offensichtlich - die alte Nazi-Propaganda wieder aufleben. Man muss leider befürchten , dass diejenigen, bei denen das heute immer noch verfängt, für die Demokratie längst verloren sind.

  • Es wundert mich, der gleichen Meinung wie die AfD zu sein, aber ich hätte den 9. November auch lieber als den 3. Oktober gehabt - einfach, weil es ein etwas gebrochenerer Tag ist:



    1918 Ausrufung der Republik, die voller Hoffnung begann, aber von Hass und Gewalt zerstört wurde.



    1938 Symbol des Hasses und der Vernichtung.



    1989 Überwindung des Spaltung.



    Es wäre halt ein nachdenklicher, kein Hurra-Feiertag geworden, ein Zeichen für Hoffung, aber eine Erinnerung an die Verbrechen.

  • 9G
    97287 (Profil gelöscht)

    Mag sein, dass die Caritas wichtig für den Autor ist um an die Gründung zu denken. ich denke am 9.11. eher an die Ausrufung der Republik(1918), dann an den Marsch auf die Feldherrnhalle, der in das Pogrom mündete und in der Auslöschung ganzer Völker endete.



    der nächste Termin war dann 69 der Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus durch die Platzierung von Sprengstoff durch die Tupamaros. Ja und dann der Mauerfall, der durch die Entspannungspolitik und Ostverträge, der hier im Forum oft geschmähten SPD, nie zustande gekommen wäre. 

    • @97287 (Profil gelöscht):

      Sie finden hier im Forum nur wenige Stimmen, die die historische Leistung der SPD hart kritisieren. Es überwiegt eher die (berechtigte) Kritik daran, zu was sie geworden ist.

  • Phantastisch! Gerade für solch kritische, wohldurchdachte Einlassungen, die man sonst nirgendwo findet, lese ich die taz.

  • "Wenn Konservative einen 'Rassismus gegen Weiße' [...], sind sie stets schon dieser Strategie auf dem Leim gegangen."

    Ich glaube nicht an die Erzählung der unschuldigen Konservativen (und Konservativ-Liberalen). Vielmehr denke ich, dass sie die (extreme) Rechte als Werkzeug betrachtet.

    Das ihnen, Golem gleich, leider gelegentlich entgleitet.

    Nicht zuletzt haben die Fabrikanten in Italien und Deutschland (vermutlich sonstwo in Europa auch) die Faschisten als willkommenes Werkzeug betrachtet (und emsig gefüttert!), um sich der Forderungen durch die Gewerkschaften zu erwehren.

    Henry Ford Sr. hat auch jenes Machwerk (die Protokolle der Weisen von Zion) drucken lassen: Instinkt, oder politisches Kalkül?

    Zwischen Konservativen, Konservativ-Liberalen (die mit dem Geld) und Faschisten war schon immer eine unterirdische Leitung. Damit will ich nicht behaupten, dass alle Konservativen Faschisten sind -- nur, dass Konservative, die ihre humanistische Komponente ernst nehmen (die gibt es, die haben meine Wertschätzung!) sich mit diesem Fakt auseinandersetzen sollten.







    Natürlich sind beide Sichten kompatibel -- manche so und andere so. Aber einem politischen Tier nehme ich die Naivität nicht ab.

    Sie werden mir nicht erzählen, dass Kemmerich Oktober 2019 nicht wusste, was er tat. Auch nicht, dass Lindner, als er ihn zunächst gratulierte, blind in den Fettnapf trat, der arme Tölpel.

    Erst als sie merkten, wie schlecht das ankam ruderten sie zurück (bzw. wurden zurückgerudert).

    • @tomás zerolo:

      Alle anständigen Parteien müssten eigentlich den Plenarsaal verlassen, sobald ein*e AfD-Hetzer*in ans Mikrofon tritt.

      • @Karl Kraus:

        Ob ein Parlament in dem dann nur noch proto-faschistische Demagogen aber keine Demokraten mehr sitzen tatsächlich das richtige Signal wäre?

        • @Ingo Bernable:

          Zusätzlich sollten anständige Medien auch deren Geschwafel und Hetze nicht mehr berichten. Das letzte Mal, dass ich so etwas wie Wehrhaftigkeit von dieser Seite aus gesehen habe, war 1866 oder so bei Kerner, als er Frau Herrmann aus seiner Sendung warf. Das war schön.

      • @Karl Kraus:

        Das wird nur dann getan, wenn es opportun ist. Faschisten und ihre Ziele sind historisch betrachtet noch nie "vom anderen Stern" gewesen. Sondern hatten im inhaltlichen Kern, wenn auch nicht in Tonlage und Habitus, zu weiten Teilen des restlichen bürgerlichen Politspektrums durchaus Anknüpfungspunkte.

        • @Kawabunga:

          Jap. :( Sie alle helfen mit und keiner ist's gewesen.