Geschichtspolitik in Polen: Wegen Zivilcourage gefeuert
Der Direktor des jüdischen Museums POLIN in Warschau verliert seinen Job. Er hat den aktuellen Antisemitismus in Polen kritisiert.
Doch als sich herausstellte, dass der bisherige Direktor Dariusz Stola den Wettbewerb gewann, weigerte sich Gliński, ihn zu ernennen. Der Professor für Zeitgeschichte war durch seine Kritik an der aktuellen Geschichtspolitik bei der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in Ungnade gefallen.
Dabei sah zunächst alles sehr vielversprechend aus. Die Idee eines „Museums des jüdischen Lebens in Polen“ nahm 2005 Fahrt auf, als die Stadt Warschau das Bauland im ehemaligen Warschauer Getto zur Verfügung stellte, der ŻIH-Verein die Ausstellung erarbeitete und mithilfe ausländischer Mäzene finanzierte und das Kultur-Ministerium die laufenden Kosten für den Museums-Betrieb übernahm. Ab 2014 heimste das POLIN-Museum nicht nur immer neue international renommierte Preise ein, sondern vermeldete auch Jahr für Jahr neue Besucherrekorde.
Doch im Januar 2018 trat das sogenannte Holocaust-Gesetz in Kraft, mit dem angeblich – so hieß es offiziell – dem falschen Ausdruck „polnisches Konzentrationslager“ ein Riegel vorgeschoben werden sollte. Doch weder taucht dieser Terminus im Gesetz auf noch die ebenfalls falschen Begriffe „polnische Gaskammer“ oder „polnisches Vernichtungslager“. Stattdessen verbietet das Gesetz, über polnische Nazi-Kollaborateure zu sprechen und zu schreiben.
Proteste aus Israel und den USA
Der damalige POLIN-Direktor Stola kritisierte das Gesetz scharf, da die angedrohte bis zu dreijährige Haftstrafe oder hohe Geldbuße in erster Linie Schoah-Überlebende und deren Angehörige treffen würde. Am Ende – nach massiven Protesten aus Israel und den USA – milderte die PiS das Gesetz ab. Doch Stola hatte sich bei den Parteifunktionären bereits unbeliebt gemacht.
Als Stola es dann auch noch wagte, in der Ausstellung „Fremd zu Hause“ nicht nur die antisemitische Hetzkampagne der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei im März 1968, sondern auch aktuelle antisemitische Zitate zu zeigen, geißelten dies viele PiS- Anhänger als „politische Einmischung“.
Im Februar 2019 lief Stolas Fünfjahresvertrag aus. Mit seiner Weigerung, den Gewinner des Wettbewerbs zum neuen POLIN-Direktor zu ernennen, verhinderte Gliński jede mittel- und langfristige Ausstellungsplanung des Museums. Erst als Stola auf den ihm rechtlich zustehenden Direktorenposten verzichtete, erklärte sich Gliński bereit, den Vorschlag von Stadt und ŻIH-Verein zu akzeptieren.
Ende Februar will er nun Zygmunt Stępiński, Stolas bisherigen Stellvertreter, zum Nachfolger ernennen. Ob dieser jedoch die Zivilcourage haben wird, auch gegen aktuellen Antisemitismus in Polen zu protestieren, ist nicht sicher. Es könnte ihn den Job kosten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland