Geschenke über Amazon ordern: Dialog zur Weihnacht
Bei Amazon bestellen ist bequem, verursacht aber ein schlechtes Gewissen, denn der Konzern zahlt kaum Steuern. Gibt es einen Ausweg?
„Amazon? Da bestell ich nichts mehr! Meine Kinder würden mich dissen. Irgendwann muss man den Mut haben auszusteigen.“ Es gibt sie, die totalen Amazon-Verweigerer, deren Meinung feststeht: „Amazon ist uncool.“ Ist das politisch überkorrekt, vielleicht sogar überkandidelt? Oder ist es der mutigste Akt widerständiger Konsumenten?
Im Weihnachtsstress beginnt der quälende Dialog im Hirn: Wie kaufe ich politisch korrekt ein? Amazon ist ein Monopolist. Der internationale Konzern macht in Deutschland Milliardenumsätze, zahlt aber kaum Steuern, Steuerflucht! Er trägt mit dazu bei, dass lokale Einzelhändler ihre Läden dichtmachen müssen. Er lässt keine Tarifverträge zu.
In einem Report des US-amerikanischen Institute for Local Self Reliance (ILSR) wird aufgeführt, wie die Marktmacht von Amazon dazu führte, dass in den USA Fachhändler und Produzenten ihre Waren zu schlechten Bedingungen über die Plattform verkaufen müssen. Wer nicht mitmacht, erscheint kaum noch oben in den Suchmaschinen.
Ähnlich ist es auch in Deutschland. Laut einer Befragung des Wirtschaftsprüfungsunternehmens PriceWaterhouse starten inzwischen 45 Prozent der Konsumenten eine Produktsuche bei Amazon; auch weil sie dort die Kundenbewertungen bekommen. Ein Drittel der Konsumenten ist Mitglied bei Amazon Prime, das heißt, die Ware wird schnell und kostenfrei geliefert. Deswegen hat Prime einen Sogeffekt: Wer dort schon Mitglied ist, neigt umso mehr dazu, fast nur noch bei Amazon einzukaufen. Einfach, weil es so bequem ist.
Bequem! Wie schön ist es doch, am Abend im Bett zu liegen, das iPad auf den Knien, und sich durch mögliche Weihnachtsgeschenke für die Kinder zu klicken. Und dank der Prime-Mitgliedschaft kann man diese gleich durch einen Klick bestellen. Die Ware wird in die Packstation in der Nähe geliefert. Selbst den Nachbarn ist so geholfen: Sie müssen keine Lieferungen mehr annehmen, weil man selbst nicht zu Hause ist.
Amazon infantilisiert
Noch praktischer ist Amazon bei Haushaltsgeräten. Wie nützlich ist es doch, in den Kundenbewertungen bei Amazon vorher nachlesen zu können, dass der angedachte Luftbefeuchter für das Schlafzimmer vielleicht doch nicht das Richtige ist: Ein bisschen zu laut soll er sein und der Tank nicht ganz dicht.
Und dann die Nischenprodukte! Bei Amazon kann man unter mehreren Angeboten wählen: Welche Leuchtjacke soll man kaufen für das Fahrradfahren im Dunkeln, sodass man zwar gesehen wird, aber nicht aussieht wie eine Mitarbeiterin der Stadtreinigung? Kein Herumgondeln mehr zwischen Fahrradgeschäften, ein Klick, und das Produkt ist superschnell unterwegs, ganz so, als würde Amazon die Käuferin persönlich beschenken wollen. Amazon spart Zeit und Nerven. Auch das ist ja ökologisch.
Andererseits: Amazon Prime verformt den Charakter. Alles, was mit Verzicht, mit Aufschub zu tun hat, wird der Prime-Kundin fremd. Am Ende werden sogar die Schneider-Kugelschreiberminen „Slider Rave“ über Amazon Prime bestellt und auch die Teigmischung für die Quiche, weil beides neulich beim Schreibwarenhändler und im Supermarkt nicht mehr vorrätig war. Amazon infantilisiert, wie der Politikwissenschaftler Claus Leggewie einmal sagte.
Doch es gibt einen Ausweg aus der Hirnerweichung: bewusster shoppen. Beim Essen lässt sich ja auch steuern, wie viel Fleisch, Fett und Zucker man in sich hineinstopft und wie viel Gemüse, Getreide und Käse. Bücher zum Beispiel bestellt der umsichtige Kunde beim nächsten Buchhändler, nachdem er die Kundenrezensionen bei Amazon gratis gelesen hat. So was ordern nur noch Konsumprolls bei Amazon. Lebensmittel muss man nicht online bestellen, sofern man laufen und eine Tasche tragen kann. Für Klamotten gibt es genügend andere Anbieter im Versand.
Bleiben noch die Elektrogeräte, klar, und Nischenprodukte, okay. Und was ist mit den Kugelschreiberminen? Kleinbestellungen bescheren Amazon keine Gewinne, sondern Verluste. Der Konzern macht das nur wegen des Kundenservice. Also: warum nicht?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren