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Geschäfte mit PflegebedürftigenWenn die Goldgrube erschöpft ist

Ein Pflegeheim-Investor verklagt den Landkreis Hildesheim, weil er sich vom Betreiber betrogen fühlt. Hätte die Heimaufsicht eingreifen müssen?

Mit Pflegeheimen lässt sich viel Geld verdienen – aber auch verlieren Foto: Bernd Weißbrod/dpa

Hildesheim taz | Es ist schon ein sehr spezieller Fall, den die 8. Zivilkammer des Landgerichtes Hildesheim in der vergangenen Woche zu verhandeln hatte. Ein Investor und Unternehmer aus Kirchheim verklagt den Landkreis Hildesheim auf 2,5 Millionen Euro Schadensersatz – weil er glaubt, die Heimaufsicht des Landkreises habe ihre Amtspflichten verletzt.

Diese Klage hat eine lange und verwickelte Vorgeschichte, an der sich vor allem die lokalen Zeitungen, die Hildesheimer Allgemeine Zeitung und die Alfelder Zeitung, nun schon seit einem Jahrzehnt die Finger wundschreiben.

2011 hatte der Investor eine Immobilie in der Nähe von Hildesheim erworben, in der sich auch zuvor schon ein Seniorenheim mit rund 120 Plätzen befand. Die Betreibergesellschaft war insolvent. Der Unternehmer schloss einen Vertrag mit einer neuen Betreibergesellschaft, die ab 2012 den Betrieb übernahm.

Doch bald kam es zu Streitigkeiten zwischen dem Hauseigentümer und seinem Pächter. Der Betreiber der Seniorenresidenz behauptete, gravierende Mängel an der Immobilie festgestellt zu haben – darunter schwerwiegende Brandschutzmängel – und kürzte die Pacht zunächst um 50 Prozent, stellte später die Zahlungen ganz ein.

Handwerkern Hausverbot erteilt

Eine Beseitigung der Mängel soll er allerdings, nach der Darstellung des Immobilienbesitzers, dadurch sabotiert haben, dass er Architekten und Handwerkern Hausverbot erteilte.

Der Investor unterstellt ihm daher ein spezielles Geschäftsmodell: Denn die Beiträge der Heimbewohner flossen ja weiter – inklusive des darin enthaltenen Anteils für Miet- und Investitionskosten. Daraus entspann sich ein über mehrere Jahre andauernder Rechtsstreit, der vom Landgericht Hildesheim ans Oberlandesgericht Celle und zurück wanderte.

In der Zwischenzeit sank die Belegungsquote des Heimes, Pflegekräfte kündigten oder wurden entlassen, beklagten öffentlich die unsäglichen Arbeitsbedingungen. Mehrere Arbeitsprozesse schlossen sich an, in denen es um nicht gerechtfertigte fristlose Kündigungen und ausstehende Zahlungen ging. Auch Pflegebedürftige und Angehörige beklagten die anhaltenden Unruhen.

Der Pflegeheim-Betreiber setzte schließlich einen Liquidator ein, der eine Auflösung des Geschäftsbetriebes vorbereiten sollte. Gleichzeitig suchte der Investor eine neue Betreibergesellschaft und erwirkte einen Räumungstitel. Umsetzen ließ sich der allerdings nicht mehr – zunächst, weil der Investor die dafür aufzubringende Kaution von 850.000 Euro nicht auf Anhieb aufzubringen vermochte.

Investor: Heimaufsicht regelmäßig informiert

Mit dieser Kaution sichert sich der Staat ab, für den Fall, dass der Räumungsbeschluss in einer weiteren Instanz kassiert wird und Schadensersatzforderungen entstehen.

Am Ende war es ohnehin zu spät: Die Betreibergesellschaft meldete Insolvenz an, forderte die Angehörigen der verbleibenden, teils hochbetagten 20 Bewohner auf, kurzfristig neue Plätze zu suchen und schickte das verbliebene Pflegepersonal vorerst in den Urlaub – obwohl die nächste Betreibergesellschaft schon in den Startlöchern stand und gern übernehmen wollte.

Aus Sicht des Investors, der sagt, er habe die Heimaufsicht des Kreises ab 2015 regelmäßig über die Schwierigkeiten in der Einrichtung informiert, hätte es verschiedene Zeitpunkte gegeben, an denen diese hätte eingreifen können und müssen.

Dann wären ihm nicht Pachtzahlungen entgangen, die sich – seinen Berechnungen zufolge – auf mittlerweile mehr als fünf Millionen Euro (inklusive Zinsen) summieren.

Für Geschäftsinteressen nicht zuständig

Tatsächlich hat sich die Heimaufsicht in dieser Angelegenheit von Pressevertretern und Kommunalpolitikern eine Menge unangenehmer Fragen gefallen lassen müssen – diese aber meist mit dem Hinweis auf Datenschutz und laufende Verfahren nicht wirklich beantwortet.

Dass der Investor nun mit einer Amtshaftungsklage versucht, an sein Geld zu kommen, ist vielleicht verständlich, aber möglicherweise nicht sehr aussichtsreich, lässt der Vorsitzende Richter und Vizepräsident des Landgerichtes, Jan-Michael Seidel, durchblicken. Dazu müsste der Immobilienbesitzer nämlich erst einmal direkt von einer Amtspflichtverletzung betroffen sein und nicht bloß mittelbar.

Die Amtspflichten der Heimaufsicht, wie sie im „Niedersächsischen Gesetz über unterstützende Wohnformen (NuWG)“ festgeschrieben sind, dienten aber ausschließlich dazu, die Rechte und die Würde der Bewohner zu schützen – und nicht die finanziellen Interessen von Geschäftspartnern, erklärt Seidel.

Dass, so argumentieren die Anwälte des Investors, stimme nicht so ganz: Immerhin habe die Heimaufsicht laut Gesetz auch über die Eignung und Zuverlässigkeit der Leitung zu wachen – und die sei hier ja offensichtlich nicht gegeben gewesen.

Gericht entscheidet im Januar

Der Anwalt des Landkreises wirft dem Kläger hingegen vor, sich nun nur an das Amt zu wenden, weil er befürchten muss, beim Mangel an Insolvenzmasse leer auszugehen. Außerdem habe er ja gar nicht alle Mittel ausgeschöpft, um gegen den eigentlichen Schadensverursacher, den Inhaber der Betreibergesellschaft, vorzugehen.

Der Investor wirft den Behörden seinerseits vor, ja nicht einmal überprüft zu haben, ob der Heimbetreiber die ausstehenden Pachtzahlungen tatsächlich auf einem Treuhandkonto geparkt habe, wie er es in den vorangegangenen Gerichtsverfahren behauptet hatte.

Vier Wochen haben beide Parteien nun Zeit, ihre Argumente in einem schriftlichen Verfahren detaillierter darzulegen. Einen weiteren mündlichen Verhandlungstermin wird es nicht geben. Anfang Januar will das Gericht dann seine Entscheidung verkündigen.

Der Seniorenheim-Betreiber hat mittlerweile ein neues Seniorenheim im Kreis Hildesheim eröffnet und betreibt weitere Einrichtungen im Pflegesektor in verschiedenen Bundesländern.

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9 Kommentare

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  • Ein klassischer Fall von Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren. Dem Wesen einer jeden Investition ist das Verlustrisiko immanent. Das ist - sogar nach der kapitalistischen Theorie - eines der Gründe für eine Rendite. In einem perfekten Markt gibt es (aufgrund des fehlenden Risikos) keine Rendite.

    Es ist für den Vermieter zwar individuell sicherlich schmerzhaft, dass sich sein investment nicht ausgezahlt hat. Aber das ist nunmal das Wesen des Kapitalismus: Geschäftsaussichten können scheitern. Kein Grund, den Staat für den unzuverlässigen Mieter (den sich der Vermieter auch noch selbst ausgesucht hat) zahlen zu lassen.

    Die Klageabweisung ist richtig und wichtig.

    Und hinsichtlich der Räumung: Wenn der Investor den Räumungstitel einfach rechtskräftig werden lässt, gibt es keinen Grund für eine Sicherheitsleistung mehr.

    • @Kriebs:

      Nach der kapitalisteschen Theorie müssen sich Vertragspartner allerdings an den Vertrag halten.



      Was in diesem Fall die Mietzahlung wäre. Eine eigenmächtige Kürzung der Miete, ohne dem Vermieter Zugang zu den bemängelten Stellen des Mietobjekts zu gewähren, bzw. ihn seinen Teil des Vertrages, nämlich Reparatur, zu ermöglichen, entspricht nicht den kapitalistischen Regeln.



      Und die Aufsichtsbehörde hat hier definitiv Fehler gemacht. Da wurden Mängel angezeigt, welche für die Bewohner lebensgefährlich werden könnten. Und die Mängel wurden über sehr lange Zeit nciht beseitigt. Da muss die Aufsichtsbehörde doch aufmerksam werden und die Streithähne zur Ordnung rufen. Egal, wer Schuld hat, solche Mängel müssen weg.

      • @Herma Huhn:

        "Nach der kapitalisteschen Theorie müssen sich Vertragspartner allerdings an den Vertrag halten."

        --> Absolut richtig und absolut d'accord. Dass der Vermieter hier Ansprüche (wahrscheinlich in Millionenhöhe) gegen seinen Mieter hat, steht außer Frage. Gegen den Mieter würde er (wahrscheinlich) jeden Prozess gewinnen.

        Aber genau darum geht es ja: Er verklagt nicht seinen Mieter, sondern einen Dritten mit dem keinerlei Vertragsverhältnis besteht. Er verklagt den Landkreis und gerade nicht seinen Vertragspartner.

        Und das muss - da lehne ich mich mal aus dem Fenster - zur Klageabweisung führen.

        Und die Heimaufsicht wegen Gesundheits- oder sogar Lebensgefahr der Bewohner wirkt - meines Erachtens nach - nicht drittschützend auf die Renditeerwartung des Vermieters.

        Oder anders gesagt: Wenn die Aufsicht das Heim wegen akuter Lebensgefahr geschlossen hätte, wäre die Renditeerwartung des Vermieters auch nicht erfüllt worden.

        Daher bleibe ich dabei: Die Klagabweisung ist richtig und wichtig.

  • Deutschland ist echt eine Schande geworden, vor allem wenn es um unsere Senioren geht!



    Es ist so ein weitreichendes Thema und ich bin gewiss kein Fachmann was das angeht, aber alt werden und dann noch in einem Seniorenheim meine letzten Tage zu "erleben", kommt mir einer Folter gleich! Und das noch zu den Konditionen..



    Habe viele Jahre in der Pflege gearbeitet und weiß wovon ich spreche..



    Und das in einem Land der "wohlhabenden Mitte" oder angeblich noch besser?!

  • Als das Gesundheitswesen massiv privatisiert und auf Profit ausgerichtet wurde war Menschen verachtend, denn es war klar, dass dies auf Kosten der Patienten und Patientinnen, der Angestellten und der Versorgung insgesamt geht, damit ein paar Egoisten sich bereichern können und dann genügend Geld haben, um im Ernstfall nicht auf ihre eigenen Institutionen angewiesen zu sein.

    Das Gesundheitswesen muss zu 100% unter staatliche Verantwortung genommen werden und nicht immer mehr an gierige Heuschrecken verscherbelt werden.

    Es ist traurig, dass alle hart erkämpften Errungenschaften wieder geschreddert werden (und das zum Schaden der nicht-reichen Bevölkerung) .

  • Erinnert mich i'wie an ein Kind dass zu hoch in einen Baum geklettert ist und jetzt lautstark nach Mama und Papa ruft...

    Ein Kind im Baum hilft man gern ...

  • Da fallen mir durchaus mehrere Punkte ein, weswegen die Aufsicht hätte reagieren müssen. Ganz zuvorderst: Da waren Brandschutzmängel, die nicht behoben wurden? Und da ist niemand vom Amt hin und hat geprüft, warum das solange gedauert hat?



    Mag ja sein, dass die Ämter überarbeitet sind, aber sowas muss doch ganz oben auf der Liste stehen. Oder darf der Betreiber auch den Prüfern vom Amt Hausverbot erteilen?

    • @Herma Huhn:

      Die Mängel sollten ja behoben werden, nur die Handwerker durften nicht rein.

      • @Garum:

        Und ein Prüfer vom Amt konnte da keinen Zusammenhang erkennen, weil...?