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Gerichtsprozess zum Anschlag in HalleEinzelgänger mit Online-Umfeld

Der mutmaßliche Halle-Attentäter verbrachte viel Zeit im Netz – und fand dort wohl Gleichgesinnte. Die Aussage einer Expertin stellt die Polizei bloß.

War der angeklagte Halle-Attentäter wirklich nur ein Einzeltäter? Foto: Christian Schroedter/imago

Magdeburg taz | Der Attentäter von Halle saß allein in dem Mietwagen, den er am 9. Oktober 2019 vor der Synagoge in Halle anhielt, um diese gewaltsam zu stürmen. Er allein baute die Waffen, mit denen er Jana L. und Kevin S. schließlich tötete und weitere Menschen verletzte. Nur er fuhr stadtauswärts einen Schwarzen Menschen auf der gegenüberliegenden Straßenseite an.

Der Täter war weder in klassischen rechtsextremistischen Kameradschaften organisiert noch auf entsprechenden Aufmärschen zugange. Die meiste Zeit verbrachte er allein vor seinem Computer. Er war – und ist – ein Einzelgänger. Das bestätigt auch das psychiatrische Gutachten, welches am Dienstag vor Gericht vorgestellt wurde. Und doch war er nicht wirklich allein bei seiner Tat.

Dass trotzdem immer wieder zu lesen ist, es habe sich bei dem Mann um einen Einzeltäter gehandelt, liegt wohl auch daran, dass bisher nicht recht bekannt wurde, was genau der Täter die ganze Zeit über an seinem Computer tat. Das herauszufinden, dazu schien die Polizei schlicht nicht in der Lage gewesen zu sein, wie es etwa die Aussage einer Ermittlerin an einem früheren Prozesstag zeigte. Erst am Mittwoch, dem 19. Verhandlungstag wurde diese große Lücke im Prozess zum Anschlag gefüllt.

Die Journalistin, Autorin und Trainerin Karolin Schwarz holte nach, was den Ermittlungsbehörden bisher nicht gelang: Das Online-Umfeld des Täters auszuleuchten. Als am Tag des Anschlags die ersten Bilder des Täters auftauchten, begab Schwarz sich „ins Internet“, so erzählt sie es vor Gericht. Zwischen 13 und 14 Uhr müsse es gewesen sein, der Täter war zu dieser Zeit noch auf freiem Fuß.

Die Polizei bleibt blind

Schwarz wusste, wo sie zu suchen hatte. Das Video, die Schriften des Täters, die Reaktionen derer, die er ansprechen wollte – das alles fand sie im Laufe des Tages auf den Imageboards Kohlchan, 4Chan und Meguca und dem Messanger-Dienst Telegram. „Es gab eine ganze Reihe abwertender Äußerungen: An erster Stelle Antisemitismus, Rassismus, antimuslimischer Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Homofeindlichkeit indem der Täter entsprechend bezeichnet wurde, Behindertenfeindlichkeit“, sagt Schwarz.

„HEUTE FÄNGT ES AN! HEUTE IST TAG X“, heißt es in einem Thread auf dem Imageboard Kohlchain. Tag X ist für viele Rechte der Moment, an dem das System kippt. Es ist einer von vielen rechten Verweisen und geradezu mitfiebernden Kommentaren. Sie stehen neben abfälligen Kommentaren, wie wenige Menschen der Täter getötet habe und deutlicher Enttäuschung darüber, dass die Opfer Deutsche seien. „Das zeigt, dass sich viele insgesamt gewünscht haben, dass mehr passiert wäre“, sagt Schwarz.

Wer die anderen User auf Imageboards als reines Publikum begreift, irrt. Genauere Betrachtungen zeigen, dass der Bezugsrahmen des Täters deutlich größer ist. „In Teilen der Szene werden Rechtsextremisten als „Saints“, als Heilige bezeichnet“, sagt Schwarz und zeigt entsprechende Einträge. Es ist einer der Begriffe, die in diesem Umfeld genutzt werden. Der Täter kennt diese Codes genau. Er selbst wollte einer dieser vermeintlich Heiligen werden. „Es gibt Memes, auf denen mehrere Terroristen abgebildet sind und ein freier Platz da ist, der ausgefüllt werden kann“, sagt Karolin Schwarz.

Der Täter wollte den Platz ausfüllen. In seinen Dokumenten zur Tat und im Livestream verwendete er Begriffe, die innerhalb der Imageboards genutzt werden. Deren User erkannten den Attentäter als einen der ihrigen. So hieß es am Tattag in einem Thread auf Kohlchan: „Der hat garantiert auch hier gelauert“.

Auch die Symbolik der Fotos, die der Attentäter in seinem Dokument einband, der Name „Anon“, mit dem er sich im Livestream vorstellte (Kurzform von Anonymus, der Standardname aller Nutzer auf englischsprachigen Imageboards) und bestimmte „Witze“ in seinen Dokumenten wiesen laut Karolin Schwarz eindeutig auf Verbindungen hin.

Nach ihr wird ein Beamter des BKA befragt, der eine sichergestellte Festplatte und einen USB-Stick nach der Tat untersuchte. Der Beamte stellt fest: Die Ordner enthielten gewaltverherrlichendes, antisemitisches und rassistisches Material. Was er nicht feststellt, ist die Sprache und Symbole, die nicht nur auf Verschwörungsideologien, sondern auch auf Imageboards hinweisen. So heißt ein Ordner beispielsweise „Pol“, so wie die „politisch unkorrekten“ Unterforen auf 4chan und anderen. Als er gefragt, was dieser Ordner beinhalte, sagt der Beamte, es gäbe keine dezidierte Auswertung.

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3 Kommentare

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  • Alle durcheinander, alle getäuscht...

    Inzwischen bringen die mörderischen Extremisten sowohl Sicherheitsbehörden, ihre „Betreuer“ als auch Journalisten völlig durcheinander:



    gerade war hier noch zu lesen, dass solchen Mördern „...die gekonnte, die perfekte Täuschung gelingt!“

    Mit anderen Worten: auch die Sicherheitsverantwortlichen gehören zur Gruppe der belogenen, der schändlich hintergangenen Opfer im weitesten Sinne, und das ist wahrhaftig tragisch, nicht nur in Wien und Halle...

  • Die Polizei erlaubt sich peinliche, und vor allem lebensgefährliche Lücken in der Aufklärung und damit auch in der Prävention. Wenn sie schlau ist, heuert sie Karolin Schwarz als Trainerin.