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Gerichtshof für MenschenrechteFreibrief für Entrechtung

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

EGMR-Urteil bedeutet: Statt Schutzbedürftigkeit zu prüfen, bewegt man Flüchtlinge mit dem Knüppel zur Umkehr

Grenzzaun in Melilla: Um Asyl zu bekommen, muss man die Grenze ohne Einreiseerlaubnis überqueren Foto: Juan Medina/reuters

Heiße Abschiebung“ heißt es in Spanien, wenn Flüchtlinge und MigrantInnen direkt nach dem Überklettern der Grenzzäune der Enklaven Ceuta und Melilla an das marokkanische Militär übergeben werden – selbstredend, ohne vorher einen Asylantrag stellen zu dürfen.

Aus gutem Grund waren solche unmittelbaren Kollektivabschiebungen in Europa rechtlich tabu. Denn es ist in einer solchen Situation völlig unmöglich festzustellen, ob jemand ein berechtigtes Interesse an Schutz hat oder nicht.

Spanien und andere Länder setzen sich aber seit längerem immer konsequenter über diese Konvention hinweg. Und am Donnerstag bekam das Land dafür höchstrichterlichen Segen: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Klage zweier Männer aus Westafrika abgewiesen, die 2014 auf diese Weise von Spanien nach Marokko zurückgeschickt worden waren. Das Argument der RichterInnen: Sie hätten die „legalen Wege, um spanisches Territorium zu erreichen, nicht genutzt“.

Das Urteil ist ein Freibrief für die weitere Entrechtung von Flüchtlingen an den EU-Außengrenzen. Denn sei es an den Zäunen von Melilla, in den Wäldern von Bosnien, am griechisch-türkischen Grenzfluss Evros oder auf dem Mittelmeer: „Legale Wege“ – die gibt es eben nicht. Das ist das Problem.

Ermutigung zur Knüppelpraxis

Wer Asyl will, hat keine andere Wahl, als sich in eine „unrechtmäßige Situation“ zu bringen, jedenfalls juristisch gesehen. Um sein Recht geltend zu machen, muss man die Grenze ohne Einreiseerlaubnis überqueren. Das ist paradox. Aber an dieser Paradoxie tragen die Flüchtlinge keine Schuld. Es ist an immer mehr Grenzen an den Rändern Europas heute eben nicht möglich, einfach zum Wärterhäuschen zu gehen und freundlich um Einlass zum Zwecke der Asyl-Antragstellung zu bitten.

Das Urteil wird von Staaten wie Kroatien, Bulgarien oder Griechenland aufmerksam zur Kenntnis genommen werden. Sie werden es zweifellos als Ermutigung ihrer Praxis verstehen, Flüchtlinge mit dem Knüppel zur Umkehr zu bewegen, statt zu prüfen, ob sie Schutz brauchen.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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11 Kommentare

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  • Das ist das Thema:



    es gibt keine legalen Einreisemöglichkeiten für Arme, die flüchten müssen.



    Also muss die Festung Europa aufgebrochen werden.

    • @nzuli sana:

      Die Sache ist die, das Armut eben kein Asylgrund ist und nur in absoluten Ausnahmefällen ein Abschiebiehindernis (nach deutschem Recht, wie das andere Staaten im Detail prüfen weiß ich nicht).

      Damit sind wir ja eben genau an dem Punkt: Von Rechtd wegen sollen die Leute ebenerst garnichtnach Europa, weil sie keine AUssicht auf Erfolg haben. Denn nach deutschem und internationalem Recht handelt es sich nicht um "Flüchtlinge", denn die sind in §3 AsylG definiert (nehmen wir §4 AsylG und Art. 16a GG auch noch dazu).

      Das kann man jetzt kritisieren, aber dann geht man auf eine Grundsatzdebatte wann (beziuehungsweise ob) Armut ein Asylgrund darstellt. Das kann kan machen, aber derzeit geht es darum, dass es das nicht ist. Und das damit Arme die nach Europa wollen eben am besten nicht einreisen, denn sie haben eh keinen Anspruch auf Asyl und kosten den Staat Geld und Zeit und motievieren Nachahmer. Daher das Interesse an einer garnicht erst erfolgten einreise. Oder um die Metapher weiterzubauen: Wer von einer Festung redet muss bedenken, dass es danna uch jemandne gibt der Belagert. Ob man dann die Tre öffnet oder nicht ist die Grundsatzdebatte.

  • Wenn man sich das Urteil durchliest ( was nicht ganz einfach ist wenn man sich nicht öfter mit Urteilen beschäftigt) sieht man einige Interessante Punkte. Der Knackpunkt ist die "legale" Einreise. Der Gerichtshof argumentiert, dass es diese gibt (das wird natürlich von der Unterlegnen Seite bestritten, aber der Rechtsweg ist ausgeschöpft, damit steht es). Und weil es diese gibt, ist die illegale Einreise nicht schützenswert. Diese Möglichkeiten ergeben sich, soweit ich es gelesen habe, aus den spanischen GEsetzen, die eien Antragstellung auf Asyl sowohl in der Botschaft als auch an den ofiziellen Grenzübergängen ermöglichen.



    Der Kommentar hier hat also Recht wenn er sagt "Das gibt es z.B. in Griechenland gar nicht" (könnte stimmen, ich bin aber kein Experte für das griechische Asylrecht. Zum Thema "Mittelmeer" weise ich den Autor darauf hin, dass es ein abweichendes Urteil dazu vom Gericht gibt, worauf es im vorliegenden Urteil auch mehrfach hinweist.). Im Umkehrschluss der Argumentation würde das aber bedeuten, dass Pushbacks in Griechenland unter diesen BEdingugnen weiter nicht statthaft sind. Griechenland müsste also "legale" Möglichkeiten schaffen, sich um eine Einreise zu bemühen, z.B, an den offiziellen Grenzübergängen oder in der Botschaft in der Türkei (Anmerkung: Es gibt eine andere Klage wo es darum geht, in Botshaften Asyl zu beantragen. Das sollte man nicht verwechseln, hier geht es nur um Möglichkeiten der Antragstellung in einem angrenzenden Land, nicht um eine Antragstellung in jeder Botschaft weltweit).



    Das Urteil, in meiner Sicht, deckt auch die ungarische Praxis der Transitzzonen an der Grenze (Achtung: Es geht hier nur um das Prinzip, nicht die genaue Umsetzung!). Die Prüfung des Antrages "an der Außengrenze" könnte damit neuen Auftrieb bekommen. Denn für viele EU Staaten könnte es sich als attraktive Möglichkeit anbieten, illegale Einreise zu minimieren und zu sanktionieren und gleichzeitig Konform mit EGMR Rechtsprechung zu gehen.

  • "„Legale Wege“ – die gibt es eben nicht."



    Hier die Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, in der ausgeführt wird, warum die Richter zu einem anderen Ergebnis kamen: hudoc.echr.coe.int...03-6638738-8816756

    • @jhwh:

      Das ist ja quasi der Kernpunkt des ganzen Urteils:Im konkreten Fall gab es diese legalen Möglicgkeiten aufgrund des spanischen Rechtssystems, aber diesen wurden eben nicht in Anspruch genommen. Ob sich das Urteil auf andere Staaten an den Außengrenze der EU übertragen lässt, hängt damit davon ab, ob es dort ähnliche Möglichkeiten gibt. Daher stimmt die Aussage "Um sein Recht geltend zu machen, muss man die Grenze ohne Einreiseerlaubnis überqueren." nur bedingt. Denn das Gericht sagt ja "diese Möglichkeit gab es eben doch, darauf müssen sie sich im konkreten Fall verweisen lassen". Und dabei geht es auch nicht, anders als im Kommentar ganz am Ende suggeriert, um Einlass zum Zwecke der Asylprüfung. Das Gericht zielt ja darauf ab, erst das Asylgesuch zu prüfen und DANACH Einlass zu gewähren. Das solte man nicht durcheinanderwerfen.

      • @Mike-in-the-Box:

        Ich glaube, wir sind hier einer Meinung. Wichtig ist Ihr Hinweis, daß Melilla ein sehr spezieller Fall ist

      • @Mike-in-the-Box:

        Eine wunderbare Einladung, die Grenzen faktisch dicht zu machen, denn so eine Asylprüfung kann ja Jahre dauern.

        • 8G
          83379 (Profil gelöscht)
          @Sonntagssegler:

          Das kann man ändern, das dauert auch nur in Deutschland Jahre.

        • @Sonntagssegler:

          Das ist eine Möglichkeit. Wie eine genaue Ausgestaltung am Ende aussehen wird kann ich nicht sagen. Asylverfahren können aber auch schnell gehen. Da fehlt es tatsächlich an einem europäischem und koordinierten Asylverfahren. Im vorliegenden Fall haben die beiden ja aber umdie 2 Jahre in Marokko gelebt bis sie den Zaun gestürmt haben. Der schnellere Weg war es jetzt also auch nicht unbedingt...

  • Das Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs bedeutet: Die Souveränität der Staaten wird anerkannt und niemand ist berechtigt, sich durch Gewaltanwendung über diese hingweg zu setzen.

    Keine Konvention der Welt sieht einen Anspruch auf Einreise in ein fremdes Land vor, gleich aus welchen Gründen. Das gleiche Gericht hat ebenfalls einen Anspruch auf ein sogenanntes "humanitäres Visum" abgelehnt. Die Staaten haben es selbst in der Hand, über eine Einreise und eine Shcutzbedürftigkeit zu entscheiden.

    Eine "Knüppelpraxis" wäre durch ein anders lautendes Urteil ebenfalls bestätigt worden und zwar um sich mit Knüppeln den Grenzübertritt zu verschaffen.