Geplantes Gesetz zur Intensivpflege: Spahns Unheil

Spahns Entwurf sieht vor, dass nur „in Ausnahmefällen“ ein Anspruch auf Intensivpflege zu Hause besteht. Diese Passage muss einfach weg.

Gesundheitsminister Jens Spahn gestikuliert

Hat es geschafft, in kurzer Zeit Zehntausende gegen sich aufzubringen: Gesundheitsminister Spahn Foto: dpa

Man reibt sich die Augen und fragt sich, wie Gesetzentwürfe in Deutschland eigentlich so entstehen. Ob die zuständigen Minister die Risiken und Nebenwirkungen wirklich bedenken und das Ding überhaupt Seite für Seite gelesen haben, bevor der Entwurf an die Öffentlichkeit geht. Den Entwurf zum Intensivpflegestärkungsgesetz zum Beispiel. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat es in kurzer Zeit geschafft, Zehntausende von Menschen wegen dieses Entwurfs gegen sich aufzubringen, und der Verdacht kommt auf, dass er sich mit dem Thema, dessen Vielfalt und den Schicksalen, die damit verbunden sind, zuvor nicht wirklich beschäftigt hat.

Die Grundidee des Entwurfs, die ambulanten Dienste in der Intensivpflege strengerer Qualitätskontrolle zu unterziehen, ist ja richtig. Mit beatmeten PatientInnen verdienen Kliniken und ambulante Pflegedienste viel Geld, und es gibt Krankengruppen wie etwa Schlaganfallpatienten, mit denen manchmal nicht ausreichend trainiert wird, um sie von der künstlichen Beatmung dauerhaft wegzubringen. Ein künstlich beatmeter Patient mit Luftröhrenschnitt bringt einem Pflegedienst viel Geld. Es ist richtig, hier stärker zu kontrollieren, was nötig ist und was nicht.

Aber im Gesetz steht auch noch ein weiterer Passus, nämlich dass die dauerhafte Intensivpflege von Schwerkranken künftig „in der Regel“ in Heimen oder spezialisierten Pflege-WGs erfolgen soll. Nur „in Ausnahmefällen“ soll auch künftig noch ein Anspruch auf Intensivpflege zu Hause bestehen. Die häusliche Rund-um-die-Uhr-Versorgung Schwerstkranker wird damit zum Ausnahmefall erklärt – als hätte es all die Diskussionen um Selbstbestimmung, Würde und Teilhabe nie gegeben.

Dabei leben in Deutschland Menschen mit starken Behinderungen, die mithilfe ihrer AssistentInnen arbeiten und durch die 24-Stunden-Betreuung weiter bei ihren Familien oder sogar allein wohnen können. Das ist eine soziale Errungenschaft, auf die wir stolz sein können.

Was also will ein Minister mit so einem ­Gesetzentwurf vermitteln? Man stelle sich vor, der erste voll gelähmte Patient mit der Krankheit ALS bittet darum, seine künstliche Beatmung einzustellen und sterben zu dürfen, weil er nicht weg von der Familie und ins Heim geschickt werden will.

Dazu wird es wohl nicht kommen, auch Spahn will politisch weiterleben. Aber es wäre auch schlimm genug, wenn Betroffene mit irgendwelchen „Zumutbarkeitsprüfungen“ der Krankenkassen in Angst und Schrecken versetzt und die „familiären“, „persönlichen“ und „örtlichen“ Umstände erschnüffelt werden. Wenn Spahn nicht das Bild eines völlig überforderten Gesundheitsministers von sich abgeben will, muss die Passage weg. Ganz einfach.

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Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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