Geplante Ankerzentren für Flüchtlinge: Bundespolizei gegen Seehofers Lager
Die Gewerkschaft der Polizei übt scharfe Kritik an den Plänen des Innenministeriums. Den Bundesländern fehlen weiter konkrete Informationen.
Seine Gewerkschaft steht dabei hinter ihm: Eine Resolution, in der sich aus „grundsätzlichen, verfassungsrechtlichen und sachlichen Erwägungen“ klar gegen die Einrichtung von Ankerzentren ausgesprochen wird, wurde am Mittwoch auf einem Treffen der Bundespolizei in der GdP von einer „überwältigenden Mehrheit“ der Delegierten verabschiedet.
Nach den Plänen des Innenministeriums sollen Flüchtlinge künftig von der Ankunft bis zur Abschiebung in sogenannten Ankerzentren isoliert untergebracht sein. Auch Abschiebeknäste sollen dort angesiedelt werden. Vorbilder sind die bayerischen „Transitzentren“.
Im Detail ist zu den Ankerzentren bislang wenig bekannt. Stephan Mayer, CSU-Staatssekretär für Inneres, hatte allerdings vor rund vier Wochen gesagt, die ersten dieser Einrichtungen, die nach Willen des Ministeriums noch im Herbst eröffnen sollen, würden in Verantwortung der Bundespolizei betrieben.
„Unglaubliche Menschenmenge und Enge“
Dass die GdP das ablehnt, liegt auch an einer damit einhergehenden Aufgabenerweiterung für die Bundespolizei: „Unsere Kernaufgabe ist der Grenzschutz, den wir momentan kaum wahrnehmen können. Stattdessen sollen wir jetzt in den Ländern diese Lager einrichten – nicht mit uns“, sagte Radek am Mittwoch. Die Bundespolizei müsse für ihre bestehenden Aufgaben gestärkt werden, statt neue hinzu zu bekommen. Radek betonte, er spreche bewusst von „Lagern“, nachdem er sich vor Ort in den Transitzentren ein Bild gemacht habe: „Alles andere wäre verbale Kosmetik.“
Denn es sind nicht nur Fragen der Aufgabenteilung zwischen Landes- und Bundespolizei, die die Ablehnung der GdP begründen. „Es geht bei diesen Lagern einzig und allein um Abschreckung, und wir denken nicht, dass Abschreckung im Bereich des Asylrechts ein Instrument sein sollte“, so Radek.
Auch aus kriminalpräventiver Sicht gebe es bei den Ankerzentren Bedenken. Nicht nur seien bei der „unglaublichen Menschenmenge und Enge“ in den Lagern Aggressionen vorprogrammiert, auch könne die geplante Beschränkung von Taschengeld und Sachmittel auf ein absolutes Minimum zu einem Anstieg von Vergehen wie Diebstahl führen: „Wer Mittel für den Eigenbedarf so drastisch kürzt, verstößt gegen Grundsätze der Kriminalprävention.“
Innenminister Horst Seehofer hat die Ankerzentren zu einer seiner Top-Prioritäten erklärt. Bis zu fünf sollen noch im September und Oktober eröffnen, verteilt über verschiedene Bundesländer. Ein angekündigtes Eckpunktepapier liegt bislang allerdings noch nicht offiziell vor, viele Umsetzungsfragen sind unklar.
Den Bundesländern fehlen Informationen
Die taz hat bei den zuständigen Ministerien aller Bundesländer außer Bayern – dessen wohlwollende Haltung bekannt ist – die Position bezüglich der Ankerzentren abgefragt. Sachsen, Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern – in all diesen Ländern sitzt die CDU mit in der Regierung – äußerten sich ebenfalls wohlwollend: „Alle Maßnahmen, die schnellere Asylverfahren und konsequentere Abschiebungen mit sich bringen, begrüßt der Freistaat Sachsen ausdrücklich“, heißt es etwa aus dem dortigen Innenministerium.
Auch diese Länder geben allerdings an, bislang nicht über konkrete Planungen des Bundesinnenministeriums in Kenntnis gesetzt worden zu sein. Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen und das Saarland wollen sich mit Verweis auf mangelnde Informationen aus dem Ministerium nicht zu den Ankerzentren äußern.
Das Land Berlin, in dem die Linken-Senatorin Elke Breitenbach zuständig wäre, bezieht eine klar ablehnende Haltung: „Dass Menschen in solchen Zentren festsitzen, weil sie keine Bleibeperspektive haben, aber auch nicht abgeschoben werden können, (…) wäre eine erhebliche Verschlechterung der bisherigen Situation“, so eine Sprecherin. Berlin werde versuchen, in dieser Frage alle Spielräume zu nutzen. Mit den Ankerzentren werde „die Desintegration und die Dequalifizierung von Menschen, die hierher kommen“ organisiert. „Das ist inhuman. Und es wird uns teuer zu stehen kommen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen