Geothermie in Bayern: Das Risikokraftwerk
Eine kanadische Firma will bei München ein neuartiges Erdwärmeprojekt realisieren. Wissenschaftler äußern Bedenken gegen die Technik.
Doch ausgerechnet renommierte Geologen und Geophysiker stören nun die PR-Idylle von Unternehmen und Politik: Das Projekt sei „extrem risikobehaftet“, sein möglicher Energiebeitrag „äußerst fraglich“. Damit bestehe die Gefahr eines „enormen Imageschadens für die gesamte Geothermie“.
Bei dem Projekt setzt die kanadische Firma Eavor auf eine neue Technik – und auf einen gigantischen Aufwand: Insgesamt 360 Kilometer lang sollen die Bohrungen im Untergrund werden. Klassische Geothermiekraftwerke kommen mit etwa acht Kilometer Bohrstrecke aus. Typische Anlagen verfügen über eine sogenannte Dublette, zwei Bohrungen, die jeweils etwa vier Kilometer in die Tiefe reichen, von denen eine der Förderung des heißen Wassers dient, die andere dem Verpressen.
In Geretsried aber sollen von den Bohrungen in 4,5 Kilometer Tiefe viele horizontale Stränge ausgehen, die jeweils mehr als drei Kilometer lang sind. Indem diese an den Enden miteinander verbunden werden, sollen unterirdische Wärmeschleifen entstehen. „Closed Loop“ heißt diese Technik.
Erhebliche Zweifel an Realisierbarkeit
Geowissenschaftler äußern nun allerdings erhebliche Zweifel an der Realisierbarkeit. Einer von ihnen ist Professor Horst Rüter von der Ruhruniversität Bochum, der sich seit Jahrzehnten mit geologischen Explorationsverfahren und der Nutzung geothermischer Ressourcen befasst und zeitweise auch Präsident des Bundesverbands Geothermie war.
Zusammen mit fünf Fachkollegen hat Rüter angesichts der bis zu 350 Millionen Euro, die laut Firmenangaben in Geretsried verbohrt und verbaut werden sollen – mehr als 90 Millionen davon sind EU-Fördergelder –, jetzt einen Brandbrief an den Branchenverband geschrieben, der der taz vorliegt.
Es bestünden „gegen diese Technologie erhebliche grundsätzliche Bedenken“. Die Risiken begännen bereits mit den kilometerlangen Bohrungen, die ein Ziel in der Größe eines DIN-A4-Blatts treffen müssen. Ob die Bohrtechnik dazu in der Lage ist, sei fraglich.
Bohrungen sollen nicht ausgekleidet werden
Hinzu kommt, dass – gemessen an den Bohrlängen – die geplante elektrische Leistung des Kraftwerks mit gerade 8,2 Megawatt äußerst bescheiden ist. Das liegt in der Natur des Verfahrens, weil hier kein Thermalwasser angezapft, sondern lediglich die Wärme des Untergrunds in einer Art riesigem Durchlauferhitzer genutzt wird. Experten zweifeln, dass das wirtschaftlich funktionieren kann, nicht zuletzt, weil die Wärmebereitstellung „nicht dauerhaft sein“ könne.
Die Firma Eavor hält alle Bedenken für unbegründet. Die Bohrtechnik werde „seit vielen Jahren in der Kohlenwasserstoff-Industrie erfolgreich eingesetzt“ und sei für die eigene Anwendung weiterentwickelt worden. Referenzobjekt sei eine „seit 2019 erfolgreiche Testanlage in Alberta, Kanada“. Geretsried als die erste kommerzielle Anlage werde „durchaus wirtschaftlich“ sein – und bei jedem weiteren Projekt werde man „schneller, besser und preiswerter“.
Die Kritiker können den Optimismus nicht nachvollziehen und benennen weitere Vorbehalte: Die horizontalen Bohrungen sollen nicht – wie klassische Erdwärmebohrlöcher – mit Rohren ausgekleidet, sondern nur wasserdicht beschichtet werden.
Verfahren wird wahrscheinlich versagen
Die Firma spricht von „einer Art 2-Komponenten-Kleber“, mit dem „das umliegende Gestein imprägniert und damit hermetisch abdichtet“ werde. Dieses Verfahren, fürchten wiederum die externen Geowissenschaftler in ihrem Brief, werde „voraussichtlich versagen“, sobald eine Bohrung geologische Störzonen durchstößt. Solche würden „bei allen bekannten Bohrungen in der Umgebung regelmäßig nachgewiesen“.
Da zudem zur Förderung des Wassers keine Pumpen eingesetzt werden, sondern das erwärmte Wasser durch seine geringere Dichte von selbst aufsteigen soll, gebe es keine Möglichkeit, den Wasserfluss in den Verästelungen des Systems zu beeinflussen, warnen die Kritiker. Es gebe „bisher weltweit keine einzige erfolgreich produzierende Anlage nach diesem Prinzip“, somit seien „alle kommunizierten Vorteile äußerst spekulativ“.
Eavor unterdessen betont: Der Wärmetransport – in der Technik spricht man vom „Thermosiphon-Effekt“ – könne simuliert werden und das Verfahren funktioniere in der Testanlage „seit vier Jahren störungsfrei“.
Erdwärmetechnik in Verruf
Den Wissenschaftlern um Professor Rüter geht es bei ihrer vehementen Kritik allein um die Sache: „Ich wäre ja froh, wir würden uns irren“, sagt der Geophysiker. Aber er habe wenig Hoffnung danebenzuliegen, denn die Risiken seien „nicht übersehbar“.
Weil ein Scheitern dieses Projekts – nicht zuletzt wegen der aufgebotenen Politprominenz – die gesamte Erdwärmetechnik in Verruf bringen könnte, haben die Geowissenschaftler sich nun an das Präsidium des Bundesverbands Geothermie gewandt. In dem Brief bitten sie darum, „alles Denkbare zu unternehmen um den sich hier abzeichnenden Schaden von der Geothermie abzuwenden“. Das Schreiben, so heißt es, habe inzwischen auch den Weg ins Kanzleramt gefunden.
Allerdings ist vom Branchenverband in dieser Hinsicht keine unbefangene Einschätzung zu erwarten – schließlich zählt Eavor zum Kreis der Verbandsmitglieder, ebenso der österreichische Öl- und Gaskonzern OMV, der sich bei Eavor eingekauft hat. Daher erklärt der Verband auf Anfrage nur, er erwarte „die Ergebnisse des Projekts mit Spannung“. Zur Frage, ob das Pilotprojekt wirtschaftlich werde arbeiten können, sei „keine seriöse Aussage möglich“.
Stadtwerke München beteiligen sich nicht
Bemerkenswert ist unterdessen, dass die Stadtwerke München beim Projekt Geretsried nicht dabei sind. Das Unternehmen hat in den vergangenen Jahren viel Erfahrung in der Geothermie gesammelt und auch in einige Erdwärmekraftwerke in der Region investiert. Hatte man bei dem Münchner Unternehmen womöglich ebenfalls Bedenken gegen die neue Technik? Auf Anfrage heißt es bei den Stadtwerken nur, man sei „mit vielen Gemeinden im Gespräch“ und wolle sich „zu einzelnen Projekten nicht äußern“.
So wird wohl erst die Praxis zeigen, ob der Optimismus der Bauherren angemessen war oder doch eher die Befürchtung der unabhängigen Experten. Das Wohlwollen von ganz oben sollte dem Projekt aber immerhin zuteil werden: Anfang Juli wurde der Bohrmeißel von sogar zwei Pfarrern gesegnet.
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