Generalstreik in Nigeria: Wer arbeitet, soll essen können
Nach zwei Tagen Generalstreik willigt Nigerias Regierung in Verhandlungen mit den Gewerkschaften ein. Die fordern einen 16-fach höheren Mindestlohn.
Zu der unbefristeten Arbeitsniederlegung seit Montag riefen die Gewerkschaftsdachverbände NLC (Nigeria Labour Congress) und TUC (Trade Union Congress) aus. Die meisten staatlichen Einrichtungen blieben geschlossen, die Energieversorgung und der Flugverkehr brachen zusammen. Damit wurden auch andere Branchen mit hineingezogen, auch weil manche Angestellte in der Privatwirtschaft sich dem Generalstreik anschlossen. Auch das Gesundheitswesen war betroffen.
Der Stromversorger TCN (Transmission Company of Nigeria) stellte landesweite Stromausfälle fest. Die beiden größten Flughäfen Nigerias, der Nnamdi Azikiwe International Airport in der Hauptstadt Abuja und der Murtala Muhammed International Airport in der Wirtschaftsmetropole Lagos, wurden von Streikenden blockiert, was zu Flugausfällen führte.
In einem der ohnehin unsichersten Länder Afrikas sorgt all dies für zusätzliche Probleme. „Wir rechnen mit Zusammenstößen zwischen Protestierenden und Sicherheitskräften, falls es zu Demonstrationen kommt, auf denen Anweisungen der Polizei ignoriert werden“, sagt eine Quelle im Sicherheitsapparat.
Tägliche Treffen für Verhandlungen
Es gibt zwei Gründe für die Streikwelle. Zum einen hat die Regierung eine 300-Prozent-Erhöhung des Strompreises auf 225 Naira (13,8 Cent) pro Kilowattstunde gebilligt. Zum anderen verlangen die Gewerkschaften eine deutliche Anhebung des gesetzlichen monatlichen Mindestlohns von derzeit 30.000 Naira (rund 18 Euro) auf mindestens 500.000 Naira (über 300 Euro).
Die Regierung hat 60.000 Naira (rund 37 Euro) angeboten und auch einen höheren Betrag in Aussicht gestellt, ohne diesen zu benennen. Dies liege „im nationalen Interesse“, hieß es in einer Regierungserklärung. Es werde ab jetzt „für die kommende Woche tägliche Treffen geben, um einen akzeptablen landesweiten Mindestlohn zu erreichen“. Präsident Tinubu wies das Finanzministerium an, neue Zahlen vorzulegen.
In Erwartung eines verbesserten Angebots verkündeten die Gewerkschaftsverbände am Dienstag abend die Aussetzung des Generalstreiks für eine Woche. Derweil führen Mohammed Idris, Minister für Information und Nationale Orientierung, und Nkeiruka Onyejeocha, Staatsminister für Arbeit, die Regierungsdelegation bei Gesprächen mit den Gewerkschaftsdachverbänden an. Diese werden von NLC-Präsident Joe Aljaero und TUC-Präsident Festus Osifo geführt.
Afrikas stärkste Gewerkschaftsbewegung
Eine Erfüllung der Gewerkschaftsforderungen wäre nicht einfach. Nigeria steckt in einer Wirtschaftskrise, die Staatseinnahmen befinden sich im freien Fall. Nach den jüngsten Quartalsdaten der Zentralbank verringerten sich die auf Bundesebene eingenommenen Staatseinnahmen von 4,1 Billionen Naira (2,5 Milliarden Euro) im dritten Quartal 2023 auf 2,6 Billionen (1,6 Milliarden Euro) im vierten Quartal. Der Staatshaushalt für 2024 sieht insgesamt wieder deutlich höhere Staatseinnahmen in Höhe von 18,3 Billionen Naira (11,2 Milliarden Euro) vor, von denen rund zwei Drittel vom Zentralstaat erwirtschaftet werden; die Staatsausgaben für dieses Jahr sind mit 27,5 Billionen Naira angesetzt.
Der starke Verfall der Landeswährung in den letzten Monaten lässt die staatlichen Haushaltszahlen in Euro oder US-Dollar umgerechnet deutlich niedriger aussehen, als sie geplant waren – aber er steigert die Inflation, lässt die Kaufkraft erodieren und erschwert die Finanzierung des Haushaltsdefizits. „Wir rechnen mit einem höheren Druck auf den Staatshaushalt durch höhere Gehälter und steigende Kreditausgaben“, prognostiziert der Finanzanalyst Tunde Abidoye, Equity Research Analyst at FBN Capital.
Nigeria hat eine der stärksten Gewerkschaftsbewegungen Afrikas. Da viele Menschen aber nicht in der formalen Wirtschaft arbeiten, vertreten die Gewerkschaften nur Teile der Bevölkerung, vor allem im Staatsdienst, im Ölsektor und in den großen Verkehrsgesellschaften. Der Mindestlohn ist aber gesetzlich verbindlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen