Gemüseschlacht auf der Oberbaumbrücke: Kreuzberg bleibt ein Mythos
Am 1. Mai wollen sie Randale, doch vor müden Friedrichshainern laufen sie davon. Die Kreuzberger verlieren erneut die Gemüseschlacht auf der Oberbaumbrücke.
BERLIN taz Sie sind Helden im Sprücheklopfen. Doch wenns ernst wird, sind sie nur Versager. T-Shirts bemalen, Transparente aufhängen, das kann gemeinhin, wer sich Kreuzberger schimpft. Aber am Sonntag auf der Oberbaumbrücke zeigte es sich wieder: Geht es um die letzte Schlacht, dann ist die örtliche Bevölkerung des Kummerkiezes besser im Singen als im Siegen.
Laut hatten sie posaunt im Vorfeld der Gemüseschlacht auf der Oberbaumbrücke - und mit dem Freien Kreuzberger Heimatschutz eigens eine neue Streitmacht aufgestellt (taz berichtete). Nach Jahren der Scham, nach acht blamabel verlorenen Kämpfen ums Ganze hatten sie endlich zum Appell gerufen. Friedrichshain versenken wollten sie. Und ihre Ehre retten. Dieses Mal für immer.
Doch die Hoffnung währte nur Minuten - bis nach dem Startschuss am Sonntag Mittag die Kreuzberger Streitwagen zerlegt, die Truppen demoralisiert waren. Es war so jämmerlich wie eh und je: Ein kurzer Vorstoß, ein bisschen Prügel - und schon schlug Friedrichshain zurück. Ein wenig Getue noch fürs Fotoalbum. Und nach 70 Minuten standen die Sieger fest: Friedrichshains Kreative hatten die Brücke passiert. Nun jubeln sie für Jahre wieder über ihren stolzen Sieg.
Doch Nachsicht denen, die hier Stärke wittern: Zwar verfügten die Friedrichshainer Kämpferinnen und Kämpfer mit kiloweise Kaffeesatz, "edlen Matjesfilets" (frisch) und ein paar Exemplaren benutzter Windeln (auch frisch) eindeutig über die effektiveren Wurfsätze, doch strategisch mussten sie nicht brillieren. Denn es reicht für gewöhnlich, die Kreuzberger Protagonisten eine erste Weile ins offene Feld stechen zu lassen - und schon vergeht den heißgetobten Obstsoldaten die Kampfeslust. Da nützt kein Hauen, nützt kein Stechen, wenn sich die jungen Friedrichshainer rächen.
Es ist 13.52 Uhr, kurz nach der letzten Schlacht am Schlesischen Tor. "Warum?" fragen die enttäuschten Krieger des Kreuzberger Kommandos niedergeschlagen. Nichts Weltliches ist ihnen fern und Eidotter tropft behutsam aus ihren Haarspitzen. Sie wollen wissen: "Was sind die Gründe unseres ewigen Versagens?"
Hier hilft nur eins, der deutliche Befund. Denn, fürwahr, es ist ein ernstes Leid, das dort in Kreuzberg sich entfaltet: Der Individualismus ist in die Kreuzberger gefahren. Das Strategische liegt ihnen fern. Und wo es nicht mangelt an Weitsicht, da fehlt der soziale Zusammenhalt.
Ein Beispiel: Florian, 29, Tattoo, Sonnenbrille, Polohemd und Flipflops, ist Finanzmanager einer Design-Agentur und froh, dass er nichts abbekommen hat bei dieser Schlacht. Er steht am Rand der Oberbaumbrücke, blickt auf Kreuzbergs letzte Wehrversuche und sagt: "Wenn du in der kreativen Branche arbeitest, ist Kreuzberg der Platz, wo du hin musst. Und wenn wir kreative Leute wollen, dann brauchen wir Mediaspree." Florian ist Kreuzberger, jung und hat Visionen. Doch: dafür kämpfen will er nicht. Das ist, was diesen Kiez zerstört.
Und was anderen Kiezen noch gelingt: Markus, 20, ist Friedrichshainer. Dieser Mann kennt Aktionismus. Einen Eimer Wasser zieht er immer wieder aus der Spree, braun, dreckig, unwohl riechend. Und dann geht er auf Angriff über. Was tun die Kreuzberger? Sie danken noch für die Erfrischung. So führt man wahrlich keine Kämpfe. Kreuzberg einig Trullalla.
Dabei kannte Kreuzberg doch die guten Jahre und Bekämpfenswertes kennt es noch zuhauf: sture Spekulanten, furchtbare Fast-Food-Fritierer und zu aller letzt die vielen inneren Schweinehunde dieses doch so schönen Ortes nahe Neukölln. Hier lohnte es sich einst zu leben. Und zu sterben lohnt es sich hier jetzt erst recht.
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