Gemeindepfarrer über Ferguson: „Ein Schrei nach Veränderung“

Willis Johnson spricht über Todesurteile auf der Straße, Rassentrennung und ökonomische Unterschiede. Mit seiner Gemeinde unterstützt er die Protestierenden.

Demonstranten in Ferguson erinnern an die vielen Opfer staatlicher Gewalt Bild: Reuters

taz: Der Auslöser für die Aufruhr in Ferguson waren die tödlichen Polizeischüsse auf Michael Brown. Aber die Wut scheint noch tiefer zu gehen. Was ist die kollektive Erfahrung?

Willis Johnson: Wir erleben kontinuierliche und scheinbar endlose Vorfälle, bei denen junge Leute auf der Straße erschossen werden. Oft ist es lediglich eine Wahrnehmung, aber manchmal ist es gut dokumentiert, dass nichts passiert ist, bevor die Leute tödlich verletzt wurden. Wir können darüber debattieren und spekulieren, was jeweils zu den Schüssen geführt hat. Aber unter keinem einzigen Vorwand ist ein Todesurteil auf der Straße gerechtfertigt.

Was ist das Hauptproblem: Rassismus, exzessive Polizeigewalt, wirtschaftliche Not?

Es ist all das zusammen. Die Kombination scheint tödlich zu sein.

39, Pastor von der Wellspring Kirche in Ferguson, war in den Tagen und Nächten seit den tödlichen Schüssen auf den unbewaffneten Teenager Michael Brown viel auf der Straße unterwegs. In angespannten Konfrontationen mit der Polizei ist er persönlich auf Jugendliche zugegangen. Seine Gemeindemitglieder gehen als Freiwillige bei den Demonstrationen mit und skandieren den Slogan, mit dem die Protestbewegung der Polizei gegenüber tritt: „Hands up – Don't Shoot“.

Seit der Bürgerrechtsbewegung sind 50 Jahre vergangen. Zeigen die tödlichen Schüsse von Ferguson und anderswo auch ein Scheitern der Bürgerrechtsbewegung?

Die Bürgerrechtsbewegung ist nicht gescheitert. Sie ist immer noch ein Prozess. Die Anstrengungen für uns als Nation gehen weiter.

Warum dauert es denn so lange?

Die Frage stellt sich auch in anderen Teilen der Welt. Manchmal brauchen die tiefsten Dinge Zeit.

In den USA passiert es immer wieder, dass Polizisten oder bewaffnete Wachleute unbewaffnete – meist afroamerikanische – Teenager töten. Aber in Ferguson sind die Reaktionen dieses Mal stärker. Wie erklären Sie das?

Ich glaube nicht, dass die Antwort stärker ist. Ich habe in anderen Teilen der USA gelebt, und ich ringe nicht zum ersten Mal in meinem Leben mit einer solchen Situation. Für manche Leute mag es das erste Mal sein, dass sie die Vorhänge zurückziehen und genau hinschauen. Aber die Leute leiden schon seit sehr langer Zeit. Und sie haben sowohl ihre Anliegen als auch ihr Verlangen nach Veränderung schon sehr lange ausgesprochen. Nicht nur in Ferguson, sondern quer durch das Land. Es gibt einen Schrei nach Veränderung. Ganz besonders bei der jungen Generation. Sie ruft nach Gerechtigkeit, Frieden und Gleichheit. Sie kommt aus dem Privaten heraus in den öffentlichen Raum.

Geben die Medien das, was die Menschen in ihrer Stadt wollen, korrekt wieder?

Ein paar Aspekte, ja. Andere werden herausgestellt und verschönert.

Manche in Ferguson meinen, dass ohne die Plünderungen und ohne die Festnahmen von Journalisten, der Tod von Michael Brown nur eine Ein-Tages-Meldung gewesen wären. Stimmt das?

Da mag etwas dran sein. Wir wissen, dass gewisse Aktionen Aufmerksamkeit bringen.

In den vergangenen Tagen haben Sie – und andere Mitglieder Ihrer Gemeinde – immer wieder versucht, Demonstranten aus extrem angespannten Konfrontationen mit der Polizei herauszuholen.

Wir wollen niemanden davon abhalten, sich auszudrücken oder zu demonstrieren. Wir sind solidarisch, bestärken sie in ihren Gefühlen und unterstützen sie dabei. Wir laden unsere jungen Leute ein, eine Strategie – eine Serie von Strategien – zu entwickeln, um allgemein gesündere Beziehungen aufzubauen. Denn wir stehen weiterhin vor dem Problem der Rassentrennung und immensen ökonomischen Ungleichheiten.

Wie bewerten Sie die Polizeieinsätze der vergangenen Tage?

Es gibt Fragen und Sorgen über Taktiken und Strategien: Danach, wie die Polizei in den Abendstunden gegenüber den Demonstranten vorgegangen ist und nach ihrer Informationspolitik. Viele von uns – mich eingeschlossen – denken, dass die Schüsse unnötig waren. Damit das nicht wieder passiert, sind alle gefragt, die am Wiederaufbau und der Stärkung von Ferguson interessiert sind.

In den Demonstrationen sind hauptsächlich Afroamerikaner zu sehen. Haben Sie Unterstützung von Weißen?

Das Problem betrifft unverhältnismäßig viele Afroamerikaner und Angehörige anderer Minderheiten. Aber wir haben große Unterstützung aus einer sehr diversen Gemeinschaft quer durch die Altersgruppen und ethnischen Zugehörigkeiten. Auch wenn das von außen nicht so sichtbar ist.

Was ist nötig, damit Ferguson aus der Krise herauskommen kann?

Das ist wie nach einem Trauma. Im Augenblick ist Ferguson ein Trauma-Patient. Aus medizinischer Sicht muss der Patient zunächst stabilisiert werden. Wir müssen zu einer Situation gelangen, in der die Konfrontation gesund und respektvoll ist. Wir müssen die Leute von der Straße holen und die juristische Seite der Schüsse auf Michael Brown aufzuarbeiten.

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