Gelsenkirchen wartet auf den Star: Swifties auf Schalke
Nach Tokio, London und Paris spielt Taylor Swift ihre ersten Deutschland-Konzerte jetzt in: Gelsenkirchen. Wie elektrisierend!
M an ist wie immer im Ruhrgebiet gut drin im Thema, wenn das Große aufs Kleine zugespitzt wird. Zum Beispiel auf diesen Schilderpfosten vor dem Hauptbahnhof Gelsenkirchen, zu sehen am Samstag vor einer Woche auf dem Instagram-Kanal von Paul Brown. Brown, englischer Fußballfan, blondierte Haare, ist neulich zu lokaler Blitzberühmtheit gekommen, weil er die Stadt vor dem dortigen ersten EM-Spiel seiner Mannschaft als „absolute shithole“ abkanzelte. Obwohl das Turnier vor Ort bereits beendet war und England sein Viertelfinale später im nicht weit entfernten Düsseldorf spielte, entschied sich Brown vorher noch mal zu einem Abstecher auf den Bahnhofsvorplatz und eben diesem Schilderpfosten.
Es gab da für ihn wohl noch was klarzustellen. Wohlweislich erst nach Abzug der letzten Fußballfans hat Gelsenkirchen nämlich damit begonnen, „Swiftkirchen“-Tafeln, optisch Ortseingangsschildern nachempfunden, auf Plätzen in der Innenstadt zu montieren. „Taylor Swift, don’t try changing my city“, sagte nun Brown und klebte einen, alles wohl eher ironisch gemeint, „Gelsenkirchen – absolute shithole“-Sticker auf den Rohrpfosten.
Die Szene besitzt alles, um Gelsenkirchens Ausgangslage vor einer magischen Anverwandlung zu beschreiben: Taylor Swift, eine, wie sich vielleicht sogar unter der älteren taz-Leserschaft herumgesprochen hat, aktuell ziemlich erfolgreiche Sängerin mit weltweit Dutzenden von Millionen Fans, genannt Swifties, spielt hier, in der Heimstatt des lokalen Fußballvereins FC Schalke 04 vom 17. bis 19. Juli die ersten Deutschland-Konzerte ihrer „Eras Tour“.
Und nun lässt sich das wie Paul Brown in seinem Video lakonisch kommentieren. Alternativ gibt man sich der elektrisierenden Wirkung hin, die diese ungleiche Paarung in einem auslösen kann.
Gelsenkörken, Germany
Seit März 2023 läuft die Tour von Taylor Swift, 152 Konzerte soll sie bis zum Ende umfassen. Vor allem außerhalb der USA wählte ihr Management dafür nur die auserlesensten Städte aus: Tokio, Melbourne, London, Paris. Und nun Taylor Swift, live in Gelsenkirchen 2024, und das gleich an drei Abenden hintereinander. Sogar in Swifts Heimat sorgte diese Feinschmecker-Konstellation für Aufregung, der Late-Night-Show-Moderator Jimmy Kimmel zweifelte in seiner Sendung sogleich die Existenz dieses „Gelsenkörken, Germany“ an. Der Wahnsinn spricht für sich.
Nüchtern aus Sicht US-amerikanischer Tourmanager betrachtet, denen an dieser Stelle auch keine geografische Indifferenz gegenüber Europa unterstellt werden soll, stellt sich die Sache weit erklärlicher dar. Gelsenkirchen besitzt dank seines Fußball-Stadtteilvereins Schalke eine der größten Multifunktionsstadien mit herausschiebbarer Rasenfläche in Deutschland. Auch andere musikalische Schwergewichte wie die Rolling Stones, U2 oder Metallica gaben hier ihr Stelldichein. Dazu war die Arena Schauplatz wichtiger deutsche Meilensteine des Unterhaltungsfernsehens wie zum Beispiel die „TV Total Stock Car Challenge“. Sie ist perfekt an die vielen Autobahnen des Ruhrgebiets angeschlossen, bis nach Düsseldorf, Köln oder in die Niederlande ist es nicht weit.
Der Reiz entsteht gleichwohl durch die augenfälligen Kontraste: hier der makellose Superstar mit den strahlend weißen Zähnen, dort eine Stadt, die ihre Identität nach wie vor aus dem nicht mehr existenten Bergbau und einem Fußballverein in der 2. Liga bezieht. Hier die Musiktour der Rekorde, die bereits nach ihrer ersten Hälfte mehr als eine Milliarde Dollar eingespielt hat und damit bereits schon jetzt die weltweit bislang erfolgreichste ist, dort die auch im Jahr 2024 ärmste Stadt Deutschlands.
Zu Letzterem sei immerhin gesagt: Die Stadt geht davon aus, dass jeder einzelne Fan bis zu 150 Euro pro Tag zusätzlich zu den Tickets an den Konzerttagen ausgibt. Bei insgesamt 174.000 verkauften Tickets plus einer unbekannten Anzahl an Fans, die ohne Karten anreisen, wären das mindestens 26 Millionen, die in der Stadt bleiben.
Mehr als nur eine Fußball-EM
Taylor-Swift-Konzerte sind mehr als eine Fußball-EM, sie sind Ereignisse von Welt. Gerade weil die eigentlich fußballerprobte Stadt es sich mit den englischen Fans verscherzt hat und im Hinblick auf Swifts internationale Anhängerschaft sei aus deutschen Imagegründen die Frage erlaubt: Wird die Stadt das schaffen?
Man macht sich Sorgen, wie der Superstar aus Nashville und die Swifties den möglichen Kulturschock am Rhein-Herne-Kanal aufnehmen werden, und begibt sich daher am vergangenen Sonntag proaktiv auf eine zweistündige Stadtrundfahrt. Das ist insofern schon nötig, als die Tour im Bus nur einmal im Monat von der Stadt angeboten wird, die Swift-Fans auf diese Hilfe also verzichten müssen.
Es muss konstatiert werden, dass zumindest das ausgewählt präsentierte Gelsenkirchen nicht so hässlich ist wie behauptet. So ist zum Beispiel von der Tourleiterin zu hören, dass die Stadt zu den zehn grünsten Städten Deutschlands gehört. Ansonsten ist Gelsenkirchen tatsächlich eine nostalgische Angelegenheit: Zeche an Zeche reihte sich früher im Stadtgebiet, indirekt lebt Gelsenkirchen immer noch davon, indem aus den dazugehörigen Halden für den Bergbaumüll Aussichtsplattformen und die Fördertürme und Erzbunker als Industriedenkmäler umgenutzt wurden. Nur bedingt Zukunftsweisendes also, was für einen maximal dreitägigen Aufenthalt aber vielleicht auch gar nicht so benötigt wird.
„Gelsenkirchen ist eine Stadt für Entdecker“, redet sich Dirk Slawetzki, Tourismusmanager der Stadt im schönsten Tourismusmanagersprech um den Mangel an klaren Sehenswürdigkeiten herum. Wobei das natürlich auch ein Ausdruck von Selbstbewusstsein für eine Stadt ist, überhaupt einen Tourismusmanager zu haben. Als solcher hat Slawetzki seit vier Jahren die Aufgabe herauszufinden, wie man den Leuten Gelsenkirchen auch abseits von Fußball und Konzerten schmackhaft macht. Mit den englischen Fans sei das am Anfang blöd gelaufen, gibt er zu, auch wenn Paul Brown später beispielsweise zugegeben hätte, einfach nur verkatert gewesen zu sein. Viele Engländer hätten aber wohl die Bahnhofskneipen vermisst, die es noch zur WM 2006 in der Stadt gab.
Swifties in Gelsenkirchen können sich mehr abgeholt fühlen. Zumindest gibt man sich vor Ort erkennbar Mühe, die Ortsschilder sind da längst nicht alles. So plant die Stadt auf dem zentralen Marktplatz die Errichtung einer „swifttown“ mit Bühne und DJ. Wer Glück hat, kann von dort ab der Haltestelle Heinrich-König-Platz die auf der Linie 302 fahrende Straßenbahn mit aufgeklebten Taylor-Swift-Motiven (kommt allerdings nur alle 60 Minuten) in Richtung Arena nehmen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Natürlich gibt es genauso die Möglichkeit, mal aus dem Trubel auszubrechen und zum Beispiel den Blick oben auf den Halden über die Ruhrgebietsriviera am Rhein-Herne-Kanal und Emscher zu genießen. Ein Zoobesuch wäre auch eine Option, Gelsenkirchen besitzt hier eine der modernsten Anlagen Deutschlands, was vielleicht auch für Swift interessant sein könnte, spekuliert Dirk Slawetzki: „Mit ihrem Partner hat sie ja in Australien einen Zoo besucht, vielleicht kommt sie diesmal in unsere Zoom-Erlebniswelt.“
Den Glamour der Stadt möchte Gelsenkirchen Taylor Swift so oder so angedeihen lassen. Auf dem Walk of Fame auf der Horster Straße im Stadtteil Buer soll dafür eine eigene Sternplatte für Swift verlegt werden. Ob die Sängerin hier zwischen Deichmann-Schuhladen und Nagelstudio persönlich vorbeischauen wird, ist noch nicht klar. Als man aber bei der Besichtigung der Starmeile einen Passanten auf das Kommen des amerikanischen Superstars anspricht, antwortete dieser jedenfalls: „Is schon wieder Konzert? Da sach ich jetzt nichts zu, aber wenn die Jugend sich dat wünscht.“
Gelsenkirchen ist bereit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen