Gelbwesten in Großbritannien: Yellow Vests statt Gilets Jaunes
Zwei Ehrengäste der Protestbewegung aus Frankreich sollten eine linke Kundgebung schmücken. Dann kamen Rechte – ebenfalls mit gelben Westen.
Es ist vor allem der Zeitpunkt, der für Nervosität sorgt. Am Dienstag dürfte Theresa Mays Brexit-Deal im Parlament durchfallen, die Labour-Opposition erhofft sich einen Regierungssturz und Neuwahlen. Am Trafalgar Square kündigt Labours Schattenfinanzminister John McDonnell später genau das an.
Hier tummeln sich linke Aktivist*innen, Krankenhauspersonal, Sozialarbeiter*Innen, Arbeiter*innen, Arbeitslose. „Fuck Theresa May!“ steht auf einem Plakat. Der Unterschied zu den Gelbwesten Frankreichs besteht in der klaren Affiliation zu bekannten linken Organisationen und der vorgegebenen Lösung aller Probleme durch Jeremy Corbyn.
Organisator Shabbir Lakha beginnt die Kundgebung mit „Macron – démission, Theresa May must go!“ Dann erklärt er die gelben Westen zum internationalen Symbol des Protestes und fügt an: „Aber wir lassen uns die Bewegung nicht durch Ultrarechte nehmen.“ Deutlicher wird Wyman Bennett von der trotzkistischen SWP (Socialist Workers Party): „Die rechten Gelben sollten sich selber die Kugel geben.“
Gelbwesten gegen Gelbwesten
Diese Redner und ihr Publikum sind selbst aber mit wenigen Ausnahmen keine Gelbwesten. „Das sind alles Mittelklasseleute, die niemals auf die Barrikaden gehen würden und die nichts mehr mit echter Arbeiterklasse am Hut haben“, schimpft der Ostlondoner Altanarchist Martin, 66, der aus Prinzip keinen Nachnamen nennt, und stört die Reden mit Megafonen. „Nein zu den gefälschten Gelbwesten“ steht auf seinem Plakat.
Der französische Gelbwesten-Gastredner Simon merkt das nicht. Auf Französisch zählt er auf, worum es ihm geht: „Gegen den Neoliberalismus und Macron. Gegen Steuererhöhungen. Gegen die Einschränkung von Freiheiten und Rechten. Für das demokratische Mitspracherecht des Volkes. Dass Menschen ihr eigenes Land regieren können. Gegen Oligarchen aus Belgien oder Deutschland. Für Menschen, für die das Überleben eine tägliche Herausforderung ist. Gegen Politik, die Reiche bereichert und Arme verarmt. Gegen Polizeigewalt.“ Laurie Martin erzählt, wie sie als 26-Jährige hoffnungslos in befristeten Jobs steckt. „Wir wollen eine Regierung, die dem Volk dient.“
Während die französischen Gelbwesten vor Demonstranten sprechen, die keine Gelbwesten sind, verwehrt die Polizei britischen Gelbwesten den Zugang. Es sind an die 150 Brexit-Unterstützer mit britischen Flaggen. Sie verteilen eine Liste, die der Aufzählung Simons zum Verwechseln ähnlich sieht – sie sind außerdem gegen Kindesmisshandlung, habgierige Banker, Obdachlosigkeit und für den Einsatz für vergessene Veteranen. Im Hintergrund ertönt aus einer Lautsprecheranlage „Rule Britannia“.
Theresa Murphy aus der Brexit-Hochburg Boston im Osten Englands erzählt von ihrer Arbeitslosigkeit. „Ich komme gegen die billigeren Arbeitslöhne von Saisonarbeitern und Migranten nicht an“, sagt sie. Tracey Blackwell, deren Sohn mit zwei Freunden bei einem Unfall das Leben verlor, verursacht durch einen betrunkenen Fahrer, fordert Gerechtigkeit, denn das Verfahren wurde eingestellt. „Die Bewegung aus Frankreich sollte Leute vereinen, nicht ausgrenzen“, findet sie. Sie gehörte zu den Ersten, die mit einer gelben Weste Brücken in London blockierte. „Ich bin in einer kleinen Wohnung mit zehn Geschwistern aufgewachsen und stamme aus Battersea in London“, sagt Nick, 60. „Ich bin echte Arbeiterklasse, meine Eltern wählten ihr Leben lang Labour. Ich bin einfach gegen das, was die EU seit 40 Jahren macht, wie sie unser Land zerstören.“
Die andere Seite hört ihn nicht. Nach der Veranstaltung stehen sich Brexit-Gelbe und Linke gegenüber. Polizisten und Ordner halten sie auf Abstand. Worte wie „Brexit Go!“ und „Nazidreck!“ fliegen. Auch in Frankreich, bestätigt Simon der taz, wollten verschiedene Gruppen die Gelbwesten vereinnahmen. Der Brexit sei aber für Großbritannien das Beste überhaupt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Scholz fordert mehr Kompetenzen für Behörden
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau