Gelbe Sterne bei Corona-Protesten: Geschmacklos – aber auch strafbar?
„Querdenker“ vergleichen sich gern mit Juden in Nazi-Deutschland. Die Behörden sind uneins, ob dieser Antisemitismus vor Gericht gehört.
Zunächst kündigte der polizeiliche Staatsschutz eine Einzelfallprüfung an, „da der Stern mit der Inschrift im Kontext beurteilt werden sollte“. Später versprach er eine „Sensibilisierung der eingesetzten Polizeibeamten im richtigen Umgang mit den Trägern eines solches Sterns“. In einer dritten Mail aber teilte die Polizei mit, der Strafbestand der Volksverhetzung sei nicht zu sehen, auch „unsere Staatsanwaltschaft“ habe „angezeigte Sachverhalte“ eingestellt.
Später dann leiteten die Behörden in Sachsen im Januar 2022 nach einem Coronaprotest in Grimma dann wiederum doch ein Ermittlungsverfahren wegen eines Davidsterns ein, in Absprache mit der Leipziger Staatsanwaltschaft sogar im „beschleunigten Verfahren“. Hennersdorf, selbst Juristin, sagt: „Gut wäre eine einheitliche Vorgehensweise.“
Die Rechtsunsicherheit, wenn es um die gelben Sterne geht, ist auch außerhalb Sachsens erheblich. Das ergab eine Umfrage des Mediendienstes Integration bei Justiz- und Innenministerien der Bundesländer. Deren Resultat: Wie ein Vergleich der Verfolgung von Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus mit der heutigen Situation ungeimpfter Personen strafrechtlich zu beurteilen ist, ist nicht eindeutig. Gibt der Volksverhetzungs-Paragraph 130 im Strafgesetzbuch hinreichend Ansatzpunkte?
Viele Bundesländer halten sich bisher zurück
Politisch erwünscht wäre das: „Mit den,Ungeimpft-Judensternen' werden die realen Opfer des Holocaust verhöhnt und zugleich die heutige Demokratie mit dem NS-Regime gleichgesetzt“, sagt der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg, Michael Blume, der taz. „Aus meiner Sicht handelt es sich um einen eindeutig antisemitischen Missbrauch der Opfer des NS-Regimes.“
Vier Bundesländer, die besonders entschlossen vorgehen, stellte der Mediendienst heraus: Zum einen Berlin, wo die Polizei ihre Einsatzkräfte angewiesen hatte, grundsätzlich Anzeige zu erstatten, wenn ein adaptierter „Judenstern“ bei Veranstaltungen gezeigt wird. Es sei „grundsätzlich“ von einer Störung des öffentlichen Friedens auszugehen.
Daneben sehen auch Niedersachsen, Brandenburg und Bremen die gelben „Umgeimpft“-Sterne der Coronaleugner:innen als strafbar an. In anderen Bundesländern, etwa Baden-Württemberg, haben Amtsgerichte wegen der „Ungeimpft“-Sterne oder des Ausdrucks „Impfen macht frei“ Strafbefehle verhängt – ob sie bereits rechtskräftig sind, ist unklar. Viele andere Bundesländer sind noch zurückhaltend.
Unterschiedliche Handhabung, diametrale Entscheidungen aber sind ein Problem: Matthias Jahn, Richter am Oberlandesgericht Frankfurt am Main und Strafrechtsprofessor an der Goethe-Universität, nennt gelbe Sterne beim Coronaprotest zwar „empörend“. Von der Strafbarkeit aber ist er nicht überzeugt.
Jurist Jahn bleibt skeptisch
Als nachvollziehbar sieht Jahn ein Urteil des Saarländischen Oberlandesgerichts vom März 2021 an. Freigesprochen wurde damals eine AfD-Politikerin, die auf Facebook gelbe Sterne mit der Aufschrift „nicht geimpft“, „AfD-Wähler“, „SUV-Fahrer“ und „Islamophob“ gepostet hatte: keine Volksverhetzung, keine Holocaustverharmlosung, so das OLG. Es nannte die Instrumentalisierung des gelben Sterns für die politische Meinungsäußerung zwar schlicht geschmacklos, aber nicht strafbar.
Als Beleg für eine Strafbarkeit des gelben Sterns auch beim Coronaprotest dagegen wird immer wieder ein Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts (OLG) aus dem Jahre 2020 zitiert. Es hatte einen AfD-Politiker wegen Volksverhetzung verurteilt, der auf dem Bundesparteitag im Juni 2018 in Augsburg ein Plakat mit einem „Judenstern“ getragen hatte, darauf aufgedruckt die Jahreszahlen „1933 – 1945“ und „2013-?“.
Das Verhalten des AfD-Manns sei geeignet, das gesellschaftliche Klima zu vergiften, urteilte das OLG, er habe erkennbar auf die gesamte Judenverfolgung Bezug genommen. Die Entscheidung aus Bayern bekommt zusätzlich Gewicht, weil das Bundesverfassungsgericht im September 2021 ohne Begründung eine Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil verwarf.
Der Frankfurter Jurist Jahn bleibt skeptisch. Er begründet das mit einer aus seiner Sicht vorhandenen Lücke im Volksverhetzungs-Paragraphen des Strafgesetzbuches, Absatz vier. Dort droht Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe demjenigen, der den öffentlichen Frieden in einer die Opfer des Nazi-Regimes verletzenden Weise dadurch stört, „dass er die nationalsozialistische Gewalt- oder Willkürherrschaft billigt, verherrlicht, oder rechtfertigt“. Die Worte „oder verharmlost“ aber fehlen an dieser Stelle des 2005 geänderten Gesetzes. Es mag juristisch spitzfindig klingen. Jahn aber sagt: „Das fällt dem Gesetzgeber jetzt auf die Füße.“
Er fordert eine Änderung des Paragraphen. Und sieht die Gefahr von Freisprüchen in Verfahren um die „Ungeimpft“-Sterne: „Es wird weitere Entscheidungen geben, die von Coronaleugnern wie eine Monstranz vor sich hergetragen werden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
SPD-Linker Sebastian Roloff
„Die Debatte über die Kanzlerkandidatur kommt zur Unzeit“
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los