Geheimdienst und Rechtsextremismus: „Eine neue Dimension“
Die Geheimdienstchefs warnen bei einer Anhörung vor rechtsextremer Gefahr. Der Verfassungsschutz verschärft seine Beobachtung der Szene.
Bei früheren Anhörungen hatte Gramm noch von Einzelfällen in der Armee gesprochen, obwohl unter anderem taz-Recherchen anderes nahelegten. Nun kam Gramm zu einer neuen Bewertung. Gerade in der Elitetruppe Kommando Spezialkräfte (KSK) könne man nun „nicht nur von Einzelfällen ausgehen“. Zwar habe man in der Bundeswehr weiter keine Untergrundarmee entdeckt. „Aber Beziehungsgeflechte oder, wenn Sie so wollen, Netzwerke oder Strukturen mit unterschiedlicher Qualität finden wir sehr wohl.“
Gramm warnte auch vor „falschen Patrioten“ in der Armee, die sich nicht zum Grundgesetz bekannten. Diese „haben bei uns definitiv nichts verloren“. Der MAD-Chef sprach von 600 Verdachtsfällen in der Bundeswehr, die derzeit geprüften würden – ein hundert mehr als noch im Oktober 2019. Acht Rechtsextreme und zwei Reichsbürger seien 2019 klar identifiziert worden. Dazu kämen vier weitere Extremisten und 38 Personen „mit fehlender Verfassungstreue“. Beim recht kleinen KSK gebe es inzwischen immerhin 30 Verdachtsfälle, davon seien zwei als Rechtsextreme und einer als Islamist identifiziert worden.
Der Dauerproblemfall KSK
Einer der KSK-Männer war im Mai in Sachsen verhaftet worden: Er hatte ein Sturmgewehr, Sprengstoff und Munition auf seinem Hof gebunkert. Ein Hauptmann der Elitegruppe beklagte darauf in einem Brief an Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), solche Vorfälle würden im KSK „kollektiv ignoriert oder gar toleriert“. Die Ministerin will sich zur Zukunft des KSK noch diese Woche äußern.
Gramm ließ offen, ob die Elitegruppe womöglich gar aufgelöst werden müsste. Er räumte aber eine „Mauer des Schweigens“ beim KSK ein. Diese habe, auch durch die Interventionen des MAD, inzwischen „Risse“ bekommen.
Verfassungsschutzchef Haldenwang verkündete derweil die Hochstufung von Uniter, einem Netzwerk von Soldaten und PolizistInnen, vom Prüf- zum Verdachtsfall. Trotz der inzwischen erklärten Auflösung in Deutschland „erhelle“ man hier derzeit die Hintergründe. Zudem soll bis zum Ende des Sommers ein Lagebild über Extremisten im öffentlichen Dienst vorliegen. Die Datenerhebung der Landesämter für Verfassungsschutz hatte sich hier zuletzt erheblich verzögert.
Gefahr des Rechtsterrorismus besteht fort
Haldenwang sprach insgesamt von einer „hohen Gefährdungsbewertung“ im Rechtsextremismus – und verwies auf die Attentate in Hanau, Halle und Kassel, auf Waffenfunde und die Gewaltbereitschaft der Szene. Dort existierten weiter rechtsterroristische Ansätze, mit schwersten Gewalttaten sei weiter zu rechnen, so der Verfassungsschutzchef. Zudem sei die Zahl der Rechtsextremen um ein Drittel auf 32.000 Personen gestiegen – vor allem durch die Zugänge des neu eingestuften Flügels der AfD und der AfD-Parteijugend. 13.000 der Rechtsextremen seien gewaltorientiert. Drastisch sei auch der Anstieg antisemitischer Delikte um 17 Prozent.
Haldenwang betonte auch die Rolle der Neuen Rechten: Diese enttabuisiere antidemokratische Positionen und entgrenze extremistisches Denken. Er verkündete hier eine neue Einstufung: Auch das neurechte Netzwerk „Ein Prozent“, das Anti-Asyl-Proteste fördert, werde nun als Verdachtsfall geführt. Die Gruppe unterstütze Rechtsextreme und würdige Migranten und Muslime herab, so der Vorwurf.
Auch linke Militanz steige „deutlich“
Haldenwang warnte aber auch vor einer Radikalisierung der linksextremen Szene. Hier zähle man einen Anstieg um knapp fünf Prozent auf 33.500 Personen, 9.200 davon gewaltorientiert. Linke Straftaten seien um 40 Prozent auf 6.449 Delikte gestiegen. Auch in dieser Szene werde „Hass und Hetze gegen Menschen gepredigt“, sagte Haldenwang. Die Militanz sei „deutlich gestiegen“. Einige Kleingruppen würden sich abkaspeln und gezielte Gewalttaten gegen PolizistInnen, AfD-PolitikerInnen oder Immobilienvertreter ausüben. Auch Tötungsdelikte würden inzwischen hingenommen. Das sei „eine neue Qualität“.
BND-Präsident Kahl sprach wiederum über die Folgen der Corona-Pandemie. Diese verschärfe weltweit Konflikte. Autoritäre Staaten versuchten im Schatten der Krise ihren Einfluss auszubauen. Das Vertrauen einiger BürgerInnen in den Staat erodiere. Die Lage sei ein „Stresstest für unsere Weltordnung“.
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