Gegen die Enteignung von Kleingärten: Macht die Lauben zu Wohnungen

Kleingärten sind als spießig verschrien und werden von Behörden als Reservefläche angesehen. Dabei haben gerade sie Potenzial als neue Wohnmodelle.

Kleingärten vor einem Plattenbauriegel in Berlin

Wo ist ein solches Paradies zu finden? Kleingärten sind keine natürlichen Feinde von Wohnraum Foto: imago images/Bernd Friedel

taz-Redakteur Paul Wrusch vertrat vergangene Woche die These, dass Kleingärten zugunsten von Wohnungen enteignet werden sollen. Die frühere taz-Autorin Niña Boschmannn war eine von vielen LeserInnen, die in einem Brief dagegen protestierten. Hier schreibt sie nun eine Gegenthese.

Wohnen in Lauben statt Gärten enteignen. Morgens inmitten eines Vogelkonzerts aufwachen, das die Geräusche des beginnenden Berufsverkehrs übertönt. Der erste Blick geht ins Grüne. Der zweite auch. Ein paar Schritte führen – je nach Jahreszeit – nach draußen zu frischen Radieschen, Salat, Beeren, Gemüse, Äpfeln oder Kürbissen. Bienen und Schmetterlinge haben ihr Tagewerk schon auf einer kleinen Blumenwiese begonnen, ihr Surren kündigt die aufgehende Sonne an. Eine Nachbarin fragt freundlich über den Zaun, ob Zucchini benötigt werden, man habe zu viele.

Ein Blick ins Innere des Gebäudes. Wohnen auf einer Ebene. Alles ist überschaubar, ansprechend gestaltet, einfach, aber praktisch. Ebenso kind- wie altersgerecht. Nachher kommen die Enkel. Nie ist ihnen langweilig. Sie spielen mit Holz, Wasser und Steinen und mit den Kindern von nebenan. Sie sind dabei nicht in Gefahr. Die Wege der Umgebung sind für den Durchgangsverkehr gesperrt.

Wo ist ein solches Paradies zu finden? In vielen der Berliner Kleingärten, überwiegend außerhalb des S-Bahn-Rings, aber noch in der Stadt gelegen. Ein bedrohtes Idyll und angesichts der Bedingungen auf dem Berliner Wohnungsmarkt eine wichtige Vision für zukünftiges Leben in der Stadt.

Gärten als natürliche Feinde des Wohnungsbaus?

Die vor einer Woche an dieser Stelle veröffentlichte Polemik gegen die vermeintliche Privilegierung der spießigen Pächter der Berliner Kleingärten greift ebenso zu kurz wie die amtliche Betrachtung der Gärten als „Flächenreserve“, auf welche die Verwaltung bei Bedarf für den Bau von Infrastruktur zugreifen kann. Vielmehr gilt es zu begreifen: Die Eliminierung von Gärten findet seit Jahren statt, und es wäre im Interesse aller wohnungs- und umweltbewegten Menschen, sich dem entgegenzustellen.

Autor Paul Wrusch befürwortet, weitere 20 Prozent der Kleingärten in Berlin zum Zwecke des Wohnungsbaus zu enteignen, weil es sich um ein auslaufendes Modell handele, ineffizient im Hinblick auf die Produktion von Nahrungsmitteln, ohne Zusatznutzen angesichts existierender Parks und Grünflächen, eine Verschwendung knapper Ressourcen sozusagen. Gärten als natürliche Feinde des Wohnungsbaus? Eine solche Haltung ist bemerkenswert, geht sie doch weit über das hinaus, was die Berliner Verwaltung in ihren kühnsten Träumen wagt, den Bürgern zuzumuten.

Über Jahre wurde zwischen Verwaltung und Politik um die Erstellung eines mittelfristigen „Kleingartenentwicklungsplans“ bis 2030 gerungen. Der im Frühjahr vorgestellte Entwurf sieht vor, dass im kommenden Jahr 15 Anlagen („Kolonien“) komplett geräumt und rund 430 Gärten (von stadtweit 71.000) dem Erdboden gleichgemacht werden. Die Erfahrungen mit früheren Räumungen lassen nichts Gutes erwarten: Abgesehen vom Leid der Nutzer waren zu beobachten: jahrelange Brachen, erneute informelle Besiedelung, Mülldeponien, Verwahrlosung. Und kein erschwinglicher Wohnraum, nirgends.

Gleichzeitig werden die ohnehin restriktiven Regelungen des Bundeskleingartengesetzes von 1983 zunehmend noch restriktiver gehandhabt: Wo immer ein Kleingarten den Besitzer wechselt, wird genau ermittelt, welche Merkmale der dort existierenden Lauben das „dauerhafte Wohnen“ fördern könnten und die Pächter erhalten entsprechend strenge Auflagen: Anbauten müssen entfernt, Schornsteine versiegelt, Dachgauben und Terrassen zurückgebaut werden.

Wohnmodelle in Kleingärten sollten gefördert werden

Parallel zu diesem Prozess machen sich reputierte Architekten weltweit (im Sommer 2018 auch auf dem Bauhaus-Campus in Berlin) Gedanken über das moderne Wohnen in Kleinsthäusern (tiny houses), transportablen Gebäuden (mobile homes) und Ausbauhäusern (incremental housing) mit dem Ziel, Flächenverbrauch, Mobilitätsbedürfnisse und soziale Gesichtspunkte sowie die Ressourcen einkommensschwacher Schichten unter einen Hut zu bringen. Allein, es fehlt an Standorten, um derartige Modelle einem Praxistest zu unterziehen.

Wer in einer solchen Gemengelage pauschal das Ende der Kleingärten zugunsten des Wohnungsbaus beschwört, folgt nicht dem Gemeinwohl, sondern spielt benachteiligte Gruppen (hier: Pächter von Kleinparzellen versus Wohnungssuchende mit niedrigem Einkommen) gegeneinander aus.

Die Gegenthese lautet daher, dass Wohnmodelle in Kleingärten nicht behindert, sondern gefördert und weiterentwickelt werden sollten.

Die aktuell noch 71.000 Kleingärten in der Hauptstadt leisten mit der intensiven gärtnerischen Nutzung und ihrer niedrigen und kontrollierten Flächenversiegelung einen erheblichen Beitrag zum Schutz des innerstädtischen Klimas, zur Erhaltung von Arten- und Sortenvielfalt und zur Verbreitung von grundlegendem Wissen über ökologischen Anbau. Es würde Jahrzehnte dauern, diese Vielfalt auf „Abstandsflächen“ zwischen Neubauten wieder herzustellen, sowohl in sozialer wie in ökologischer Hinsicht.

Viele würden in Kleingärten dauerhaft wohnen

Die Kolonien sind bereits heute für die Öffentlichkeit zugänglich, viele bieten Führungen für Interessierte an. Verbände der Kleingärtner arbeiten intensiv mit Umweltorganisationen wie der Grünen Liga zusammen. Flächen, die an Landschaftsschutzgebiete grenzen, werden aktiv geschützt und in Kooperation mit den Behörden gemanagt.

Ein erheblicher Teil der heute existierenden Lauben in Gärten in Berlin wäre bereits jetzt zum Wohnen geeignet, wenn dies nicht untersagt und mit immer neuen Regelungen unmöglich gemacht würde. Die Lösung des Wohnungsmangels sollte grundsätzlich im Bestand ansetzen, auch um den Flächenverbrauch zu begrenzen.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Der Aufwand, in Gartenkolonien Wohnraum im Bestand zu schaffen, ist vielerorts überschaubar: Wasserleitungen könnten für den Winter isoliert werden, die Isolierung von Dächern und Fassaden wie bei anderen Gebäuden gefördert werden, die Nutzung der aktuell zur Versiegelung angeordneten Schornsteine für Heizzwecke erlaubt werden, die Kolonien ans öffentliche Abwassernetz angeschlossen werden.

Die meisten der überwiegend einkommensschwachen Pächter von Schrebergärten haben keine hohen Ansprüche. Sie sind gewohnt und in der Lage, selber Hand anzulegen. Viele würden sich mit Freuden dauerhaft dort niederlassen und ihre aktuellen Meldeadressen in der Innenstadt stünden dann dem Wohnungsmarkt zur Verfügung.

Vereine werden bunter und moderner

Gartenkolonien halten ihre Infrastruktur – Wege, Wasserleitungen, Straßenbeleuchtung, öffentliche Plätze und Begleitgrün – weitgehend mit eigenen Mitteln und Arbeitsleistungen der Mitglieder instand. Preiswerter können Staat und Öffentlichkeit die Erhaltung von Stadtgrün, Infrastruktur und Wohnraum nicht bekommen.

Spekulationen über die Gesinnung der Pächter im Vergleich zur Gesinnung von Wohnungssuchenden (welchen?) sind in diesem Zusammenhang übrigens wenig zweckdienlich, da in beiden Gruppen Umwälzungen stattfinden: Immer größere Teile der Mittelschicht müssen einen immer größeren Teil ihres Einkommens fürs Wohnen aufwenden und suchen daher nach neuen Modellen.

Gleichzeitig stirbt die Generation der Nachkriegspächter von Kleingärten aus und die Vereine werden bunter, moderner und vielfältiger.

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