Gegen Deutschland Fußballgucken: Hummels und Hitler
Schland-Trikots sind verboten, Flaggen auch. Ein Berliner Club bietet trachten- und hymnenfreies Public Viewing an. Antinational ist das trotzdem nicht.
Im Berliner Club About Blank kann man antinational Fußball gucken. Dieser Satz reicht aus, um im Bekanntenkreis eine große Patriotismusdebatte anzustoßen. „Es ist okay die deutsche Mannschaft gut zu finden“, „...die deutsche Fahne gut zu finden“, „...Deutschland gut zu finden“, sagen selbst links-dogmatische Attacmitglieder.
Auch auf der Facebookseite der Veranstaltung der „Spiele gegen Deutschland“ gibt es auch eine Diskussion, aber in eine andere Richtung. Etwa so: „Da rufen Tausende Menschen in Brasilien dazu auf, diese verdammte Scheiß-WM zu boykottieren und ihr, die ihr euer tolles antinationales Selbstverständnis habt bewerbt diesen Mist trotzdem.“ Oder: „Scheiß-WM. Für mehr Solidarität mit den Kämpfenden in den Favelas.“
Rund 150 Leute kommen trotzdem, die das Spiel Deutschland gegen Portugal im About Blank sehen wollen. Der Club verspricht „Trachten- und hymnenfreien Fußballgucken im antinationalen Ambiente“. Flaggen, Trikots und andere Symbole sind verboten. Allerdings auch die Israelflagge, die eine antideutsche Begleitung mitbringen wollte. Statt Fähnchen hängen im Garten des About Blanks bunte Kunstblumen.
Während der Hymnen wird der Ton ausgeschaltet. Für den ARD-Kommentator wird der Ton wieder angedreht, der mehrmals von Deutschland in der ersten Person Plural, im „wir“ spricht. Und als die Werbung auch mit Ton läuft, frage ich mich, wie man es schafft so viele nationale, rassistische und sexistische Inhalte in 30 Sekunden unterschwellig zu transportieren.
Enttäuschte Antideutsche
Als das erste Tor für Deutschland fällt, reißt nur ein Besucher die Hände hoch. „Wer hat das Tor gemacht“, frage ich, „Hummels?“ – „Hitler“, antwortet meine sichtlich enttäuschte antideutsche Begleitung. Nicht, weil Deutschland gewinnt, sondern weil ihr die Veranstaltung nicht antinational genug ist. Dieses „wir“ des Kommentators findet sie scheiße. „Das Gemeinschaftsgefühl soll den Konkurrenzdruck und Zwänge der Leistungsgesellschaft, die man sonst im Alltag hat, vergessen machen“, sagt die Begleitung.
Am Ende steht es 4:0 für „uns“. Zwischendurch haben einige Besucher auch für Deutschland gejubelt – vielleicht auch nur für guten Fußball. Fazit des Guckens im About Blank: Insgesamt locker und undogmatisch mit teuren Getränken.
Danach verschleppt die antideutsche Begleitung uns in eine einschlägige Kneipe in Neukölln, die „antinational“ auch wirklich ernst meint. Am Nebentisch wird ein Besucher mit Schland-Trikot lautstark angepöbelt und rausgeschmissen. Eine Flasche Sternburg-Bier kostet 1,60 Euro. Und an der Bar gibt es für drei abgerissene Autoflaggen, fünf Schnäpse aufs Haus.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich