Gegen Attacken im Wahlkampf: „Jetzt erst recht!“
Im deutschen Europawahlkampf häufen sich Angriffe auf Politiker:innen – oft auf Menschen mit Migrationshintergrund. Ein Blick nach NRW.
Trotzdem habe die Gewalt auch sie vorsichtig und wachsam werden lassen: „Da ist etwas gekippt“, sagt die Grüne, die ihre Partei im Bochumer Stadtrat vertritt. „Die Grenze, hinter der man physisch bedrängt wird, ist offenbar schmal geworden.“ „Ganz krass“ seien „die Bedrohungen und Beleidigungen“ vor allem im Netz, sagt di Bari, von der nicht wenige im Ruhrgebiet glauben, dass sie für den nächsten Bundestag kandidieren könnte.
Als „Kriegstreiber:innen“, als „Linksfaschist:innen“ würden sie und ihre Parteifreund:innen beschimpft. Ihr Engagement für den Verein Sea Eye, der im Mittelmeer Geflüchtete aus Seenot rettet, werde als „Unterstützung von Schlepperbanden“ interpretiert. „Mörderin“ werde sie deshalb genannt, sagt die stellvertretende Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Migration und Flucht der Grünen.„Beendet Euer Leben bitte, ich helf’ Euch dabei“, habe unter einem ihrer Videos gestanden, sagt die Enkelin eines italienischen und eines serbischen Migranten. Und bei einem anonymen Anruf habe eine verzerrte Stimme immer wieder gefragt: „Wo bist du?“
Wirkung zeige das vor allem bei neuen Parteimitgliedern, die bei den Grünen noch nicht so gut vernetzt sind: „Manche sage dann etwa: Haustürwahlkampf kann ich mir nicht vorstellen.“
Die Grünen werden am meisten attackiert
Unbegründet ist die Vorsicht nicht. Keine Partei wird derzeit häufiger attackiert als die Grünen. Allein in Nordrhein-Westfalen zählte die Polizei in diesem Jahr bereits 38 Angriffe auf deren Einrichtungen, Gebäude oder Parteirepräsentanten. Die AfD, die sich – wie zuletzt am Dienstag beim Messerangriff eines offenbar psychisch Kranken auf einen ihrer Gemeinderatskandidaten in Mannheim – gern selbst als Hauptopfer „Politisch motivierter Kriminalität“ (PMK) stilisiert, traf es NRW-weit in diesem Jahr 36-mal.
Die CDU wurde laut NRW-Innenministerium 11-mal, die FDP 7-mal, die Linkspartei dagegen nur einmal angegriffen – was auch daran liegen dürfte, dass die Linken etwa die Zerstörung von Wahlplakaten, aber auch massive Beleidigungen gar nicht mehr zur Anzeige bringen. Auch bei der SPD scheinen die 17 in diesem Jahr von der Polizei dokumentierten PMK-Fälle nur die Spitze des Eisbergs. Zwar habe es bisher keine körperlichen Angriffe auf sozialdemokratische Europawahlkämpfer:innen gegeben, sagt die Co-Landesvorsitzende Sarah Philipp.
„Vor unserem Parteibüro in Mönchengladbach wurde aber ein Stapel alter Zeitungen abgelegt und mit einer brennbaren Flüssigkeit übergossen“, sagt die Landtagsabgeordnete. „Daneben lag eine Schachtel Streichhölzer – dabei lebt über dem Büro eine Familie.“ Außerdem seien „so viele Wahlplakate beschädigt und zerstört worden wie nie zuvor“, klagt Philipp: Die SPD-Werbung wurde etwa mit dem Schriftzug „AFD“, Hakenkreuzen oder der vom rechtsextremen Thüringer AfD-Chef Björn Höcke benutzten Parole von Hitlers SA, „Alles für Deutschland“, beschmiert.
Selbst im wohlhabenden Münsterland wurde der in Kamerun geborene SPD-Europakandidat Gilbert Wamba rassistisch beleidigt: „Auf ein Wahlplakat mit meinem Gesicht wurde das N-Wort geschmiert“, erzählt der Maschinenbau-Ingenieur, der seit 25 Jahren in Deutschland lebt, am Wahlkampfstand im katholischen Wallfahrtsort Telgte im Kreis Warendorf. Und über eines seiner Wahlplakate hat die AfD ihren Spruch „Asylchaos beenden“ gehängt. Ein Foto davon wurde von der Facebookseite „AfD im Stauferkreis Göppingen“, 500 Kilometer entfernt in Baden-Württemberg, gepostet.
„Keine Lust auf Opferrolle“
Was folgte, waren mittlerweile zwar gelöschte, aber dokumentierte weitere rassistische Sprüche: „Ist das ein Wahlplakat aus dem Kongo“, fragte eine Kommentatorin, „Was ist die SPD tief gesunken“, hetzte ein anderer. Wamba selbst lässt sich davon nicht einschüchtern. „Ich habe keine Lust auf die Opferrolle, werde die Politik ganz bestimmt nicht verlassen“, sagt er.
Natürlich müssten „Angriffe und Beleidigungen konsequent geahndet“ werden, müsse „die juristische Strafverfolgung schnell gehen“, fordert auch die SPD-Landeschefin Philipp, die Wamba am Wahlkampfstand auf dem Telgter Marktplatz unterstützt. Verängstigt seien die Sozialdemokraten nicht. „Jetzt erst recht“: Das sei die Stimmung, die in der Partei vorherrsche, sagt Philipp – und klingt wie die Grüne Anna di Bari: „Wir machen“, verspricht auch die Bochumerin, „auf jeden Fall weiter“.
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