Geflüchtete in Bosnien: Weihnachten der Unmenschlichkeit

Sarajevo ist endlich bereit, die von widrigsten Verhältnissen geplagten Menschen von Lipa aufzunehmen. Eine grundsätzliche Lösung ist das nicht.

Ein Migrant in eine Decke gehüllt in einem Flüchtlingslager.

Ein unbekannter Migrant im Lager Lipa als der erste Schneefall einsetzt Foto: Dado Ruvic/reuters

Na immerhin. Am Dienstagvormittag wurden einige Busse geschickt, um die Migranten aus dem Lager Lipa an der bosnisch-kroatischen Grenze zu retten. Nur 600 Kilometer von den Weihnachten feiernden Münchnern entfernt steckten 1.300 Menschen aus dem Lager im Schnee. Als am Montag ein Schneesturm mit Orkanstärke einsetzte, erschütterte auch noch ein Erdbeben die Region. Auch aus der sicheren Distanz fragte man sich, was Menschen alles auszuhalten in der Lage sind.

Welch ein unmenschliches und erbärmliches Schauspiel spielt sich da mitten in Europa ab. Dabei war das alles vorhersehbar. Und es gibt viele Schuldige – man kann sie genau benennen. Das EU-Mitglied Kroatien treibt die Migranten mit Gewalt unter Ignorierung des europäischen Rechts hinter die Grenze zur EU zurück. Vonseiten Brüssels gibt es daran nur laue Kritik, man ist ja froh, dass Kroatien die Drecksarbeit übernommen hat. Kein Land will die Migranten noch aufnehmen.

Schuld ist auch das Kompetenzwirrwarr auf bosnischer Seite. Der serbische Teilstaat innerhalb Bosnien-Herzegowinas verweigert sich, schiebt Migranten Richtung des mehrheitlich muslimischen Bihać ab. Auch die kroatischen Kantone im Südwesten des kleinen Vielvölkerstaates handeln so. Im Ministerrat blockierten Serben und Kroaten monatelang Maßnahmen, feste Unterkünfte in Lipa zu bauen. Das Geld dazu war da. Ausgerechnet am 21. Dezember, drei Tage vor Weihnachten, beschloss man nach langem Zögern, das Zeltlager Lipa endlich winterfest zu machen. Die Migranten wurden wegen der Bauarbeiten (!) in den Schneesturm geschickt. Sie zündeten aus Protest die Zelte an.

Erbärmlich ist auch das Verhalten der International Organisation for Migration, die den Aufbau von winterfesten Lagern den Bosniern überließ. Die UN-Organisation IOM verhielt sich hier wie ein bürokratischer Apparat, der die Verantwortung lieber auf andere schiebt, statt selbst die Initiative zu ergreifen.

Schuld an der aktuellen Situation trägt auch die Stadt Bihać. Jahrelang war man mit Migranten und Hilfsorganisationen solidarisch, selbst als alle anderen Gemeinden sich schon verweigerten. Schließlich fühlte man sich alleingelassen. Aber muss man deshalb alle Menschlichkeit verleugnen?

Immerhin, und angesichts der passiven Duldungsstarre oder besser: der schlichten Verweigerungshaltung Brüssels, ein ziemlicher Hohn: Sarajevo ist jetzt endlich bereit, die von widrigsten und widerlichsten Verhältnissen geplagten Menschen von Lipa aufzunehmen. Eine grundsätzliche Lösung ist das nicht.

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Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.

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