Geflüchtete aus Venezuela in Deutschland: Glücksspiel um den Asylantrag
Alles hängt davon ab, wo der Antrag landet: Die Schutzquote für venezolanische Geflüchtete schwankt stark, je nachdem welches Bamf-Büro prüft.
Während beispielsweise in Chemnitz dieses Jahr bisher immerhin 64,4 Prozent der venezolanischen Antragsteller:innen positive Bescheide erhalten haben, entschieden die Bamf-Beamt:innen in der Berliner Stelle in nur 13,7 Prozent der Fälle, Asyl zu gewähren. Insgesamt liegt die Schutzquote für venezolanische Geflüchtete in diesem Jahr bisher bei etwa 40 Prozent, im letzten Jahr waren es immerhin 46 Prozent – die EU-weite Schutzquote lag allerdings 2019 bei 96 Prozent.
Auffallend viele der negativen Entscheide in Deutschland werden außerdem später von Gerichten gekippt. In Sachsen, wo ein Großteil der Anträge venezolanischer Geflüchtete bearbeitet werden, sind 2020 bisher rund 70 Prozent der Fälle von Gerichten wieder aufgehoben worden. Im Durchschnitt aller Asylverfahren in Deutschland liegt die Aufhebungsquote bei nur knapp über einem Viertel.
„Es ist nicht hinnehmbar, dass die Aussichten auf Schutz davon abhängen, an welchem Standort das Asylgesuch geprüft wird“, sagt Ulla Jelpke. In ihrer Anfrage an die Bundesregierung wollte Sie Details wissen: Warum schwanken die Annahmequoten für venezolanische Asylsuchende so drastisch zwischen den verschiedenen Bamf-Stellen? Und warum liegt das Bamf mit seinen Entscheidungen offensichtlich so oft falsch, dass Gerichte die Asylentscheidungen geradezu routinemäßig wieder aufheben?
Eine „gewagte“ Erklärung
Die Bundesregierung schreibt, die Unterschiede zwischen den Bamf-Stellen könne „unter anderem darauf beruhen, dass in einer Außenstelle im jeweiligen Betrachtungszeitraum mehr Verfahren mit Familien oder erkrankten beziehungsweise sonst vulnerablen Personen bearbeitet wurden“.
Dabei unterschlägt die Bundesregierung aber, dass sich die großen Unterschiede zwischen den Bamf-Stellen konstant auch schon in den letzten Jahren beobachten lassen. In Leipzig etwa lag die Schutzquote schon 2019 (39,9 Prozent) und 2018 (31,5 Prozent) jeweils deutlich unter der von Dresden (63,2 beziehungsweise 72,2 Prozent).
Unterschiede zwischen einzelnen Stellen sind statistisch zu erwarten – konstant drastische Differenzen zwischen den immer gleichen Stellen dagegen nicht. Eine mögliche Erklärung wäre, dass gezielt Anträge mit besonders schlechten oder guten Chancen an bestimmte Stellen gegeben werden. Davon aber schreibt die Bundesregierung nichts.
„Die Geflüchteten aus Venezuela werden relativ ausgewogen auf die Bamf-Stellen verteilt“, sagt Sebastian Lupke vom Sächsischen Flüchtlingsrat. Die Erklärung der Bundesregierung nennt er deshalb „gewagt“. Lupke vermutet, dass die Bamf-Stellen teils mit Sachbearbeiter:innen besetzt sind, die sich mit der Lage in Venezuela nicht auskennen – und die dann viele Anträge fälschlicherweise ablehnten, was wiederum dazu führe, dass die Gerichte sich mit den Fällen beschäftigen müssen.
Dass so viele Asylentscheide von Richter:innen gekippt werden, schiebt die Bundesregierung darauf, dass „zwischen Bescheid und letzter mündlicher Verhandlung bei Gericht teilweise deutlich mehr als ein Jahr vergehen kann“. In der Zwischenzeit habe sich Lage in Venezuela „gegebenenfalls verändert“.
Lupke berichtet dagegen, dass sich etwa die Bamf-Stelle Leipzig in ihren Entscheidungen oft auf Quellen beruft, die schon zu diesem Zeitpunkt veraltet sind. Er erzählt vom Fall eines venezolanischen Asylsuchenden, der in diesem Jahr zu ihm kam, um sich beraten zu lassen, nachdem er einen negativen Asylbescheid erhalten hatte. Zeitpunkt des Entscheids: Mai 2020. Die Basis: Unter anderem ein Report zur Inflationsrate in Venezuela – aus dem Jahr 2015.
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